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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
nicht aufgelegt war; und wenn er es so weit gebracht
hätte, sie mit eben der Leichtigkeit und Grazie auszu-
üben, als ob sie ihm angebohren wären --- aber wie
viel daran fehlte, daß er der Philosophie seines Lehrers
und Freundes Platon soviel Ehre gemacht hätte, davon
finden wir in den eigenen Briefen dieses Weisen, und
in dem Betragen Dions in den wichtigsten Auftritten
seines Lebens die zuverlässigsten Beweise: Niemals konnte
er es dahin bringen, oder vielleicht gefiel es ihm nicht,
den Versuch zu machen, und beydes läuft auf Eines
hinaus, diese Austerität, diese Unbiegsamkeit, diese
wenige Gefälligkeit im Umgang, welche die Herzen von
sich zurükstieß, zu überwinden. Vergebens ermahnte
ihn Plato den Huldgöttinnen zu opfern, und erinnerte
ihn, daß Sprödigkeit sich nur für Einsiedler schike; Dion
bewies durch seine Ungelehrigkeit über diesen Punct,
daß die Philosophie ordentlicher Weise uns nur die Feh-
ler vermeiden macht, zu denen wir keine Anlage ha-
ben, und uns nur in solchen Tugenden befestiget, zu
denen wir ohnehin geneigt sind.

Jndessen war er nichts desto weniger derjenige, auf
welchen ganz Sicilieu die Augen gerichtet hatte. Die
Weisheit seines Betragens, seine Abneigung von allen
Arten der sinnlichen Ergözungen, seine Mässigung, Nüch-
ternheit und Frugalität, erwarben ihm desto mehr Hoch-
achtung, je stärker sie mit der zügellosen Schwelgerey
und Verschwendung des Tyrannen contrastierte. Man
sah, daß er allein im Stande war, ihm das Gleich-

gewicht

Agathon.
nicht aufgelegt war; und wenn er es ſo weit gebracht
haͤtte, ſie mit eben der Leichtigkeit und Grazie auszu-
uͤben, als ob ſie ihm angebohren waͤren ‒‒‒ aber wie
viel daran fehlte, daß er der Philoſophie ſeines Lehrers
und Freundes Platon ſoviel Ehre gemacht haͤtte, davon
finden wir in den eigenen Briefen dieſes Weiſen, und
in dem Betragen Dions in den wichtigſten Auftritten
ſeines Lebens die zuverlaͤſſigſten Beweiſe: Niemals konnte
er es dahin bringen, oder vielleicht gefiel es ihm nicht,
den Verſuch zu machen, und beydes laͤuft auf Eines
hinaus, dieſe Auſteritaͤt, dieſe Unbiegſamkeit, dieſe
wenige Gefaͤlligkeit im Umgang, welche die Herzen von
ſich zuruͤkſtieß, zu uͤberwinden. Vergebens ermahnte
ihn Plato den Huldgoͤttinnen zu opfern, und erinnerte
ihn, daß Sproͤdigkeit ſich nur fuͤr Einſiedler ſchike; Dion
bewies durch ſeine Ungelehrigkeit uͤber dieſen Punct,
daß die Philoſophie ordentlicher Weiſe uns nur die Feh-
ler vermeiden macht, zu denen wir keine Anlage ha-
ben, und uns nur in ſolchen Tugenden befeſtiget, zu
denen wir ohnehin geneigt ſind.

Jndeſſen war er nichts deſto weniger derjenige, auf
welchen ganz Sicilieu die Augen gerichtet hatte. Die
Weisheit ſeines Betragens, ſeine Abneigung von allen
Arten der ſinnlichen Ergoͤzungen, ſeine Maͤſſigung, Nuͤch-
ternheit und Frugalitaͤt, erwarben ihm deſto mehr Hoch-
achtung, je ſtaͤrker ſie mit der zuͤgelloſen Schwelgerey
und Verſchwendung des Tyrannen contraſtierte. Man
ſah, daß er allein im Stande war, ihm das Gleich-

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[94/0096] Agathon. nicht aufgelegt war; und wenn er es ſo weit gebracht haͤtte, ſie mit eben der Leichtigkeit und Grazie auszu- uͤben, als ob ſie ihm angebohren waͤren ‒‒‒ aber wie viel daran fehlte, daß er der Philoſophie ſeines Lehrers und Freundes Platon ſoviel Ehre gemacht haͤtte, davon finden wir in den eigenen Briefen dieſes Weiſen, und in dem Betragen Dions in den wichtigſten Auftritten ſeines Lebens die zuverlaͤſſigſten Beweiſe: Niemals konnte er es dahin bringen, oder vielleicht gefiel es ihm nicht, den Verſuch zu machen, und beydes laͤuft auf Eines hinaus, dieſe Auſteritaͤt, dieſe Unbiegſamkeit, dieſe wenige Gefaͤlligkeit im Umgang, welche die Herzen von ſich zuruͤkſtieß, zu uͤberwinden. Vergebens ermahnte ihn Plato den Huldgoͤttinnen zu opfern, und erinnerte ihn, daß Sproͤdigkeit ſich nur fuͤr Einſiedler ſchike; Dion bewies durch ſeine Ungelehrigkeit uͤber dieſen Punct, daß die Philoſophie ordentlicher Weiſe uns nur die Feh- ler vermeiden macht, zu denen wir keine Anlage ha- ben, und uns nur in ſolchen Tugenden befeſtiget, zu denen wir ohnehin geneigt ſind. Jndeſſen war er nichts deſto weniger derjenige, auf welchen ganz Sicilieu die Augen gerichtet hatte. Die Weisheit ſeines Betragens, ſeine Abneigung von allen Arten der ſinnlichen Ergoͤzungen, ſeine Maͤſſigung, Nuͤch- ternheit und Frugalitaͤt, erwarben ihm deſto mehr Hoch- achtung, je ſtaͤrker ſie mit der zuͤgelloſen Schwelgerey und Verſchwendung des Tyrannen contraſtierte. Man ſah, daß er allein im Stande war, ihm das Gleich- gewicht

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/96>, abgerufen am 25.11.2024.