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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
bindung und Harmonie zwischen den Theilen und dem
Ganzen herzustellen.

Doch dieser Aufschub war in dem besondern Falle,
worinn sich Agathon befand, desto weniger schädlich,
da er, von der Schönheit der Tugend und der unauf-
löslichen Verbindlichkeit ihrer Geseze mehr als jemals
überzeugt, eine auf das wahre allgemeine Beste gerich-
tete Würksamkeit für die Bestimmung aller Menschen,
oder wofern ja einige Ausnahme zu Gunsten der bloß
contemplativen Geister zu machen wäre, doch gewiß für
die seinige hielt. Vormals war er nur zufälliger
Weise, und gegen seine Neigung in das active Leben
verflochten worden: izo war es eine Folge seiner nun-
mehrigen, und wie er glaubte geläuterten Denkungs-
Art, daß er sich dazu entschloß. Ein sanftes Entzüken,
welches ihm in diesen Augenbliken den süssesten Be-
rauschungen der Wollust unendlich vorzuziehen schien,
ergoß sich durch sein ganzes Wesen bey dem Gedanken,
der Mitarbeiter an der Wiedereinsezung Siciliens in
die unendlichen Vortheile der wahren Freyheit und einer
durch weise Geseze und Austalten verewigten Verfassung
zu seyn --- Seine immer verschönernde Phantasie mahlte
ihm die Folgen seiner Bemühungen in tausend reizende
Bilder von öffentlicher Glükseligkeit aus --- er fühlte
mit Entzüken die Kräfte zu einer so edeln Arbeit in sich;
und sein Vergnügen war desto vollkommener, da er zu-
gleich empfand, daß Herrschsucht und eitle Ruhm-
Begierde keinen Antheil daran hatten; daß es die tu-

gendhafte

Agathon.
bindung und Harmonie zwiſchen den Theilen und dem
Ganzen herzuſtellen.

Doch dieſer Aufſchub war in dem beſondern Falle,
worinn ſich Agathon befand, deſto weniger ſchaͤdlich,
da er, von der Schoͤnheit der Tugend und der unauf-
loͤslichen Verbindlichkeit ihrer Geſeze mehr als jemals
uͤberzeugt, eine auf das wahre allgemeine Beſte gerich-
tete Wuͤrkſamkeit fuͤr die Beſtimmung aller Menſchen,
oder wofern ja einige Ausnahme zu Gunſten der bloß
contemplativen Geiſter zu machen waͤre, doch gewiß fuͤr
die ſeinige hielt. Vormals war er nur zufaͤlliger
Weiſe, und gegen ſeine Neigung in das active Leben
verflochten worden: izo war es eine Folge ſeiner nun-
mehrigen, und wie er glaubte gelaͤuterten Denkungs-
Art, daß er ſich dazu entſchloß. Ein ſanftes Entzuͤken,
welches ihm in dieſen Augenbliken den ſuͤſſeſten Be-
rauſchungen der Wolluſt unendlich vorzuziehen ſchien,
ergoß ſich durch ſein ganzes Weſen bey dem Gedanken,
der Mitarbeiter an der Wiedereinſezung Siciliens in
die unendlichen Vortheile der wahren Freyheit und einer
durch weiſe Geſeze und Auſtalten verewigten Verfaſſung
zu ſeyn ‒‒‒ Seine immer verſchoͤnernde Phantaſie mahlte
ihm die Folgen ſeiner Bemuͤhungen in tauſend reizende
Bilder von oͤffentlicher Gluͤkſeligkeit aus ‒‒‒ er fuͤhlte
mit Entzuͤken die Kraͤfte zu einer ſo edeln Arbeit in ſich;
und ſein Vergnuͤgen war deſto vollkommener, da er zu-
gleich empfand, daß Herrſchſucht und eitle Ruhm-
Begierde keinen Antheil daran hatten; daß es die tu-

gendhafte
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[66/0068] Agathon. bindung und Harmonie zwiſchen den Theilen und dem Ganzen herzuſtellen. Doch dieſer Aufſchub war in dem beſondern Falle, worinn ſich Agathon befand, deſto weniger ſchaͤdlich, da er, von der Schoͤnheit der Tugend und der unauf- loͤslichen Verbindlichkeit ihrer Geſeze mehr als jemals uͤberzeugt, eine auf das wahre allgemeine Beſte gerich- tete Wuͤrkſamkeit fuͤr die Beſtimmung aller Menſchen, oder wofern ja einige Ausnahme zu Gunſten der bloß contemplativen Geiſter zu machen waͤre, doch gewiß fuͤr die ſeinige hielt. Vormals war er nur zufaͤlliger Weiſe, und gegen ſeine Neigung in das active Leben verflochten worden: izo war es eine Folge ſeiner nun- mehrigen, und wie er glaubte gelaͤuterten Denkungs- Art, daß er ſich dazu entſchloß. Ein ſanftes Entzuͤken, welches ihm in dieſen Augenbliken den ſuͤſſeſten Be- rauſchungen der Wolluſt unendlich vorzuziehen ſchien, ergoß ſich durch ſein ganzes Weſen bey dem Gedanken, der Mitarbeiter an der Wiedereinſezung Siciliens in die unendlichen Vortheile der wahren Freyheit und einer durch weiſe Geſeze und Auſtalten verewigten Verfaſſung zu ſeyn ‒‒‒ Seine immer verſchoͤnernde Phantaſie mahlte ihm die Folgen ſeiner Bemuͤhungen in tauſend reizende Bilder von oͤffentlicher Gluͤkſeligkeit aus ‒‒‒ er fuͤhlte mit Entzuͤken die Kraͤfte zu einer ſo edeln Arbeit in ſich; und ſein Vergnuͤgen war deſto vollkommener, da er zu- gleich empfand, daß Herrſchſucht und eitle Ruhm- Begierde keinen Antheil daran hatten; daß es die tu- gendhafte

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/68>, abgerufen am 22.11.2024.