Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Agathon. einen stärkern Einfluß auf Weisheit und Tugend, als sichmanche Moralisten einbilden) -- bey einer solchen Diät -- kurz, unter solchen gegebenen Bedingungen, wie alle diejenigen Umstände sind, in welche er den Agathon bisher gesezt hat, und noch sezen wird -- ein so weiser und tugendhafter Mann habe seyn kön- nen, und (diejenigen, welche nicht gewohnt sind zu denken, mögen es nun glauben oder nicht,) unter den nemlichen, oder doch sehr ähnlichen Umständen, es auch noch heutzutage werden könnte: Da, sage ich, dieses seine Absicht war, so blieb ihm freylich kein an- drer Weg übrig, als seinen Helden in diesen Zusam- menhang glüklicher Umstände zu sezen, in welchen er sich nun bald, zu seinem eigenen Erstaunen, befinden wird. Freylich ist ein solcher Zusammenfluß glüklicher Umstände allzuselten, um wahrscheinlich zu seyn. Aber wie soll sich ein armer Autor helfen, der (alles wol überlegt) nur ein einziges Mittel vor sich sieht, aus der Sache zu kommen, und dieses ein gewagtes? Man hilft sich wie man kann, und wenn es auch durch einen Sprung aus dem Fenster seyn sollte. Der kleine Held der Königin von Golconde ist nicht der erste, der sich durch dieses Mittel helfen mußte: Julius Cäsar würde ohne einen solchen Sprung das Vergnügen nicht gehabt haben, als Herr der Welt (wie man, zwar lächerlich genug, zu sprechen gewohnt ist,) durch die Strassen Roms ins Capitolium einzuziehen. Und
Agathon. einen ſtaͤrkern Einfluß auf Weisheit und Tugend, als ſichmanche Moraliſten einbilden) ‒‒ bey einer ſolchen Diaͤt ‒‒ kurz, unter ſolchen gegebenen Bedingungen, wie alle diejenigen Umſtaͤnde ſind, in welche er den Agathon bisher geſezt hat, und noch ſezen wird ‒‒ ein ſo weiſer und tugendhafter Mann habe ſeyn koͤn- nen, und (diejenigen, welche nicht gewohnt ſind zu denken, moͤgen es nun glauben oder nicht,) unter den nemlichen, oder doch ſehr aͤhnlichen Umſtaͤnden, es auch noch heutzutage werden koͤnnte: Da, ſage ich, dieſes ſeine Abſicht war, ſo blieb ihm freylich kein an- drer Weg uͤbrig, als ſeinen Helden in dieſen Zuſam- menhang gluͤklicher Umſtaͤnde zu ſezen, in welchen er ſich nun bald, zu ſeinem eigenen Erſtaunen, befinden wird. Freylich iſt ein ſolcher Zuſammenfluß gluͤklicher Umſtaͤnde allzuſelten, um wahrſcheinlich zu ſeyn. Aber wie ſoll ſich ein armer Autor helfen, der (alles wol uͤberlegt) nur ein einziges Mittel vor ſich ſieht, aus der Sache zu kommen, und dieſes ein gewagtes? Man hilft ſich wie man kann, und wenn es auch durch einen Sprung aus dem Fenſter ſeyn ſollte. Der kleine Held der Koͤnigin von Golconde iſt nicht der erſte, der ſich durch dieſes Mittel helfen mußte: Julius Caͤſar wuͤrde ohne einen ſolchen Sprung das Vergnuͤgen nicht gehabt haben, als Herr der Welt (wie man, zwar laͤcherlich genug, zu ſprechen gewohnt iſt,) durch die Straſſen Roms ins Capitolium einzuziehen. Und
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0300" n="298"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/> einen ſtaͤrkern Einfluß auf Weisheit und Tugend, als ſich<lb/> manche Moraliſten einbilden) ‒‒ bey einer ſolchen<lb/> Diaͤt ‒‒ kurz, unter ſolchen gegebenen Bedingungen,<lb/> wie alle diejenigen Umſtaͤnde ſind, in welche er den<lb/> Agathon bisher geſezt hat, und noch ſezen wird ‒‒<lb/> ein ſo weiſer und tugendhafter Mann habe ſeyn koͤn-<lb/> nen, und (diejenigen, welche nicht gewohnt ſind zu<lb/> denken, moͤgen es nun glauben oder nicht,) unter den<lb/> nemlichen, oder doch ſehr aͤhnlichen Umſtaͤnden, es<lb/> auch noch heutzutage werden koͤnnte: Da, ſage ich,<lb/> dieſes ſeine Abſicht war, ſo blieb ihm freylich kein an-<lb/> drer Weg uͤbrig, als ſeinen Helden in dieſen Zuſam-<lb/> menhang gluͤklicher Umſtaͤnde zu ſezen, in welchen er<lb/> ſich nun bald, zu ſeinem eigenen Erſtaunen, befinden<lb/> wird. Freylich iſt ein ſolcher Zuſammenfluß gluͤklicher<lb/> Umſtaͤnde allzuſelten, um wahrſcheinlich zu ſeyn. Aber<lb/> wie ſoll ſich ein armer Autor helfen, der (alles wol<lb/> uͤberlegt) nur ein einziges Mittel vor ſich ſieht, aus<lb/> der Sache zu kommen, und dieſes ein gewagtes? Man<lb/> hilft ſich wie man kann, und wenn es auch durch einen<lb/> Sprung aus dem Fenſter ſeyn ſollte. Der kleine Held<lb/><hi rendition="#fr">der Koͤnigin von Golconde</hi> iſt nicht der erſte, der<lb/> ſich durch dieſes Mittel helfen mußte: Julius Caͤſar<lb/> wuͤrde ohne einen ſolchen Sprung das Vergnuͤgen nicht<lb/> gehabt haben, als <hi rendition="#fr">Herr der Welt</hi> (wie man, zwar<lb/> laͤcherlich genug, zu ſprechen gewohnt iſt,) durch die<lb/> Straſſen Roms ins Capitolium einzuziehen.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [298/0300]
Agathon.
einen ſtaͤrkern Einfluß auf Weisheit und Tugend, als ſich
manche Moraliſten einbilden) ‒‒ bey einer ſolchen
Diaͤt ‒‒ kurz, unter ſolchen gegebenen Bedingungen,
wie alle diejenigen Umſtaͤnde ſind, in welche er den
Agathon bisher geſezt hat, und noch ſezen wird ‒‒
ein ſo weiſer und tugendhafter Mann habe ſeyn koͤn-
nen, und (diejenigen, welche nicht gewohnt ſind zu
denken, moͤgen es nun glauben oder nicht,) unter den
nemlichen, oder doch ſehr aͤhnlichen Umſtaͤnden, es
auch noch heutzutage werden koͤnnte: Da, ſage ich,
dieſes ſeine Abſicht war, ſo blieb ihm freylich kein an-
drer Weg uͤbrig, als ſeinen Helden in dieſen Zuſam-
menhang gluͤklicher Umſtaͤnde zu ſezen, in welchen er
ſich nun bald, zu ſeinem eigenen Erſtaunen, befinden
wird. Freylich iſt ein ſolcher Zuſammenfluß gluͤklicher
Umſtaͤnde allzuſelten, um wahrſcheinlich zu ſeyn. Aber
wie ſoll ſich ein armer Autor helfen, der (alles wol
uͤberlegt) nur ein einziges Mittel vor ſich ſieht, aus
der Sache zu kommen, und dieſes ein gewagtes? Man
hilft ſich wie man kann, und wenn es auch durch einen
Sprung aus dem Fenſter ſeyn ſollte. Der kleine Held
der Koͤnigin von Golconde iſt nicht der erſte, der
ſich durch dieſes Mittel helfen mußte: Julius Caͤſar
wuͤrde ohne einen ſolchen Sprung das Vergnuͤgen nicht
gehabt haben, als Herr der Welt (wie man, zwar
laͤcherlich genug, zu ſprechen gewohnt iſt,) durch die
Straſſen Roms ins Capitolium einzuziehen.
Und
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |