Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
Agathon.
Fünftes Capitel.
Schwachheit des Agathon; unverhofter Zufall,
der seine Entschliessungen bestimmt.

Wir kommen zu unserm Agathon zurük, den wir zu
Ende des vierten Capitels auf dem Wege nach dem Ha-
ven von Smyrna verlassen haben.

Man konnte nicht entschlossener seyn, als er es beym
Ausgehen war; das erste Fahrzeug, das er zum Aus-
lauffen fertig antreffen würde, zu besteigen, und hätte
es ihn auch zu den Antipoden führen sollen. Allein --
so groß ist die Schwäche des menschlichen Herzens! --
da er angelangt war, und eine Menge von Schiffen
vor den Augen hatte, welche nur auf das Zeichen den
Anker zu heben wartete: So hätte wenig gefehlt, daß
er wieder umgekehrt wäre, um, anstatt vor der schönen
Danae zu fliehen, ihr mit aller Sehnsucht eines ent-
flammten Liebhabers in die Arme zu fliegen.

Doch, wir wollen billig seyn; eine Danae verdiente
wol, daß ihn der Entschluß sie zu verlassen, mehr als
einen flüchtigen Seufzer kostete; und es war sehr natür-
lich, daß er, im Begriff seinen tugendhaften Vorsaz
ins Werk zu sezen, einen Blik ins Vergangene zurük-
warf, und sich diese Glükseligkeiten lebhafter vorstellte,
denen er nun freywillig entsagen wollte, um sich von

neuem,
Agathon.
Fuͤnftes Capitel.
Schwachheit des Agathon; unverhofter Zufall,
der ſeine Entſchlieſſungen beſtimmt.

Wir kommen zu unſerm Agathon zuruͤk, den wir zu
Ende des vierten Capitels auf dem Wege nach dem Ha-
ven von Smyrna verlaſſen haben.

Man konnte nicht entſchloſſener ſeyn, als er es beym
Ausgehen war; das erſte Fahrzeug, das er zum Aus-
lauffen fertig antreffen wuͤrde, zu beſteigen, und haͤtte
es ihn auch zu den Antipoden fuͤhren ſollen. Allein —
ſo groß iſt die Schwaͤche des menſchlichen Herzens! —
da er angelangt war, und eine Menge von Schiffen
vor den Augen hatte, welche nur auf das Zeichen den
Anker zu heben wartete: So haͤtte wenig gefehlt, daß
er wieder umgekehrt waͤre, um, anſtatt vor der ſchoͤnen
Danae zu fliehen, ihr mit aller Sehnſucht eines ent-
flammten Liebhabers in die Arme zu fliegen.

Doch, wir wollen billig ſeyn; eine Danae verdiente
wol, daß ihn der Entſchluß ſie zu verlaſſen, mehr als
einen fluͤchtigen Seufzer koſtete; und es war ſehr natuͤr-
lich, daß er, im Begriff ſeinen tugendhaften Vorſaz
ins Werk zu ſezen, einen Blik ins Vergangene zuruͤk-
warf, und ſich dieſe Gluͤkſeligkeiten lebhafter vorſtellte,
denen er nun freywillig entſagen wollte, um ſich von

neuem,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0050" n="48"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Agathon.</hi> </hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Fu&#x0364;nftes Capitel.</hi><lb/>
Schwachheit des Agathon; unverhofter Zufall,<lb/>
der &#x017F;eine Ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;ungen be&#x017F;timmt.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">W</hi>ir kommen zu un&#x017F;erm Agathon zuru&#x0364;k, den wir zu<lb/>
Ende des vierten Capitels auf dem Wege nach dem Ha-<lb/>
ven von Smyrna verla&#x017F;&#x017F;en haben.</p><lb/>
            <p>Man konnte nicht ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ener &#x017F;eyn, als er es beym<lb/>
Ausgehen war; das er&#x017F;te Fahrzeug, das er zum Aus-<lb/>
lauffen fertig antreffen wu&#x0364;rde, zu be&#x017F;teigen, und ha&#x0364;tte<lb/>
es ihn auch zu den Antipoden fu&#x0364;hren &#x017F;ollen. Allein &#x2014;<lb/>
&#x017F;o groß i&#x017F;t die Schwa&#x0364;che des men&#x017F;chlichen Herzens! &#x2014;<lb/>
da er angelangt war, und eine Menge von Schiffen<lb/>
vor den Augen hatte, welche nur auf das Zeichen den<lb/>
Anker zu heben wartete: So ha&#x0364;tte wenig gefehlt, daß<lb/>
er wieder umgekehrt wa&#x0364;re, um, an&#x017F;tatt vor der &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Danae zu fliehen, ihr mit aller Sehn&#x017F;ucht eines ent-<lb/>
flammten Liebhabers in die Arme zu fliegen.</p><lb/>
            <p>Doch, wir wollen billig &#x017F;eyn; eine Danae verdiente<lb/>
wol, daß ihn der Ent&#x017F;chluß &#x017F;ie zu verla&#x017F;&#x017F;en, mehr als<lb/>
einen flu&#x0364;chtigen Seufzer ko&#x017F;tete; und es war &#x017F;ehr natu&#x0364;r-<lb/>
lich, daß er, im Begriff &#x017F;einen tugendhaften Vor&#x017F;az<lb/>
ins Werk zu &#x017F;ezen, einen Blik ins Vergangene zuru&#x0364;k-<lb/>
warf, und &#x017F;ich die&#x017F;e Glu&#x0364;k&#x017F;eligkeiten lebhafter vor&#x017F;tellte,<lb/>
denen er nun freywillig ent&#x017F;agen wollte, um &#x017F;ich von<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">neuem,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0050] Agathon. Fuͤnftes Capitel. Schwachheit des Agathon; unverhofter Zufall, der ſeine Entſchlieſſungen beſtimmt. Wir kommen zu unſerm Agathon zuruͤk, den wir zu Ende des vierten Capitels auf dem Wege nach dem Ha- ven von Smyrna verlaſſen haben. Man konnte nicht entſchloſſener ſeyn, als er es beym Ausgehen war; das erſte Fahrzeug, das er zum Aus- lauffen fertig antreffen wuͤrde, zu beſteigen, und haͤtte es ihn auch zu den Antipoden fuͤhren ſollen. Allein — ſo groß iſt die Schwaͤche des menſchlichen Herzens! — da er angelangt war, und eine Menge von Schiffen vor den Augen hatte, welche nur auf das Zeichen den Anker zu heben wartete: So haͤtte wenig gefehlt, daß er wieder umgekehrt waͤre, um, anſtatt vor der ſchoͤnen Danae zu fliehen, ihr mit aller Sehnſucht eines ent- flammten Liebhabers in die Arme zu fliegen. Doch, wir wollen billig ſeyn; eine Danae verdiente wol, daß ihn der Entſchluß ſie zu verlaſſen, mehr als einen fluͤchtigen Seufzer koſtete; und es war ſehr natuͤr- lich, daß er, im Begriff ſeinen tugendhaften Vorſaz ins Werk zu ſezen, einen Blik ins Vergangene zuruͤk- warf, und ſich dieſe Gluͤkſeligkeiten lebhafter vorſtellte, denen er nun freywillig entſagen wollte, um ſich von neuem,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/50
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/50>, abgerufen am 24.11.2024.