Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
auf die Zeit, da sein Umgang und die Begeistrung,
worein sie durch ihn allein zum ersten mal in ihrem
Leben gesezt worden, ihrer Seele wie ein neues Wesen
gegeben, zu machen -- er Ursache finden würde sie,
wo nicht immer zu entschuldigen, doch mehr zu be-
dauren als zu verdammen. Die Furcht, den Gedanken
in ihr zu veranlassen, als ob sie durch das was ehmals
zwischen ihnen vorgegangen war, von seiner Hochachtung
verlohren hätte, zwang unsern Helden eine geraume
Zeit, die Lebhaftigkeit seiner Empfindungen in seinem
Herzen zu verschliessen. Danae wurde indessen mit der
Familie des Archytas bekannt, man mußte sie lieben,
sobald man sie sah; und sie gewann desto mehr dabey,
je besser man sie kennen lernte. Es war überdieß eine
von ihren Gaben, daß sie sich sehr leicht und mit der
besten Art in alle Personen, Umstände und Lebens-Ar-
ten schiken konnte. Wie konnte es also anders seyn,
als daß sie in kurzem durch die zärtlichste Freundschaft
mit dieser liebenswürdigen Familie verbunden werden
mußte? Selbst der weise Archytas liebte ihre Gesell-
schaft, und sie machte sich ein Vergnügen daraus, einem
alten Manne von so seltnen Verdiensten die Beschwer-
den des hohen Alters durch die Annehmlichkeiten ihres
Umgangs erleichtern zu helfen. Aber nichts war der
Liebe zu vergleichen, welche Psyche und Danae einan-
der einflößten. Niemalen hat vielleicht unter zwo
Frauenzimmern, welche so geschikt waren, Rivalinnen
zu seyn, eine so zärtliche, und vollkommne Freundschaft
geherrschet. Man kann sich einbilden, ob Agathon dabey

verlohr.

Agathon.
auf die Zeit, da ſein Umgang und die Begeiſtrung,
worein ſie durch ihn allein zum erſten mal in ihrem
Leben geſezt worden, ihrer Seele wie ein neues Weſen
gegeben, zu machen ‒‒ er Urſache finden wuͤrde ſie,
wo nicht immer zu entſchuldigen, doch mehr zu be-
dauren als zu verdammen. Die Furcht, den Gedanken
in ihr zu veranlaſſen, als ob ſie durch das was ehmals
zwiſchen ihnen vorgegangen war, von ſeiner Hochachtung
verlohren haͤtte, zwang unſern Helden eine geraume
Zeit, die Lebhaftigkeit ſeiner Empfindungen in ſeinem
Herzen zu verſchlieſſen. Danae wurde indeſſen mit der
Familie des Archytas bekannt, man mußte ſie lieben,
ſobald man ſie ſah; und ſie gewann deſto mehr dabey,
je beſſer man ſie kennen lernte. Es war uͤberdieß eine
von ihren Gaben, daß ſie ſich ſehr leicht und mit der
beſten Art in alle Perſonen, Umſtaͤnde und Lebens-Ar-
ten ſchiken konnte. Wie konnte es alſo anders ſeyn,
als daß ſie in kurzem durch die zaͤrtlichſte Freundſchaft
mit dieſer liebenswuͤrdigen Familie verbunden werden
mußte? Selbſt der weiſe Archytas liebte ihre Geſell-
ſchaft, und ſie machte ſich ein Vergnuͤgen daraus, einem
alten Manne von ſo ſeltnen Verdienſten die Beſchwer-
den des hohen Alters durch die Annehmlichkeiten ihres
Umgangs erleichtern zu helfen. Aber nichts war der
Liebe zu vergleichen, welche Pſyche und Danae einan-
der einfloͤßten. Niemalen hat vielleicht unter zwo
Frauenzimmern, welche ſo geſchikt waren, Rivalinnen
zu ſeyn, eine ſo zaͤrtliche, und vollkommne Freundſchaft
geherrſchet. Man kann ſich einbilden, ob Agathon dabey

