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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.

Bey allen diesen manchfaltigen Beschäftigungen, wo-
mit unser ehmaliger Held seine Musse zu seinem eigenen
Vortheil erfüllte, blieben ihm doch viele Stunden
übrig, welche der Freundschaft und dem geselligen Ver-
gnügen gewiedmet waren -- und für seine Ruhe nur
allzuviele, in denen eine Art von zärtlicher Schwer-
muth, deren er sich nicht erwehren konnte, seine Seele
in die bezauberten Gegenden zurükführte, deren wir im
vorigen Capitel schon Erwähnung gethan haben. Jn
einer solchen Gemüths-Disposition liebt man vorzüglich
den Aufenthalt auf dem Lande, wo man Gelegenheit
hat, seinen Gedanken ungestörter nachzuhängen, als
unter den Pflichten und Zerstreuungen des geselligern
Stadt-Lebens. Agathon zog sich also öfters in ein Land-
gut zurük, welches sein Bruder Critolaus, ungefehr
zwo Stunden von Tarent besaß, und wo er sich in
seiner Gesellschaft zuweilen mit der Jagd belustigte.
Hier geschah es einsmals, daß sie von einem Ungewit-
ter überrascht wurden, welches wenigstens so heftig
war, als dasjenige, wodurch, auf Veranstaltung zwoer
Göttinnen, Aeneas und Dido in die nehmliche Höle
zusammengescheucht wurden --

Aber da zeigte sich nirgends keine wirthschaftliche
Höle, welche ihnen einigen Schirm angeboten hätte;
und das schlimmste war, daß sie sich von ihren Leuten
verlohren hatten, und eine geraume Zeit nicht wußten,
wo sie waren; ein Zufall, der an sich selbst wenig ausser-
ordentliches hat, aber wie man sehen wird, eines der

glük-
Agathon.

Bey allen dieſen manchfaltigen Beſchaͤftigungen, wo-
mit unſer ehmaliger Held ſeine Muſſe zu ſeinem eigenen
Vortheil erfuͤllte, blieben ihm doch viele Stunden
uͤbrig, welche der Freundſchaft und dem geſelligen Ver-
gnuͤgen gewiedmet waren ‒‒ und fuͤr ſeine Ruhe nur
allzuviele, in denen eine Art von zaͤrtlicher Schwer-
muth, deren er ſich nicht erwehren konnte, ſeine Seele
in die bezauberten Gegenden zuruͤkfuͤhrte, deren wir im
vorigen Capitel ſchon Erwaͤhnung gethan haben. Jn
einer ſolchen Gemuͤths-Diſpoſition liebt man vorzuͤglich
den Aufenthalt auf dem Lande, wo man Gelegenheit
hat, ſeinen Gedanken ungeſtoͤrter nachzuhaͤngen, als
unter den Pflichten und Zerſtreuungen des geſelligern
Stadt-Lebens. Agathon zog ſich alſo oͤfters in ein Land-
gut zuruͤk, welches ſein Bruder Critolaus, ungefehr
zwo Stunden von Tarent beſaß, und wo er ſich in
ſeiner Geſellſchaft zuweilen mit der Jagd beluſtigte.
Hier geſchah es einsmals, daß ſie von einem Ungewit-
ter uͤberraſcht wurden, welches wenigſtens ſo heftig
war, als dasjenige, wodurch, auf Veranſtaltung zwoer
Goͤttinnen, Aeneas und Dido in die nehmliche Hoͤle
zuſammengeſcheucht wurden ‒‒

Aber da zeigte ſich nirgends keine wirthſchaftliche
Hoͤle, welche ihnen einigen Schirm angeboten haͤtte;
und das ſchlimmſte war, daß ſie ſich von ihren Leuten
verlohren hatten, und eine geraume Zeit nicht wußten,
wo ſie waren; ein Zufall, der an ſich ſelbſt wenig auſſer-
ordentliches hat, aber wie man ſehen wird, eines der

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[332/0334] Agathon. Bey allen dieſen manchfaltigen Beſchaͤftigungen, wo- mit unſer ehmaliger Held ſeine Muſſe zu ſeinem eigenen Vortheil erfuͤllte, blieben ihm doch viele Stunden uͤbrig, welche der Freundſchaft und dem geſelligen Ver- gnuͤgen gewiedmet waren ‒‒ und fuͤr ſeine Ruhe nur allzuviele, in denen eine Art von zaͤrtlicher Schwer- muth, deren er ſich nicht erwehren konnte, ſeine Seele in die bezauberten Gegenden zuruͤkfuͤhrte, deren wir im vorigen Capitel ſchon Erwaͤhnung gethan haben. Jn einer ſolchen Gemuͤths-Diſpoſition liebt man vorzuͤglich den Aufenthalt auf dem Lande, wo man Gelegenheit hat, ſeinen Gedanken ungeſtoͤrter nachzuhaͤngen, als unter den Pflichten und Zerſtreuungen des geſelligern Stadt-Lebens. Agathon zog ſich alſo oͤfters in ein Land- gut zuruͤk, welches ſein Bruder Critolaus, ungefehr zwo Stunden von Tarent beſaß, und wo er ſich in ſeiner Geſellſchaft zuweilen mit der Jagd beluſtigte. Hier geſchah es einsmals, daß ſie von einem Ungewit- ter uͤberraſcht wurden, welches wenigſtens ſo heftig war, als dasjenige, wodurch, auf Veranſtaltung zwoer Goͤttinnen, Aeneas und Dido in die nehmliche Hoͤle zuſammengeſcheucht wurden ‒‒ Aber da zeigte ſich nirgends keine wirthſchaftliche Hoͤle, welche ihnen einigen Schirm angeboten haͤtte; und das ſchlimmſte war, daß ſie ſich von ihren Leuten verlohren hatten, und eine geraume Zeit nicht wußten, wo ſie waren; ein Zufall, der an ſich ſelbſt wenig auſſer- ordentliches hat, aber wie man ſehen wird, eines der gluͤk-

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/334>, abgerufen am 24.11.2024.