Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Eilftes Buch, drittes Capitel. trauen, welches man auf sie sezte, bewies, daß er Mit-tel gefunden hatte, selbst diesen rohen und mechanischen Seelen ein Gefühl von Ehre und Tugend einzuflössen; die Art wie sie dienten, und die Art, wie ihnen be- gegnet wurde, schien das unedle und demüthigende ihres Standes auszulöschen; sie waren stolz darauf, einem so vortreflichen Herrn zu dienen, und es war nicht einer, der die Freyheit auch unter den vortheilhaftesten Be- dingungen angenommen hätte, wenn er der Glükselig- keit hätte entsagen müssen, ein Hausgenosse des Archy- tas zu seyn. Das Vergnügen mit seinem Zustande leuchtete aus jedem Gesicht hervor; aber keine Spur dieses üppigen Uebermuths, der gemeiniglich den müs- siggängerischen Hauffen der Bedienten in grossen Häu- sern bezeichnet; alles war in Bewegung; aber ohne die- ses lärmende Geräusch, welches den schweren Gang der Maschine ankündiget; das Haus des Archytas glich dem innwendigen Mechanismus des animalischen Körpers, in welchem alles in rastloser Arbeit begriffen ist, ohne daß man eine Bewegung wahrnimmt, wenn die äussern Theile ruhen. Agathon befand sich noch in diesem angenehmen Er- Das U 5
Eilftes Buch, drittes Capitel. trauen, welches man auf ſie ſezte, bewies, daß er Mit-tel gefunden hatte, ſelbſt dieſen rohen und mechaniſchen Seelen ein Gefuͤhl von Ehre und Tugend einzufloͤſſen; die Art wie ſie dienten, und die Art, wie ihnen be- gegnet wurde, ſchien das unedle und demuͤthigende ihres Standes auszuloͤſchen; ſie waren ſtolz darauf, einem ſo vortreflichen Herrn zu dienen, und es war nicht einer, der die Freyheit auch unter den vortheilhafteſten Be- dingungen angenommen haͤtte, wenn er der Gluͤkſelig- keit haͤtte entſagen muͤſſen, ein Hausgenoſſe des Archy- tas zu ſeyn. Das Vergnuͤgen mit ſeinem Zuſtande leuchtete aus jedem Geſicht hervor; aber keine Spur dieſes uͤppigen Uebermuths, der gemeiniglich den muͤſ- ſiggaͤngeriſchen Hauffen der Bedienten in groſſen Haͤu- ſern bezeichnet; alles war in Bewegung; aber ohne die- ſes laͤrmende Geraͤuſch, welches den ſchweren Gang der Maſchine ankuͤndiget; das Haus des Archytas glich dem innwendigen Mechaniſmus des animaliſchen Koͤrpers, in welchem alles in raſtloſer Arbeit begriffen iſt, ohne daß man eine Bewegung wahrnimmt, wenn die aͤuſſern Theile ruhen. Agathon befand ſich noch in dieſem angenehmen Er- Das U 5
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Eilftes Buch, drittes Capitel.
trauen, welches man auf ſie ſezte, bewies, daß er Mit-
tel gefunden hatte, ſelbſt dieſen rohen und mechaniſchen
Seelen ein Gefuͤhl von Ehre und Tugend einzufloͤſſen;
die Art wie ſie dienten, und die Art, wie ihnen be-
gegnet wurde, ſchien das unedle und demuͤthigende ihres
Standes auszuloͤſchen; ſie waren ſtolz darauf, einem ſo
vortreflichen Herrn zu dienen, und es war nicht einer,
der die Freyheit auch unter den vortheilhafteſten Be-
dingungen angenommen haͤtte, wenn er der Gluͤkſelig-
keit haͤtte entſagen muͤſſen, ein Hausgenoſſe des Archy-
tas zu ſeyn. Das Vergnuͤgen mit ſeinem Zuſtande
leuchtete aus jedem Geſicht hervor; aber keine Spur
dieſes uͤppigen Uebermuths, der gemeiniglich den muͤſ-
ſiggaͤngeriſchen Hauffen der Bedienten in groſſen Haͤu-
ſern bezeichnet; alles war in Bewegung; aber ohne die-
ſes laͤrmende Geraͤuſch, welches den ſchweren Gang der
Maſchine ankuͤndiget; das Haus des Archytas glich dem
innwendigen Mechaniſmus des animaliſchen Koͤrpers,
in welchem alles in raſtloſer Arbeit begriffen iſt, ohne
daß man eine Bewegung wahrnimmt, wenn die aͤuſſern
Theile ruhen.
Agathon befand ſich noch in dieſem angenehmen Er-
ſtaunen, welches in den erſten Stunden, die er in ei-
nem ſo ſonderbaren Hauſe zubrachte, ſich mit jedem
Augenblik vermehren mußte; als er auf einmal, und
ohne daß ihn die mindeſte innerliche Ahnung dazu vor-
bereitet haͤtte, durch eine Entdekung uͤberraſcht wurde,
welche ihn beynahe dahin gebracht haͤtte, alles was er
ſah, fuͤr einen Traum zu halten.
Das
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