verlohr.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0350" n="348"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
auf die Zeit, da &#x017F;ein Umgang und die Begei&#x017F;trung,<lb/>
worein &#x017F;ie durch ihn allein zum er&#x017F;ten mal in ihrem<lb/>
Leben ge&#x017F;ezt worden, ihrer Seele wie ein neues We&#x017F;en<lb/>
gegeben, zu machen &#x2012;&#x2012; er Ur&#x017F;ache finden wu&#x0364;rde &#x017F;ie,<lb/>
wo nicht immer zu ent&#x017F;chuldigen, doch mehr zu be-<lb/>
dauren als zu verdammen. Die Furcht, den Gedanken<lb/>
in ihr zu veranla&#x017F;&#x017F;en, als ob &#x017F;ie durch das was ehmals<lb/>
zwi&#x017F;chen ihnen vorgegangen war, von &#x017F;einer Hochachtung<lb/>
verlohren ha&#x0364;tte, zwang un&#x017F;ern Helden eine geraume<lb/>
Zeit, die Lebhaftigkeit &#x017F;einer Empfindungen in &#x017F;einem<lb/>
Herzen zu ver&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en. Danae wurde inde&#x017F;&#x017F;en mit der<lb/>
Familie des Archytas bekannt, man mußte &#x017F;ie lieben,<lb/>
&#x017F;obald man &#x017F;ie &#x017F;ah; und &#x017F;ie gewann de&#x017F;to mehr dabey,<lb/>
je be&#x017F;&#x017F;er man &#x017F;ie kennen lernte. Es war u&#x0364;berdieß eine<lb/>
von ihren Gaben, daß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;ehr leicht und mit der<lb/>
be&#x017F;ten Art in alle Per&#x017F;onen, Um&#x017F;ta&#x0364;nde und Lebens-Ar-<lb/>
ten &#x017F;chiken konnte. Wie konnte es al&#x017F;o anders &#x017F;eyn,<lb/>
als daß &#x017F;ie in kurzem durch die za&#x0364;rtlich&#x017F;te Freund&#x017F;chaft<lb/>
mit die&#x017F;er liebenswu&#x0364;rdigen Familie verbunden werden<lb/>
mußte? Selb&#x017F;t der wei&#x017F;e Archytas liebte ihre Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft, und &#x017F;ie machte &#x017F;ich ein Vergnu&#x0364;gen daraus, einem<lb/>
alten Manne von &#x017F;o &#x017F;eltnen Verdien&#x017F;ten die Be&#x017F;chwer-<lb/>
den des hohen Alters durch die Annehmlichkeiten ihres<lb/>
Umgangs erleichtern zu helfen. Aber nichts war der<lb/>
Liebe zu vergleichen, welche P&#x017F;yche und Danae einan-<lb/>
der einflo&#x0364;ßten. Niemalen hat vielleicht unter zwo<lb/>
Frauenzimmern, welche &#x017F;o ge&#x017F;chikt waren, Rivalinnen<lb/>
zu &#x017F;eyn, eine &#x017F;o za&#x0364;rtliche, und vollkommne Freund&#x017F;chaft<lb/>
geherr&#x017F;chet. Man kann &#x017F;ich einbilden, ob Agathon dabey<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">verlohr.</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0350] Agathon. auf die Zeit, da ſein Umgang und die Begeiſtrung, worein ſie durch ihn allein zum erſten mal in ihrem Leben geſezt worden, ihrer Seele wie ein neues Weſen gegeben, zu machen ‒‒ er Urſache finden wuͤrde ſie, wo nicht immer zu entſchuldigen, doch mehr zu be- dauren als zu verdammen. Die Furcht, den Gedanken in ihr zu veranlaſſen, als ob ſie durch das was ehmals zwiſchen ihnen vorgegangen war, von ſeiner Hochachtung verlohren haͤtte, zwang unſern Helden eine geraume Zeit, die Lebhaftigkeit ſeiner Empfindungen in ſeinem Herzen zu verſchlieſſen. Danae wurde indeſſen mit der Familie des Archytas bekannt, man mußte ſie lieben, ſobald man ſie ſah; und ſie gewann deſto mehr dabey, je beſſer man ſie kennen lernte. Es war uͤberdieß eine von ihren Gaben, daß ſie ſich ſehr leicht und mit der beſten Art in alle Perſonen, Umſtaͤnde und Lebens-Ar- ten ſchiken konnte. Wie konnte es alſo anders ſeyn, als daß ſie in kurzem durch die zaͤrtlichſte Freundſchaft mit dieſer liebenswuͤrdigen Familie verbunden werden mußte? Selbſt der weiſe Archytas liebte ihre Geſell- ſchaft, und ſie machte ſich ein Vergnuͤgen daraus, einem alten Manne von ſo ſeltnen Verdienſten die Beſchwer- den des hohen Alters durch die Annehmlichkeiten ihres Umgangs erleichtern zu helfen. Aber nichts war der Liebe zu vergleichen, welche Pſyche und Danae einan- der einfloͤßten. Niemalen hat vielleicht unter zwo Frauenzimmern, welche ſo geſchikt waren, Rivalinnen zu ſeyn, eine ſo zaͤrtliche, und vollkommne Freundſchaft geherrſchet. Man kann ſich einbilden, ob Agathon dabey verlohr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/350
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/350>, abgerufen am 22.11.2024.