Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Buch, drittes Capitel.
Weise alles, was zu uns selbst gehört, zu sehen ge-
wohnt sind.

Allein Danae gewann wenig bey dieser ruhigern Ver-
fassung seines Herzens. Jhre Vollkommenheiten recht-
fertigten zwar die hohe Meynung die er von ihrem
Character gefasset hatte, und beydes, die Grösse seiner
Leidenschaft; er vergab sich selbst, sie so sehr geliebet zu
haben, so lang er Ursache gehabt hatte, die Schönheit
ihrer Seele für eben so ungemein zu halten als es die
Reizungen ihrer Person waren: Aber sie verlohr mit
dem Recht an seine Hochachtung alle Gewalt über sein
Herz. Der Entschluß sie zu verlassen war die natürliche
Folge davon, und dieser kostete ihn, da er ihn faßte,
nur nicht einen Seufzer; so tief war die Verachtung,
wovon er sich gegen sie durchdrungen fühlte. Die Erin-
nerung dessen was er gewesen war, das Gefühl dessen
was er wieder seyn könne, sobald er wolle, machte
ihm den Gedanken unerträglich, nur einen Augenblik
länger der Sclave einer andern Circe zu seyn, die durch
eine schändlichere Verwandlung als irgend eine von
denen welche die Gefährten des Ulysses erdulden mußten,
den Helden der Tugend in einen müssigen Wollüstling ver-
wandelt hatte.

Bey so bewandten Umständen war es nicht rathsam,
ihre Wiederkunft zu erwarten, welche, nach ihrem Be-
richt, längstens in dreyen Tagen erfolgen sollte. Denn sie

hatte
C 3

Achtes Buch, drittes Capitel.
Weiſe alles, was zu uns ſelbſt gehoͤrt, zu ſehen ge-
wohnt ſind.

Allein Danae gewann wenig bey dieſer ruhigern Ver-
faſſung ſeines Herzens. Jhre Vollkommenheiten recht-
fertigten zwar die hohe Meynung die er von ihrem
Character gefaſſet hatte, und beydes, die Groͤſſe ſeiner
Leidenſchaft; er vergab ſich ſelbſt, ſie ſo ſehr geliebet zu
haben, ſo lang er Urſache gehabt hatte, die Schoͤnheit
ihrer Seele fuͤr eben ſo ungemein zu halten als es die
Reizungen ihrer Perſon waren: Aber ſie verlohr mit
dem Recht an ſeine Hochachtung alle Gewalt uͤber ſein
Herz. Der Entſchluß ſie zu verlaſſen war die natuͤrliche
Folge davon, und dieſer koſtete ihn, da er ihn faßte,
nur nicht einen Seufzer; ſo tief war die Verachtung,
wovon er ſich gegen ſie durchdrungen fuͤhlte. Die Erin-
nerung deſſen was er geweſen war, das Gefuͤhl deſſen
was er wieder ſeyn koͤnne, ſobald er wolle, machte
ihm den Gedanken unertraͤglich, nur einen Augenblik
laͤnger der Sclave einer andern Circe zu ſeyn, die durch
eine ſchaͤndlichere Verwandlung als irgend eine von
denen welche die Gefaͤhrten des Ulyſſes erdulden mußten,
den Helden der Tugend in einen muͤſſigen Wolluͤſtling ver-
wandelt hatte.

Bey ſo bewandten Umſtaͤnden war es nicht rathſam,
ihre Wiederkunft zu erwarten, welche, nach ihrem Be-
richt, laͤngſtens in dreyen Tagen erfolgen ſollte. Denn ſie

