Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
ist, einen Mann von Verdiensten seines eignen Werths
vergessen zu machen.

Eine alltägliche Anmerkung werden Kenner denken,
welche weder mehr noch weniger sagt, als was Gay
in einer seiner Fabeln tausend mal schöner gesagt hat,
und was wir alle längst wissen --- daß die Eitelkeit die
wahre Triebfeder aller Bewegungen des weiblichen Her-
zens ist --- Wir erkennen unsern Fehler, ohne gleich-
wohl den Kennern einzugestehn, daß unsre Anmerkung
so viel sage. Aber nichts mehr hievon!

Hingegen können wir unsern besagten Leserinnen,
um sie wieder gut zu machen, eine kleine Anecdote
aus dem Herzen unsers Helden nicht verhalten, und
wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen sollte,
die Hochachtung wieder zu verliehren, in die er sich bey
den ehrwürdigen Damen, welche nie geliebt haben,
und, Dank sey dem Himmel! nie geliebt worden sind,
wieder zu sezen angefangen hat. Hier ist sie ---

So vergnügt Agathon über seine Entweichung aus
seiner angenehmen Gefangenschaft in Smyrna, und in
diesem Stüke mit sich selbst war; so wenig die Bezau-
berung, unter welcher wir ihn gesehen haben, die
characteristische Leidenschaft schöner Seelen, die Liebe
der Tugend, in ihm zu erstiken vermocht hatte; so auf-
richtig die Gelübde waren, die er that, ihr künftig
nicht wieder ungetreu zu werden; so groß und wichtig

die

Agathon.
iſt, einen Mann von Verdienſten ſeines eignen Werths
vergeſſen zu machen.

Eine alltaͤgliche Anmerkung werden Kenner denken,
welche weder mehr noch weniger ſagt, als was Gay
in einer ſeiner Fabeln tauſend mal ſchoͤner geſagt hat,
und was wir alle laͤngſt wiſſen ‒‒‒ daß die Eitelkeit die
wahre Triebfeder aller Bewegungen des weiblichen Her-
zens iſt ‒‒‒ Wir erkennen unſern Fehler, ohne gleich-
wohl den Kennern einzugeſtehn, daß unſre Anmerkung
ſo viel ſage. Aber nichts mehr hievon!

Hingegen koͤnnen wir unſern beſagten Leſerinnen,
um ſie wieder gut zu machen, eine kleine Anecdote
aus dem Herzen unſers Helden nicht verhalten, und
wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen ſollte,
die Hochachtung wieder zu verliehren, in die er ſich bey
den ehrwuͤrdigen Damen, welche nie geliebt haben,
und, Dank ſey dem Himmel! nie geliebt worden ſind,
wieder zu ſezen angefangen hat. Hier iſt ſie ‒‒‒

So vergnuͤgt Agathon uͤber ſeine Entweichung aus
ſeiner angenehmen Gefangenſchaft in Smyrna, und in
dieſem Stuͤke mit ſich ſelbſt war; ſo wenig die Bezau-
berung, unter welcher wir ihn geſehen haben, die
characteriſtiſche Leidenſchaft ſchoͤner Seelen, die Liebe
der Tugend, in ihm zu erſtiken vermocht hatte; ſo auf-
richtig die Geluͤbde waren, die er that, ihr kuͤnftig
nicht wieder ungetreu zu werden; ſo groß und wichtig

