Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Eilftes Buch, zweytes Capitel. Herzens, die allgemeine Güte wovon es beseelt ist,das stille Bewustseyn eines unschuldigen und mit guten Thaten erfüllten Lebens, sich in seinen Augen und in seiner ganzen Gesichts-Bildung mit einer Wahrheit, mit einem Ausdruk von stiller Grösse und Würdigkeit ab- mahlt, dessen Macht man fühlen muß, man wolle oder nicht -- das ist, was ihr vielleicht noch nicht gesehen habt -- das ist das idealische, das ich meynte; und das war es was Agathon sah -- Jhr erinnert euch doch der guten alten Frau Shirley? -- welche ich, für mei- nen Theil, so reizend und selbst idealisch auch immer die Henrietten Byrons, und ihre Rivalinnen sind, den- noch in gewissen Stunden einem ganzen Serail von Henrietten, Clementinen und Emilien, (die Charlot- ten, Olivien und alle andern Göttinnen von dieser Art, zusamt der schönen Magellone, mit eingerechnet,) vor- ziehen wollte -- Gut; ein Gemählde von dieser nemli- chen alten Frau, von der Hand eines van Dyk, (wenn es noch einen van Dyk gäbe) würde ein Cabi- netstük machen, um welches ich alle Liebes-Göttinnen und Grazien der Vanloos und Bouchers, so wenig ich sonst ein Feind von ihnen wäre, mit Freuden geben würde. Archytas, von der Hand eines Apelles (wenn zu seiner Zeit ein Apelles gewesen wäre) würde das Gegenbild davon seyn. Agathon hatte nichts nöthig, als ihn anzusehen, um überzeugt zu seyn, daß er end- lich gefunden habe, was er so oft gewünscht, aber noch nie gefunden zu haben geglaubt hatte, ohne daß er in der Folge auf eine oder die andere Art seines Jrr- thums U 2
Eilftes Buch, zweytes Capitel. Herzens, die allgemeine Guͤte wovon es beſeelt iſt,das ſtille Bewuſtſeyn eines unſchuldigen und mit guten Thaten erfuͤllten Lebens, ſich in ſeinen Augen und in ſeiner ganzen Geſichts-Bildung mit einer Wahrheit, mit einem Ausdruk von ſtiller Groͤſſe und Wuͤrdigkeit ab- mahlt, deſſen Macht man fuͤhlen muß, man wolle oder nicht ‒‒ das iſt, was ihr vielleicht noch nicht geſehen habt ‒‒ das iſt das idealiſche, das ich meynte; und das war es was Agathon ſah ‒‒ Jhr erinnert euch doch der guten alten Frau Shirley? ‒‒ welche ich, fuͤr mei- nen Theil, ſo reizend und ſelbſt idealiſch auch immer die Henrietten Byrons, und ihre Rivalinnen ſind, den- noch in gewiſſen Stunden einem ganzen Serail von Henrietten, Clementinen und Emilien, (die Charlot- ten, Olivien und alle andern Goͤttinnen von dieſer Art, zuſamt der ſchoͤnen Magellone, mit eingerechnet,) vor- ziehen wollte ‒‒ Gut; ein Gemaͤhlde von dieſer nemli- chen alten Frau, von der Hand eines van Dyk, (wenn es noch einen van Dyk gaͤbe) wuͤrde ein Cabi- netſtuͤk machen, um welches ich alle Liebes-Goͤttinnen und Grazien der Vanloos und Bouchers, ſo wenig ich ſonſt ein Feind von ihnen waͤre, mit Freuden geben wuͤrde. Archytas, von der Hand eines Apelles (wenn zu ſeiner Zeit ein Apelles geweſen waͤre) wuͤrde das Gegenbild davon ſeyn. Agathon hatte nichts noͤthig, als ihn anzuſehen, um uͤberzeugt zu ſeyn, daß er end- lich gefunden habe, was er ſo oft gewuͤnſcht, aber noch nie gefunden zu haben geglaubt hatte, ohne daß er in der Folge auf eine oder die andere Art ſeines Jrr- thums U 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0309" n="307"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Eilftes Buch, zweytes Capitel.