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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
publik selten) in ihrer Verfassung zu erhalten. Archy-
tas hatte sie, in einer Zeit von mehr als dreissig Jah-
ren, in welcher er sieben mal die Stelle des obersten
Befehlhabers in der Republik bekleidete, an die weisen
Geseze, die er ihnen gegeben hatte, so gut angewöhnt,
daß sie mehr durch die Macht der Sitten als durch das
Ansehen der Geseze regiert zu werden schienen. Der
grösseste Theil der Tarentiner bestuhnd aus Fabricanten
und Handelsleuten. Die Wissenschaften und schönen
Künste stuhnden in keiner besondern Hochachtung bey
ihnen; aber sie waren auch nicht verachtet. Diese Gleich-
gültigkeit bewahrte die Tarentiner vor den Fehlern und
Ausschweiffungen der Athenienser, bey denen jedermann,
bis auf die Gerber und Schuster, ein Philosoph und
Redner, ein wiziger Kopf und ein Kenner seyn wollte.
Sie waren eine gute Art von Leuten, einfältig von
Sitten, emsig, arbeitsam, regelmässig, Feinde der
Pracht und Verschwendung, (*) leutselig und gast-
frey gegen die Fremden, Hässer des Gezwungnen, Spiz-
fündigen und Uebertriebenen in allen Sachen, und aus
eben diesem Grunde, Liebhaber des Natürlichen und
Gründlichen, welche bey allem mehr auf die Materie
als auf die Form sahen, und nicht begreiffen konnten,

daß
(*) Der Character, der hier den Tarentinern gegeben
wird, macht einen starken Absaz mit demjenigen, den
sie zu den Zeiten des Königs Pyrrhus hatten, und
bis zum Untergang ihrer Freyheit behielten; allein es
ist zu bemerken, daß Archytas und Pyrrhus wenigstens
80. Jahre von einander entfernt sind.

Agathon.
publik ſelten) in ihrer Verfaſſung zu erhalten. Archy-
tas hatte ſie, in einer Zeit von mehr als dreiſſig Jah-
ren, in welcher er ſieben mal die Stelle des oberſten
Befehlhabers in der Republik bekleidete, an die weiſen
Geſeze, die er ihnen gegeben hatte, ſo gut angewoͤhnt,
daß ſie mehr durch die Macht der Sitten als durch das
Anſehen der Geſeze regiert zu werden ſchienen. Der
groͤſſeſte Theil der Tarentiner beſtuhnd aus Fabricanten
und Handelsleuten. Die Wiſſenſchaften und ſchoͤnen
Kuͤnſte ſtuhnden in keiner beſondern Hochachtung bey
ihnen; aber ſie waren auch nicht verachtet. Dieſe Gleich-
guͤltigkeit bewahrte die Tarentiner vor den Fehlern und
Ausſchweiffungen der Athenienſer, bey denen jedermann,
bis auf die Gerber und Schuſter, ein Philoſoph und
Redner, ein wiziger Kopf und ein Kenner ſeyn wollte.
Sie waren eine gute Art von Leuten, einfaͤltig von
Sitten, emſig, arbeitſam, regelmaͤſſig, Feinde der
Pracht und Verſchwendung, (*) leutſelig und gaſt-
frey gegen die Fremden, Haͤſſer des Gezwungnen, Spiz-
fuͤndigen und Uebertriebenen in allen Sachen, und aus
eben dieſem Grunde, Liebhaber des Natuͤrlichen und
Gruͤndlichen, welche bey allem mehr auf die Materie
als auf die Form ſahen, und nicht begreiffen konnten,

daß
(*) Der Character, der hier den Tarentinern gegeben
wird, macht einen ſtarken Abſaz mit demjenigen, den
ſie zu den Zeiten des Koͤnigs Pyrrhus hatten, und
bis zum Untergang ihrer Freyheit behielten; allein es
iſt zu bemerken, daß Archytas und Pyrrhus wenigſtens
80. Jahre von einander entfernt ſind.
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[302/0304] Agathon. publik ſelten) in ihrer Verfaſſung zu erhalten. Archy- tas hatte ſie, in einer Zeit von mehr als dreiſſig Jah- ren, in welcher er ſieben mal die Stelle des oberſten Befehlhabers in der Republik bekleidete, an die weiſen Geſeze, die er ihnen gegeben hatte, ſo gut angewoͤhnt, daß ſie mehr durch die Macht der Sitten als durch das Anſehen der Geſeze regiert zu werden ſchienen. Der groͤſſeſte Theil der Tarentiner beſtuhnd aus Fabricanten und Handelsleuten. Die Wiſſenſchaften und ſchoͤnen Kuͤnſte ſtuhnden in keiner beſondern Hochachtung bey ihnen; aber ſie waren auch nicht verachtet. Dieſe Gleich- guͤltigkeit bewahrte die Tarentiner vor den Fehlern und Ausſchweiffungen der Athenienſer, bey denen jedermann, bis auf die Gerber und Schuſter, ein Philoſoph und Redner, ein wiziger Kopf und ein Kenner ſeyn wollte. Sie waren eine gute Art von Leuten, einfaͤltig von Sitten, emſig, arbeitſam, regelmaͤſſig, Feinde der Pracht und Verſchwendung, (*) leutſelig und gaſt- frey gegen die Fremden, Haͤſſer des Gezwungnen, Spiz- fuͤndigen und Uebertriebenen in allen Sachen, und aus eben dieſem Grunde, Liebhaber des Natuͤrlichen und Gruͤndlichen, welche bey allem mehr auf die Materie als auf die Form ſahen, und nicht begreiffen konnten, daß (*) Der Character, der hier den Tarentinern gegeben wird, macht einen ſtarken Abſaz mit demjenigen, den ſie zu den Zeiten des Koͤnigs Pyrrhus hatten, und bis zum Untergang ihrer Freyheit behielten; allein es iſt zu bemerken, daß Archytas und Pyrrhus wenigſtens 80. Jahre von einander entfernt ſind.

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/304>, abgerufen am 24.11.2024.