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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
tig über eine Freyheit, in welcher sie sich niemals
lange zu erhalten wußten, weil sie Müssiggang und
Lustbarkeiten noch mehr liebten, als diese Freyheit;
und man muß gestehen, daß sie ihnen durch den schlech-
ten Gebrauch, den sie von ihr zu machen wußten,
mehr Schaden gethan hat, als ihre Tyrannen zusam-
mengenommen. Die Syracusaner hatten den Genie
der Künste und der Musen; sie waren lebhaft, sinn-
reich und zum spottenden Scherze aufgelegt; heftig
und ungestüm in ihren Bewegungen, aber so unbe-
ständig, daß sie in einem Zeitmaß von wenigen Tagen
von dem äussersten Grade der Liebe zum äussersten Haß,
und von dem würksamsten Enthusiasmus zur unthä-
tigsten Gleichgültigkeit übergehen konnten; lauter Züge,
durch welche sich, wie man weiß, die Athenienser
vor allen andern griechischen Völkern ausnahmen.
Beyde empörten sich mit eben so viel Leichtfinn gegen
die gute Regierung eines einzigen Gewalthabers, als
sie fähig waren mit der niederträchtigsten Feigheit sich
an das Joch des schlimmesten Tyrannen gewöhnen zu
lassen: Beyde kannten niemals ihr wahres Jnteresse,
und kehrten ihre Stärke immer gegen sich selbst: Muthig
und heroisch in der Widerwärtigkeit, allezeit übermüthig
im Glük, und gleich dem äsopischen Hund im Nil, im-
mer durch schimmernde Entwürfe verhindert, von ihren
gegenwärtigen Vortheilen den rechten Gebrauch zu ma-
chen: durch ihre Lage, Verfassung, und den Geist der
Handelschaft, der Spartanischen Gleichheit unfähig, aber
eben so ungeduldig, an einem Mitbürger grosse Vorzüge

an

Agathon.
tig uͤber eine Freyheit, in welcher ſie ſich niemals
lange zu erhalten wußten, weil ſie Muͤſſiggang und
Luſtbarkeiten noch mehr liebten, als dieſe Freyheit;
und man muß geſtehen, daß ſie ihnen durch den ſchlech-
ten Gebrauch, den ſie von ihr zu machen wußten,
mehr Schaden gethan hat, als ihre Tyrannen zuſam-
mengenommen. Die Syracuſaner hatten den Genie
der Kuͤnſte und der Muſen; ſie waren lebhaft, ſinn-
reich und zum ſpottenden Scherze aufgelegt; heftig
und ungeſtuͤm in ihren Bewegungen, aber ſo unbe-
ſtaͤndig, daß ſie in einem Zeitmaß von wenigen Tagen
von dem aͤuſſerſten Grade der Liebe zum aͤuſſerſten Haß,
und von dem wuͤrkſamſten Enthuſiaſmus zur unthaͤ-
tigſten Gleichguͤltigkeit uͤbergehen konnten; lauter Zuͤge,
durch welche ſich, wie man weiß, die Athenienſer
vor allen andern griechiſchen Voͤlkern ausnahmen.
Beyde empoͤrten ſich mit eben ſo viel Leichtfinn gegen
die gute Regierung eines einzigen Gewalthabers, als
ſie faͤhig waren mit der niedertraͤchtigſten Feigheit ſich
an das Joch des ſchlimmeſten Tyrannen gewoͤhnen zu
laſſen: Beyde kannten niemals ihr wahres Jntereſſe,
und kehrten ihre Staͤrke immer gegen ſich ſelbſt: Muthig
und heroiſch in der Widerwaͤrtigkeit, allezeit uͤbermuͤthig
im Gluͤk, und gleich dem aͤſopiſchen Hund im Nil, im-
mer durch ſchimmernde Entwuͤrfe verhindert, von ihren
gegenwaͤrtigen Vortheilen den rechten Gebrauch zu ma-
chen: durch ihre Lage, Verfaſſung, und den Geiſt der
Handelſchaft, der Spartaniſchen Gleichheit unfaͤhig, aber
eben ſo ungeduldig, an einem Mitbuͤrger groſſe Vorzuͤge

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[84/0086] Agathon. tig uͤber eine Freyheit, in welcher ſie ſich niemals lange zu erhalten wußten, weil ſie Muͤſſiggang und Luſtbarkeiten noch mehr liebten, als dieſe Freyheit; und man muß geſtehen, daß ſie ihnen durch den ſchlech- ten Gebrauch, den ſie von ihr zu machen wußten, mehr Schaden gethan hat, als ihre Tyrannen zuſam- mengenommen. Die Syracuſaner hatten den Genie der Kuͤnſte und der Muſen; ſie waren lebhaft, ſinn- reich und zum ſpottenden Scherze aufgelegt; heftig und ungeſtuͤm in ihren Bewegungen, aber ſo unbe- ſtaͤndig, daß ſie in einem Zeitmaß von wenigen Tagen von dem aͤuſſerſten Grade der Liebe zum aͤuſſerſten Haß, und von dem wuͤrkſamſten Enthuſiaſmus zur unthaͤ- tigſten Gleichguͤltigkeit uͤbergehen konnten; lauter Zuͤge, durch welche ſich, wie man weiß, die Athenienſer vor allen andern griechiſchen Voͤlkern ausnahmen. Beyde empoͤrten ſich mit eben ſo viel Leichtfinn gegen die gute Regierung eines einzigen Gewalthabers, als ſie faͤhig waren mit der niedertraͤchtigſten Feigheit ſich an das Joch des ſchlimmeſten Tyrannen gewoͤhnen zu laſſen: Beyde kannten niemals ihr wahres Jntereſſe, und kehrten ihre Staͤrke immer gegen ſich ſelbſt: Muthig und heroiſch in der Widerwaͤrtigkeit, allezeit uͤbermuͤthig im Gluͤk, und gleich dem aͤſopiſchen Hund im Nil, im- mer durch ſchimmernde Entwuͤrfe verhindert, von ihren gegenwaͤrtigen Vortheilen den rechten Gebrauch zu ma- chen: durch ihre Lage, Verfaſſung, und den Geiſt der Handelſchaft, der Spartaniſchen Gleichheit unfaͤhig, aber eben ſo ungeduldig, an einem Mitbuͤrger groſſe Vorzuͤge an

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/86>, abgerufen am 25.11.2024.