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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
Eitelkeit dahinreissen ließ, durch ein Gepränge mit Reich-
tümern, deren er sich als der Früchte seiner Verhält-
nisse mit der Familie des Tyrannen vielmehr hätte
schämen sollen, unter einem freyen Volke sich unter-
scheiden zu wollen.

Doch, indem ich diese Gelegenheit ergreife, die über-
triebene Lobsprüche zu mässigen, welche an die Günst-
linge des Glükes verschwendet zu werden pflegen, sobald
sie einigen Schimmer der Tugend von sich werfen; be-
gehre ich nicht in Abrede zu seyn, daß Dion, so wie
er war, einen Thron eben so würdig erfüllt haben würde,
als wenig er sich schikte, mit einem durch die lange
Gewohnheit der Fesseln entnervten Volke, in dem Mit-
telstand zwischen Sclaverey und Freyheit, worein er
dasselbe in der Folge durch die Vertreibung des Diony-
sius sezte, so sanft und behutsam umzugehen, als es
hätte geschehen müssen, wenn seine Unternehmung für
die Syracusaner und ihn selbst glüklich hätte ausschlagen
sollen. Plutarch vergleicht dieses Volk, in dem Zeit-
punct, da es das Joch der Tyrannie abzuschütteln an-
sieng, sehr glüklich mit Leuten, die von einer langwieri-
gen Krankheit wieder aufstehen, und, ungeduldig sich
der Vorschrift eines klugen Arztes in Absicht ihrer Diät
zu unterwerfen, sich zu früh wie gesunde Leute betra-
gen wollen. Aber darinn können wir nicht mit ihm
einstimmen, daß Dion dieser geschikte Arzt für sie ge-
wesen sey. Sehr wahrscheinlich hat die platonische Phi-
losophie selbst, von deren idealischer Sitten- und Staats-

Lehre

Agathon.
Eitelkeit dahinreiſſen ließ, durch ein Gepraͤnge mit Reich-
tuͤmern, deren er ſich als der Fruͤchte ſeiner Verhaͤlt-
niſſe mit der Familie des Tyrannen vielmehr haͤtte
ſchaͤmen ſollen, unter einem freyen Volke ſich unter-
ſcheiden zu wollen.

Doch, indem ich dieſe Gelegenheit ergreife, die uͤber-
triebene Lobſpruͤche zu maͤſſigen, welche an die Guͤnſt-
linge des Gluͤkes verſchwendet zu werden pflegen, ſobald
ſie einigen Schimmer der Tugend von ſich werfen; be-
gehre ich nicht in Abrede zu ſeyn, daß Dion, ſo wie
er war, einen Thron eben ſo wuͤrdig erfuͤllt haben wuͤrde,
als wenig er ſich ſchikte, mit einem durch die lange
Gewohnheit der Feſſeln entnervten Volke, in dem Mit-
telſtand zwiſchen Sclaverey und Freyheit, worein er
daſſelbe in der Folge durch die Vertreibung des Diony-
ſius ſezte, ſo ſanft und behutſam umzugehen, als es
haͤtte geſchehen muͤſſen, wenn ſeine Unternehmung fuͤr
die Syracuſaner und ihn ſelbſt gluͤklich haͤtte ausſchlagen
ſollen. Plutarch vergleicht dieſes Volk, in dem Zeit-
punct, da es das Joch der Tyrannie abzuſchuͤtteln an-
ſieng, ſehr gluͤklich mit Leuten, die von einer langwieri-
gen Krankheit wieder aufſtehen, und, ungeduldig ſich
der Vorſchrift eines klugen Arztes in Abſicht ihrer Diaͤt
zu unterwerfen, ſich zu fruͤh wie geſunde Leute betra-
gen wollen. Aber darinn koͤnnen wir nicht mit ihm
einſtimmen, daß Dion dieſer geſchikte Arzt fuͤr ſie ge-
weſen ſey. Sehr wahrſcheinlich hat die platoniſche Phi-
loſophie ſelbſt, von deren idealiſcher Sitten- und Staats-

Lehre
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[96/0098] Agathon. Eitelkeit dahinreiſſen ließ, durch ein Gepraͤnge mit Reich- tuͤmern, deren er ſich als der Fruͤchte ſeiner Verhaͤlt- niſſe mit der Familie des Tyrannen vielmehr haͤtte ſchaͤmen ſollen, unter einem freyen Volke ſich unter- ſcheiden zu wollen. Doch, indem ich dieſe Gelegenheit ergreife, die uͤber- triebene Lobſpruͤche zu maͤſſigen, welche an die Guͤnſt- linge des Gluͤkes verſchwendet zu werden pflegen, ſobald ſie einigen Schimmer der Tugend von ſich werfen; be- gehre ich nicht in Abrede zu ſeyn, daß Dion, ſo wie er war, einen Thron eben ſo wuͤrdig erfuͤllt haben wuͤrde, als wenig er ſich ſchikte, mit einem durch die lange Gewohnheit der Feſſeln entnervten Volke, in dem Mit- telſtand zwiſchen Sclaverey und Freyheit, worein er daſſelbe in der Folge durch die Vertreibung des Diony- ſius ſezte, ſo ſanft und behutſam umzugehen, als es haͤtte geſchehen muͤſſen, wenn ſeine Unternehmung fuͤr die Syracuſaner und ihn ſelbſt gluͤklich haͤtte ausſchlagen ſollen. Plutarch vergleicht dieſes Volk, in dem Zeit- punct, da es das Joch der Tyrannie abzuſchuͤtteln an- ſieng, ſehr gluͤklich mit Leuten, die von einer langwieri- gen Krankheit wieder aufſtehen, und, ungeduldig ſich der Vorſchrift eines klugen Arztes in Abſicht ihrer Diaͤt zu unterwerfen, ſich zu fruͤh wie geſunde Leute betra- gen wollen. Aber darinn koͤnnen wir nicht mit ihm einſtimmen, daß Dion dieſer geſchikte Arzt fuͤr ſie ge- weſen ſey. Sehr wahrſcheinlich hat die platoniſche Phi- loſophie ſelbſt, von deren idealiſcher Sitten- und Staats- Lehre

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/98>, abgerufen am 25.11.2024.