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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
die Entdekung der Ursachen, welche ihn zu einem so
gewaltsamen Entschluß getrieben, der Gedanke daß ihre
eigene Fehltritte sie in den Augen des einzigen Man-
nes, den sie jemals geliebt hatte, verächtlich gemacht --
eine Veränderung in ihrer ganzen Denkens-Art hervor-
gebracht hatte, wozu sie durch den Umgang mit Agathon
und jene Seelen-Mischung, wovon wir bereits im fünf-
ten Buche gesprochen haben, vorbereitet worden war.
Danae ließ sich durch die Vorwürfe, welche sie sich selbst
zu machen hatte, und von denen vielleicht ein guter
Theil auf ihre Umstände fiel, nicht von dem edeln Vor-
saz abschreken, sich in einem Alter, wo dieser Vorsaz
noch ein Verdienst in sich schloß der Tugend zu widmen.
Jn der That hatte eine Art von verliebter Verzweif-
lung den grössesten Antheil an dem ausserordentlichen
Schritt, sich aus einer Welt, worinn sie angebetet
wurde, freywillig in eine Einöde zu verbannen, wo
die Freyheit, sich mit ihren Empfindungen zu unter-
halten, das einzige Bergnügen war, welches sie für
den Verlust alles dessen, was sie aufopferte, entschädi-
gen mußte. Aber es gehörte doch eine grosse, und zur
Tugend gebildete Seele dazu, um in den glänzenden
Umständen, worinn sie lebte, einer solchen Verzweif-
lung fähig zu seyn, und in einem Vorsaz auszuhalten,
unter welchem eine jede schwächere Seele gar bald
hätte erliegen müssen. Wäre Danae nur wollüstig ge-
wesen, so würde sie zu Smyrna, und allenthalben Ge-
legenheit genug gefunden haben, sich wegen des Ver-
lusts ihres Liebhabers zu trösten. Aber ihre Liebe war,

wie

Agathon.
die Entdekung der Urſachen, welche ihn zu einem ſo
gewaltſamen Entſchluß getrieben, der Gedanke daß ihre
eigene Fehltritte ſie in den Augen des einzigen Man-
nes, den ſie jemals geliebt hatte, veraͤchtlich gemacht ‒‒
eine Veraͤnderung in ihrer ganzen Denkens-Art hervor-
gebracht hatte, wozu ſie durch den Umgang mit Agathon
und jene Seelen-Miſchung, wovon wir bereits im fuͤnf-
ten Buche geſprochen haben, vorbereitet worden war.
Danae ließ ſich durch die Vorwuͤrfe, welche ſie ſich ſelbſt
zu machen hatte, und von denen vielleicht ein guter
Theil auf ihre Umſtaͤnde fiel, nicht von dem edeln Vor-
ſaz abſchreken, ſich in einem Alter, wo dieſer Vorſaz
noch ein Verdienſt in ſich ſchloß der Tugend zu widmen.
Jn der That hatte eine Art von verliebter Verzweif-
lung den groͤſſeſten Antheil an dem auſſerordentlichen
Schritt, ſich aus einer Welt, worinn ſie angebetet
wurde, freywillig in eine Einoͤde zu verbannen, wo
die Freyheit, ſich mit ihren Empfindungen zu unter-
halten, das einzige Bergnuͤgen war, welches ſie fuͤr
den Verluſt alles deſſen, was ſie aufopferte, entſchaͤdi-
gen mußte. Aber es gehoͤrte doch eine groſſe, und zur
Tugend gebildete Seele dazu, um in den glaͤnzenden
Umſtaͤnden, worinn ſie lebte, einer ſolchen Verzweif-
lung faͤhig zu ſeyn, und in einem Vorſaz auszuhalten,
unter welchem eine jede ſchwaͤchere Seele gar bald
haͤtte erliegen muͤſſen. Waͤre Danae nur wolluͤſtig ge-
weſen, ſo wuͤrde ſie zu Smyrna, und allenthalben Ge-
legenheit genug gefunden haben, ſich wegen des Ver-
luſts ihres Liebhabers zu troͤſten. Aber ihre Liebe war,

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[338/0340] Agathon. die Entdekung der Urſachen, welche ihn zu einem ſo gewaltſamen Entſchluß getrieben, der Gedanke daß ihre eigene Fehltritte ſie in den Augen des einzigen Man- nes, den ſie jemals geliebt hatte, veraͤchtlich gemacht ‒‒ eine Veraͤnderung in ihrer ganzen Denkens-Art hervor- gebracht hatte, wozu ſie durch den Umgang mit Agathon und jene Seelen-Miſchung, wovon wir bereits im fuͤnf- ten Buche geſprochen haben, vorbereitet worden war. Danae ließ ſich durch die Vorwuͤrfe, welche ſie ſich ſelbſt zu machen hatte, und von denen vielleicht ein guter Theil auf ihre Umſtaͤnde fiel, nicht von dem edeln Vor- ſaz abſchreken, ſich in einem Alter, wo dieſer Vorſaz noch ein Verdienſt in ſich ſchloß der Tugend zu widmen. Jn der That hatte eine Art von verliebter Verzweif- lung den groͤſſeſten Antheil an dem auſſerordentlichen Schritt, ſich aus einer Welt, worinn ſie angebetet wurde, freywillig in eine Einoͤde zu verbannen, wo die Freyheit, ſich mit ihren Empfindungen zu unter- halten, das einzige Bergnuͤgen war, welches ſie fuͤr den Verluſt alles deſſen, was ſie aufopferte, entſchaͤdi- gen mußte. Aber es gehoͤrte doch eine groſſe, und zur Tugend gebildete Seele dazu, um in den glaͤnzenden Umſtaͤnden, worinn ſie lebte, einer ſolchen Verzweif- lung faͤhig zu ſeyn, und in einem Vorſaz auszuhalten, unter welchem eine jede ſchwaͤchere Seele gar bald haͤtte erliegen muͤſſen. Waͤre Danae nur wolluͤſtig ge- weſen, ſo wuͤrde ſie zu Smyrna, und allenthalben Ge- legenheit genug gefunden haben, ſich wegen des Ver- luſts ihres Liebhabers zu troͤſten. Aber ihre Liebe war, wie

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/340>, abgerufen am 23.11.2024.