hatte
C 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0039" n="37"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Buch, drittes Capitel.</hi></fw><lb/>
Wei&#x017F;e alles, was zu uns &#x017F;elb&#x017F;t geho&#x0364;rt, zu &#x017F;ehen ge-<lb/>
wohnt &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>Allein Danae gewann wenig bey die&#x017F;er ruhigern Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;eines Herzens. Jhre Vollkommenheiten recht-<lb/>
fertigten zwar die hohe Meynung die er von ihrem<lb/>
Character gefa&#x017F;&#x017F;et hatte, und beydes, die Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e &#x017F;einer<lb/>
Leiden&#x017F;chaft; er vergab &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;ehr geliebet zu<lb/>
haben, &#x017F;o lang er Ur&#x017F;ache gehabt hatte, die Scho&#x0364;nheit<lb/>
ihrer Seele fu&#x0364;r eben &#x017F;o ungemein zu halten als es die<lb/>
Reizungen ihrer Per&#x017F;on waren: Aber &#x017F;ie verlohr mit<lb/>
dem Recht an &#x017F;eine Hochachtung alle Gewalt u&#x0364;ber &#x017F;ein<lb/>
Herz. Der Ent&#x017F;chluß &#x017F;ie zu verla&#x017F;&#x017F;en war die natu&#x0364;rliche<lb/>
Folge davon, und die&#x017F;er ko&#x017F;tete ihn, da er ihn faßte,<lb/>
nur nicht einen Seufzer; &#x017F;o tief war die Verachtung,<lb/>
wovon er &#x017F;ich gegen &#x017F;ie durchdrungen fu&#x0364;hlte. Die Erin-<lb/>
nerung de&#x017F;&#x017F;en was er gewe&#x017F;en war, das Gefu&#x0364;hl de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
was er wieder &#x017F;eyn ko&#x0364;nne, &#x017F;obald er wolle, machte<lb/>
ihm den Gedanken unertra&#x0364;glich, nur einen Augenblik<lb/>
la&#x0364;nger der Sclave einer andern Circe zu &#x017F;eyn, die durch<lb/>
eine &#x017F;cha&#x0364;ndlichere Verwandlung als irgend eine von<lb/>
denen welche die Gefa&#x0364;hrten des Uly&#x017F;&#x017F;es erdulden mußten,<lb/>
den Helden der Tugend in einen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Wollu&#x0364;&#x017F;tling ver-<lb/>
wandelt hatte.</p><lb/>
            <p>Bey &#x017F;o bewandten Um&#x017F;ta&#x0364;nden war es nicht rath&#x017F;am,<lb/>
ihre Wiederkunft zu erwarten, welche, nach ihrem Be-<lb/>
richt, la&#x0364;ng&#x017F;tens in dreyen Tagen erfolgen &#x017F;ollte. Denn &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 3</fw><fw place="bottom" type="catch">hatte</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0039] Achtes Buch, drittes Capitel. Weiſe alles, was zu uns ſelbſt gehoͤrt, zu ſehen ge- wohnt ſind. Allein Danae gewann wenig bey dieſer ruhigern Ver- faſſung ſeines Herzens. Jhre Vollkommenheiten recht- fertigten zwar die hohe Meynung die er von ihrem Character gefaſſet hatte, und beydes, die Groͤſſe ſeiner Leidenſchaft; er vergab ſich ſelbſt, ſie ſo ſehr geliebet zu haben, ſo lang er Urſache gehabt hatte, die Schoͤnheit ihrer Seele fuͤr eben ſo ungemein zu halten als es die Reizungen ihrer Perſon waren: Aber ſie verlohr mit dem Recht an ſeine Hochachtung alle Gewalt uͤber ſein Herz. Der Entſchluß ſie zu verlaſſen war die natuͤrliche Folge davon, und dieſer koſtete ihn, da er ihn faßte, nur nicht einen Seufzer; ſo tief war die Verachtung, wovon er ſich gegen ſie durchdrungen fuͤhlte. Die Erin- nerung deſſen was er geweſen war, das Gefuͤhl deſſen was er wieder ſeyn koͤnne, ſobald er wolle, machte ihm den Gedanken unertraͤglich, nur einen Augenblik laͤnger der Sclave einer andern Circe zu ſeyn, die durch eine ſchaͤndlichere Verwandlung als irgend eine von denen welche die Gefaͤhrten des Ulyſſes erdulden mußten, den Helden der Tugend in einen muͤſſigen Wolluͤſtling ver- wandelt hatte. Bey ſo bewandten Umſtaͤnden war es nicht rathſam, ihre Wiederkunft zu erwarten, welche, nach ihrem Be- richt, laͤngſtens in dreyen Tagen erfolgen ſollte. Denn ſie hatte C 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/39
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/39>, abgerufen am 21.11.2024.