gewicht zu halten, und man erwartete das Beste von ihm, es sey nun daß er sich der Regierung für sich selbst, oder die jungen Söhne seiner Schwester bemächtigen, oder sich begnügen würde, der Mentor des Dionysius zu seyn.
Die natürliche Unempfindlichkeit Dions gegen die Reizungen der Wollust, welche den Syracusanern soviel Vertrauen zu ihm gab, blendete in der Folge auch die Griechen des festen Landes, zu denen er sich vor dem Tyrannen zu flüchten genöthiget wurde. Selbst die Academie, diese damals so berühmte Schule der Weis- heit, scheint stolz darauf gewesen zu seyn, einen so na- hen Verwandten des wiewol unrechtmässigen Beherr- schers von Sicilien, unter ihre Pflegsöhne zählen zu kön- nen. Die königliche Pracht, welche er in seiner Lebens- art affectierte, war in ihren Augen (so gewiß ist es, daß auch weise Augen manchmal durch die Eitelkeit verfälscht werden) der Ausdruk der innern Majestät seiner Seele; sie schlossen ungefehr nach eben der Logik, welche einen Verliebten von den Reizungen seiner Dame auf die Güte ihres Herzens schliessen macht; und sahen nicht, oder wollten nicht sehen, daß eben dieser von den republicanischen Sitten so weit entfernte Pomp ein sehr deutliches Zeichen war, daß es weniger einer Er- habenheit über die gewöhnlichen Schwachheiten der Grossen und Reichen, als dem Mangel der Begierden zu zuschreiben sey, wenn derjenige gegen die Vergnü- gungen der Sinne gleichgültig war, der sich von der
Eitelkeit
Neuntes Buch, zweytes Capitel.
gewicht zu halten, und man erwartete das Beſte von ihm, es ſey nun daß er ſich der Regierung fuͤr ſich ſelbſt, oder die jungen Soͤhne ſeiner Schweſter bemaͤchtigen, oder ſich begnuͤgen wuͤrde, der Mentor des Dionyſius zu ſeyn.
Die natuͤrliche Unempfindlichkeit Dions gegen die Reizungen der Wolluſt, welche den Syracuſanern ſoviel Vertrauen zu ihm gab, blendete in der Folge auch die Griechen des feſten Landes, zu denen er ſich vor dem Tyrannen zu fluͤchten genoͤthiget wurde. Selbſt die Academie, dieſe damals ſo beruͤhmte Schule der Weis- heit, ſcheint ſtolz darauf geweſen zu ſeyn, einen ſo na- hen Verwandten des wiewol unrechtmaͤſſigen Beherr- ſchers von Sicilien, unter ihre Pflegſoͤhne zaͤhlen zu koͤn- nen. Die koͤnigliche Pracht, welche er in ſeiner Lebens- art affectierte, war in ihren Augen (ſo gewiß iſt es, daß auch weiſe Augen manchmal durch die Eitelkeit verfaͤlſcht werden) der Ausdruk der innern Majeſtaͤt ſeiner Seele; ſie ſchloſſen ungefehr nach eben der Logik, welche einen Verliebten von den Reizungen ſeiner Dame auf die Guͤte ihres Herzens ſchlieſſen macht; und ſahen nicht, oder wollten nicht ſehen, daß eben dieſer von den republicaniſchen Sitten ſo weit entfernte Pomp ein ſehr deutliches Zeichen war, daß es weniger einer Er- habenheit uͤber die gewoͤhnlichen Schwachheiten der Groſſen und Reichen, als dem Mangel der Begierden zu zuſchreiben ſey, wenn derjenige gegen die Vergnuͤ- gungen der Sinne gleichguͤltig war, der ſich von der
Eitelkeit
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Neuntes Buch, zweytes Capitel.
gewicht zu halten, und man erwartete das Beſte von
ihm, es ſey nun daß er ſich der Regierung fuͤr ſich ſelbſt,
oder die jungen Soͤhne ſeiner Schweſter bemaͤchtigen,
oder ſich begnuͤgen wuͤrde, der Mentor des Dionyſius
zu ſeyn.
Die natuͤrliche Unempfindlichkeit Dions gegen die
Reizungen der Wolluſt, welche den Syracuſanern ſoviel
Vertrauen zu ihm gab, blendete in der Folge auch die
Griechen des feſten Landes, zu denen er ſich vor dem
Tyrannen zu fluͤchten genoͤthiget wurde. Selbſt die
Academie, dieſe damals ſo beruͤhmte Schule der Weis-
heit, ſcheint ſtolz darauf geweſen zu ſeyn, einen ſo na-
hen Verwandten des wiewol unrechtmaͤſſigen Beherr-
ſchers von Sicilien, unter ihre Pflegſoͤhne zaͤhlen zu koͤn-
nen. Die koͤnigliche Pracht, welche er in ſeiner Lebens-
art affectierte, war in ihren Augen (ſo gewiß iſt es,
daß auch weiſe Augen manchmal durch die Eitelkeit
verfaͤlſcht werden) der Ausdruk der innern Majeſtaͤt
ſeiner Seele; ſie ſchloſſen ungefehr nach eben der Logik,
welche einen Verliebten von den Reizungen ſeiner Dame
auf die Guͤte ihres Herzens ſchlieſſen macht; und ſahen
nicht, oder wollten nicht ſehen, daß eben dieſer von
den republicaniſchen Sitten ſo weit entfernte Pomp ein
ſehr deutliches Zeichen war, daß es weniger einer Er-
habenheit uͤber die gewoͤhnlichen Schwachheiten der
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zu zuſchreiben ſey, wenn derjenige gegen die Vergnuͤ-
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/97>, abgerufen am 16.07.2024.
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