</hi></fw><lb/> Herzens, die allgemeine Guͤte wovon es beſeelt iſt,<lb/> das ſtille Bewuſtſeyn eines unſchuldigen und mit guten<lb/> Thaten erfuͤllten Lebens, ſich in ſeinen Augen und in<lb/> ſeiner ganzen Geſichts-Bildung mit einer Wahrheit, mit<lb/> einem Ausdruk von ſtiller Groͤſſe und Wuͤrdigkeit ab-<lb/> mahlt, deſſen Macht man fuͤhlen muß, man wolle oder<lb/> nicht ‒‒ das iſt, was ihr vielleicht noch nicht geſehen<lb/> habt ‒‒ das iſt das idealiſche, das ich meynte; und<lb/> das war es was Agathon ſah ‒‒ Jhr erinnert euch doch<lb/> der guten alten Frau Shirley? ‒‒ welche ich, fuͤr mei-<lb/> nen Theil, ſo reizend und ſelbſt idealiſch auch immer<lb/> die Henrietten Byrons, und ihre Rivalinnen ſind, den-<lb/> noch in gewiſſen Stunden einem ganzen Serail von<lb/> Henrietten, Clementinen und Emilien, (die Charlot-<lb/> ten, Olivien und alle andern Goͤttinnen von dieſer Art,<lb/> zuſamt der ſchoͤnen Magellone, mit eingerechnet,) vor-<lb/> ziehen wollte ‒‒ Gut; ein Gemaͤhlde von dieſer nemli-<lb/> chen alten Frau, von der Hand eines van Dyk,<lb/> (wenn es noch einen van Dyk gaͤbe) wuͤrde ein Cabi-<lb/> netſtuͤk machen, um welches ich alle Liebes-Goͤttinnen<lb/> und Grazien der Vanloos und Bouchers, ſo wenig ich<lb/> ſonſt ein Feind von ihnen waͤre, mit Freuden geben<lb/> wuͤrde. Archytas, von der Hand eines Apelles (wenn<lb/> zu ſeiner Zeit ein Apelles geweſen waͤre) wuͤrde das<lb/> Gegenbild davon ſeyn. Agathon hatte nichts noͤthig,<lb/> als ihn anzuſehen, um uͤberzeugt zu ſeyn, daß er end-<lb/> lich gefunden habe, was er ſo oft gewuͤnſcht, aber<lb/> noch nie gefunden zu haben geglaubt hatte, ohne daß er<lb/> in der Folge auf eine oder die andere Art ſeines Jrr-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">U 2</fw><fw place="bottom" type="catch">thums</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [307/0309]
Eilftes Buch, zweytes Capitel.
Herzens, die allgemeine Guͤte wovon es beſeelt iſt,
das ſtille Bewuſtſeyn eines unſchuldigen und mit guten
Thaten erfuͤllten Lebens, ſich in ſeinen Augen und in
ſeiner ganzen Geſichts-Bildung mit einer Wahrheit, mit
einem Ausdruk von ſtiller Groͤſſe und Wuͤrdigkeit ab-
mahlt, deſſen Macht man fuͤhlen muß, man wolle oder
nicht ‒‒ das iſt, was ihr vielleicht noch nicht geſehen
habt ‒‒ das iſt das idealiſche, das ich meynte; und
das war es was Agathon ſah ‒‒ Jhr erinnert euch doch
der guten alten Frau Shirley? ‒‒ welche ich, fuͤr mei-
nen Theil, ſo reizend und ſelbſt idealiſch auch immer
die Henrietten Byrons, und ihre Rivalinnen ſind, den-
noch in gewiſſen Stunden einem ganzen Serail von
Henrietten, Clementinen und Emilien, (die Charlot-
ten, Olivien und alle andern Goͤttinnen von dieſer Art,
zuſamt der ſchoͤnen Magellone, mit eingerechnet,) vor-
ziehen wollte ‒‒ Gut; ein Gemaͤhlde von dieſer nemli-
chen alten Frau, von der Hand eines van Dyk,
(wenn es noch einen van Dyk gaͤbe) wuͤrde ein Cabi-
netſtuͤk machen, um welches ich alle Liebes-Goͤttinnen
und Grazien der Vanloos und Bouchers, ſo wenig ich
ſonſt ein Feind von ihnen waͤre, mit Freuden geben
wuͤrde. Archytas, von der Hand eines Apelles (wenn
zu ſeiner Zeit ein Apelles geweſen waͤre) wuͤrde das
Gegenbild davon ſeyn. Agathon hatte nichts noͤthig,
als ihn anzuſehen, um uͤberzeugt zu ſeyn, daß er end-
lich gefunden habe, was er ſo oft gewuͤnſcht, aber
noch nie gefunden zu haben geglaubt hatte, ohne daß er
in der Folge auf eine oder die andere Art ſeines Jrr-
thums
U 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |