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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
heit wieder aussöhnen, und seinem schon erkaltenden
Herzen diese beseelende Wärme wieder mittheilen wer-
den, ohne welche die Tugend eine blosse Speculation
ist, die zwar einen unerschöpflichen Stoff zu scharfsinni-
gen Betrachtungen giebt, aber unter den vielerley chymi-
schen Processen, welche die allzuspizfündige Vernunft mit
ihr vornimmt, endlich ein so abgezogenes, so feines,
so delicates Ding wird, daß sich kein Gebrauch davon
machen läßt.

So sehr sich auch die Einbildungs-Kraft unsers
Helden abgekühlt hat, so unzuverlässig, übertrieben
und grillenhaft er die Geister-Lehre und die metaphysi-
sche Politik seines Freundes Plato zu finden glaubt;
so comisch ihm seine eigene Ausschweifungen in dem
Stande der Bezauberung, worinn er sich ehemals be-
funden, vorkommen; so klein er überhaupt von den
Menschen denkt, und so fest er entschlossen zu seyn ver-
meynt, von dem schönen Phantom, wie er es izo
nennt, von dem Gedanken, sich Verdienste um seine
Gattung zu machen, in seinem Leben sich nicht wieder
täuschen zu lassen; so ist es doch bey weitem noch nicht
an dem, daß er diese zarte Empfindlichkeit der Seele,
und diesen eingewurzelten Hang zu dem idealischen
Schönen verlohren haben sollte, der das geheime Prin-
cipium seiner ehemaligen Begeisterung, und aller der
manchfaltigen Schwärmereyen, Bezauberungen und
Entzükungen, in deren magischem Labyrinthe sie ihn,
nach Maßgabe der Umstände, herumgeführt, gewesen
ist. Die verstohlnen Blike, die er noch so gerne in

die

Agathon.
heit wieder ausſoͤhnen, und ſeinem ſchon erkaltenden
Herzen dieſe beſeelende Waͤrme wieder mittheilen wer-
den, ohne welche die Tugend eine bloſſe Speculation
iſt, die zwar einen unerſchoͤpflichen Stoff zu ſcharfſinni-
gen Betrachtungen giebt, aber unter den vielerley chymi-
ſchen Proceſſen, welche die allzuſpizfuͤndige Vernunft mit
ihr vornimmt, endlich ein ſo abgezogenes, ſo feines,
ſo delicates Ding wird, daß ſich kein Gebrauch davon
machen laͤßt.

So ſehr ſich auch die Einbildungs-Kraft unſers
Helden abgekuͤhlt hat, ſo unzuverlaͤſſig, uͤbertrieben
und grillenhaft er die Geiſter-Lehre und die metaphyſi-
ſche Politik ſeines Freundes Plato zu finden glaubt;
ſo comiſch ihm ſeine eigene Ausſchweifungen in dem
Stande der Bezauberung, worinn er ſich ehemals be-
funden, vorkommen; ſo klein er uͤberhaupt von den
Menſchen denkt, und ſo feſt er entſchloſſen zu ſeyn ver-
meynt, von dem ſchoͤnen Phantom, wie er es izo
nennt, von dem Gedanken, ſich Verdienſte um ſeine
Gattung zu machen, in ſeinem Leben ſich nicht wieder
taͤuſchen zu laſſen; ſo iſt es doch bey weitem noch nicht
an dem, daß er dieſe zarte Empfindlichkeit der Seele,
und dieſen eingewurzelten Hang zu dem idealiſchen
Schoͤnen verlohren haben ſollte, der das geheime Prin-
cipium ſeiner ehemaligen Begeiſterung, und aller der
manchfaltigen Schwaͤrmereyen, Bezauberungen und
Entzuͤkungen, in deren magiſchem Labyrinthe ſie ihn,
nach Maßgabe der Umſtaͤnde, herumgefuͤhrt, geweſen
iſt. Die verſtohlnen Blike, die er noch ſo gerne in

die
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[290/0292] Agathon. heit wieder ausſoͤhnen, und ſeinem ſchon erkaltenden Herzen dieſe beſeelende Waͤrme wieder mittheilen wer- den, ohne welche die Tugend eine bloſſe Speculation iſt, die zwar einen unerſchoͤpflichen Stoff zu ſcharfſinni- gen Betrachtungen giebt, aber unter den vielerley chymi- ſchen Proceſſen, welche die allzuſpizfuͤndige Vernunft mit ihr vornimmt, endlich ein ſo abgezogenes, ſo feines, ſo delicates Ding wird, daß ſich kein Gebrauch davon machen laͤßt. So ſehr ſich auch die Einbildungs-Kraft unſers Helden abgekuͤhlt hat, ſo unzuverlaͤſſig, uͤbertrieben und grillenhaft er die Geiſter-Lehre und die metaphyſi- ſche Politik ſeines Freundes Plato zu finden glaubt; ſo comiſch ihm ſeine eigene Ausſchweifungen in dem Stande der Bezauberung, worinn er ſich ehemals be- funden, vorkommen; ſo klein er uͤberhaupt von den Menſchen denkt, und ſo feſt er entſchloſſen zu ſeyn ver- meynt, von dem ſchoͤnen Phantom, wie er es izo nennt, von dem Gedanken, ſich Verdienſte um ſeine Gattung zu machen, in ſeinem Leben ſich nicht wieder taͤuſchen zu laſſen; ſo iſt es doch bey weitem noch nicht an dem, daß er dieſe zarte Empfindlichkeit der Seele, und dieſen eingewurzelten Hang zu dem idealiſchen Schoͤnen verlohren haben ſollte, der das geheime Prin- cipium ſeiner ehemaligen Begeiſterung, und aller der manchfaltigen Schwaͤrmereyen, Bezauberungen und Entzuͤkungen, in deren magiſchem Labyrinthe ſie ihn, nach Maßgabe der Umſtaͤnde, herumgefuͤhrt, geweſen iſt. Die verſtohlnen Blike, die er noch ſo gerne in die

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/292>, abgerufen am 21.11.2024.