Ein glüklicher Zufall -- doch, warum wollen wir dem Zufall zuschreiben, was uns beweisen sollte, daß eine unsichtbare Macht ist, welche sich immer be- reit zeigt, der sinkenden Tugend die Hand zu reichen -- fügte es daß Agathon, in diesem zweifelhaften Augen- blik unter dem Gedränge der Fremden, welche die Han- delschaft von allen Welt-Gegenden her nach Smyrna führte, einen Mann erblikte, den er zu Athen vertrau- lich gekannt, und durch beträchliche Dienstleistungen sich zu verbinden Gelegenheit gehabt hatte. Es war ein Kaufmann von Syracus, der mit den Geschiklichkeiten seiner Profession, einen rechtschaffenen Character, und, was bey uns, in der einen Hälfte des deutschen Reichs wenigstens, eine grosse Seltenheit ist, mit beyden die Liebe der Musen verband; Eigenschaften, welche ihn dem Agathon desto angenehmer, so wie sie ihn desto fähiger gemacht hatten, den Werth Agathons zu schäzen. Der Syracusaner bezeugte die lebhafteste Freude über eine so angenehm überraschende Zusammenkunft, und bot unserm Helden seine Dienste mit derjenigen Art an, welche beweißt, daß man begierig ist, sie angenommen zu sehen; denn Agathons Verbannung von Athen war eine zu bekannte Sache, als daß sie in irgend einem Theil von Griechenlande hätte unbekannt seyn können.
Nach einigen Fragen, und Gegenfragen, wie sie un- ter Freunden gewöhnlich sind, die sich nach einer ge- raumen Trennung unvermuthet zusammenfinden, berich-
tete
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Achtes Buch, fuͤnftes Capitel.
Ein gluͤklicher Zufall — doch, warum wollen wir dem Zufall zuſchreiben, was uns beweiſen ſollte, daß eine unſichtbare Macht iſt, welche ſich immer be- reit zeigt, der ſinkenden Tugend die Hand zu reichen — fuͤgte es daß Agathon, in dieſem zweifelhaften Augen- blik unter dem Gedraͤnge der Fremden, welche die Han- delſchaft von allen Welt-Gegenden her nach Smyrna fuͤhrte, einen Mann erblikte, den er zu Athen vertrau- lich gekannt, und durch betraͤchliche Dienſtleiſtungen ſich zu verbinden Gelegenheit gehabt hatte. Es war ein Kaufmann von Syracus, der mit den Geſchiklichkeiten ſeiner Profeſſion, einen rechtſchaffenen Character, und, was bey uns, in der einen Haͤlfte des deutſchen Reichs wenigſtens, eine groſſe Seltenheit iſt, mit beyden die Liebe der Muſen verband; Eigenſchaften, welche ihn dem Agathon deſto angenehmer, ſo wie ſie ihn deſto faͤhiger gemacht hatten, den Werth Agathons zu ſchaͤzen. Der Syracuſaner bezeugte die lebhafteſte Freude uͤber eine ſo angenehm uͤberraſchende Zuſammenkunft, und bot unſerm Helden ſeine Dienſte mit derjenigen Art an, welche beweißt, daß man begierig iſt, ſie angenommen zu ſehen; denn Agathons Verbannung von Athen war eine zu bekannte Sache, als daß ſie in irgend einem Theil von Griechenlande haͤtte unbekannt ſeyn koͤnnen.
Nach einigen Fragen, und Gegenfragen, wie ſie un- ter Freunden gewoͤhnlich ſind, die ſich nach einer ge- raumen Trennung unvermuthet zuſammenfinden, berich-
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Achtes Buch, fuͤnftes Capitel.
Ein gluͤklicher Zufall — doch, warum wollen
wir dem Zufall zuſchreiben, was uns beweiſen ſollte,
daß eine unſichtbare Macht iſt, welche ſich immer be-
reit zeigt, der ſinkenden Tugend die Hand zu reichen —
fuͤgte es daß Agathon, in dieſem zweifelhaften Augen-
blik unter dem Gedraͤnge der Fremden, welche die Han-
delſchaft von allen Welt-Gegenden her nach Smyrna
fuͤhrte, einen Mann erblikte, den er zu Athen vertrau-
lich gekannt, und durch betraͤchliche Dienſtleiſtungen ſich
zu verbinden Gelegenheit gehabt hatte. Es war ein
Kaufmann von Syracus, der mit den Geſchiklichkeiten
ſeiner Profeſſion, einen rechtſchaffenen Character, und,
was bey uns, in der einen Haͤlfte des deutſchen Reichs
wenigſtens, eine groſſe Seltenheit iſt, mit beyden die
Liebe der Muſen verband; Eigenſchaften, welche ihn
dem Agathon deſto angenehmer, ſo wie ſie ihn deſto
faͤhiger gemacht hatten, den Werth Agathons zu ſchaͤzen.
Der Syracuſaner bezeugte die lebhafteſte Freude uͤber
eine ſo angenehm uͤberraſchende Zuſammenkunft, und
bot unſerm Helden ſeine Dienſte mit derjenigen Art an,
welche beweißt, daß man begierig iſt, ſie angenommen
zu ſehen; denn Agathons Verbannung von Athen war
eine zu bekannte Sache, als daß ſie in irgend einem
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/53>, abgerufen am 22.11.2024.
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