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0072" n="70"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
i&#x017F;t, einen Mann von Verdien&#x017F;ten &#x017F;eines eignen Werths<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en zu machen.</p><lb/>
            <p>Eine allta&#x0364;gliche Anmerkung werden Kenner denken,<lb/>
welche weder mehr noch weniger &#x017F;agt, als was Gay<lb/>
in einer &#x017F;einer Fabeln tau&#x017F;end mal &#x017F;cho&#x0364;ner ge&#x017F;agt hat,<lb/>
und was wir alle la&#x0364;ng&#x017F;t wi&#x017F;&#x017F;en &#x2012;&#x2012;&#x2012; daß die Eitelkeit die<lb/>
wahre Triebfeder aller Bewegungen des weiblichen Her-<lb/>
zens i&#x017F;t &#x2012;&#x2012;&#x2012; Wir erkennen un&#x017F;ern Fehler, ohne gleich-<lb/>
wohl den Kennern einzuge&#x017F;tehn, daß un&#x017F;re Anmerkung<lb/>
&#x017F;o viel &#x017F;age. Aber nichts mehr hievon!</p><lb/>
            <p>Hingegen ko&#x0364;nnen wir un&#x017F;ern be&#x017F;agten Le&#x017F;erinnen,<lb/>
um &#x017F;ie wieder gut zu machen, eine kleine Anecdote<lb/>
aus dem Herzen un&#x017F;ers Helden nicht verhalten, und<lb/>
wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen &#x017F;ollte,<lb/>
die Hochachtung wieder zu verliehren, in die er &#x017F;ich bey<lb/>
den ehrwu&#x0364;rdigen Damen, welche nie geliebt haben,<lb/>
und, Dank &#x017F;ey dem Himmel! nie geliebt worden &#x017F;ind,<lb/>
wieder zu &#x017F;ezen angefangen hat. Hier i&#x017F;t &#x017F;ie &#x2012;&#x2012;&#x2012;</p><lb/>
            <p>So vergnu&#x0364;gt Agathon u&#x0364;ber &#x017F;eine Entweichung aus<lb/>
&#x017F;einer angenehmen Gefangen&#x017F;chaft in Smyrna, und in<lb/>
die&#x017F;em Stu&#x0364;ke mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t war; &#x017F;o wenig die Bezau-<lb/>
berung, unter welcher wir ihn ge&#x017F;ehen haben, die<lb/>
characteri&#x017F;ti&#x017F;che Leiden&#x017F;chaft &#x017F;cho&#x0364;ner Seelen, die Liebe<lb/>
der Tugend, in ihm zu er&#x017F;tiken vermocht hatte; &#x017F;o auf-<lb/>
richtig die Gelu&#x0364;bde waren, die er that, ihr ku&#x0364;nftig<lb/>
nicht wieder ungetreu zu werden; &#x017F;o groß und wichtig<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0072] Agathon. iſt, einen Mann von Verdienſten ſeines eignen Werths vergeſſen zu machen. Eine alltaͤgliche Anmerkung werden Kenner denken, welche weder mehr noch weniger ſagt, als was Gay in einer ſeiner Fabeln tauſend mal ſchoͤner geſagt hat, und was wir alle laͤngſt wiſſen ‒‒‒ daß die Eitelkeit die wahre Triebfeder aller Bewegungen des weiblichen Her- zens iſt ‒‒‒ Wir erkennen unſern Fehler, ohne gleich- wohl den Kennern einzugeſtehn, daß unſre Anmerkung ſo viel ſage. Aber nichts mehr hievon! Hingegen koͤnnen wir unſern beſagten Leſerinnen, um ſie wieder gut zu machen, eine kleine Anecdote aus dem Herzen unſers Helden nicht verhalten, und wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen ſollte, die Hochachtung wieder zu verliehren, in die er ſich bey den ehrwuͤrdigen Damen, welche nie geliebt haben, und, Dank ſey dem Himmel! nie geliebt worden ſind, wieder zu ſezen angefangen hat. Hier iſt ſie ‒‒‒ So vergnuͤgt Agathon uͤber ſeine Entweichung aus ſeiner angenehmen Gefangenſchaft in Smyrna, und in dieſem Stuͤke mit ſich ſelbſt war; ſo wenig die Bezau- berung, unter welcher wir ihn geſehen haben, die characteriſtiſche Leidenſchaft ſchoͤner Seelen, die Liebe der Tugend, in ihm zu erſtiken vermocht hatte; ſo auf- richtig die Geluͤbde waren, die er that, ihr kuͤnftig nicht wieder ungetreu zu werden; ſo groß und wichtig die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/72
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/72>, abgerufen am 22.11.2024.