Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Zehentes Buch, fünftes Capitel. herzerhöhende, wolthätige, und der Tugend so vor-theilhafte Gedanke -- für eine grössere Sphäre als dieses animalische Leben, für eine edlere Art von Existenz, für vollkomnere Gegenstände, und zu einer vollkomnern Art von Activität, als unsre dermalige bestimmt zu seyn -- und die begeisternden, wiewol träumerischen Aussichten, die uns dieser Beste aller Gedanken giebt -- wenn er keinen Reiz, keine Macht auf seine Seele mehr hätte -- O! Agathon, Agathon! dann würdest du, nicht unsern Haß, nicht eine lieblose Beurtheilung, nicht eine triumphirende Freude über deinen Fall, aber -- unser Mitleiden verdienen. Die Gemüths-Verfassung worinn wir ihn in diesem heit [Agath. II. Th.] T
Zehentes Buch, fuͤnftes Capitel. herzerhoͤhende, wolthaͤtige, und der Tugend ſo vor-theilhafte Gedanke ‒‒ fuͤr eine groͤſſere Sphaͤre als dieſes animaliſche Leben, fuͤr eine edlere Art von Exiſtenz, fuͤr vollkomnere Gegenſtaͤnde, und zu einer vollkomnern Art von Activitaͤt, als unſre dermalige beſtimmt zu ſeyn ‒‒ und die begeiſternden, wiewol traͤumeriſchen Auſſichten, die uns dieſer Beſte aller Gedanken giebt ‒‒ wenn er keinen Reiz, keine Macht auf ſeine Seele mehr haͤtte ‒‒ O! Agathon, Agathon! dann wuͤrdeſt du, nicht unſern Haß, nicht eine liebloſe Beurtheilung, nicht eine triumphirende Freude uͤber deinen Fall, aber ‒‒ unſer Mitleiden verdienen. Die Gemuͤths-Verfaſſung worinn wir ihn in dieſem heit [Agath. II. Th.] T
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Zehentes Buch, fuͤnftes Capitel.
herzerhoͤhende, wolthaͤtige, und der Tugend ſo vor-
theilhafte Gedanke ‒‒ fuͤr eine groͤſſere Sphaͤre als dieſes
animaliſche Leben, fuͤr eine edlere Art von Exiſtenz,
fuͤr vollkomnere Gegenſtaͤnde, und zu einer vollkomnern
Art von Activitaͤt, als unſre dermalige beſtimmt zu
ſeyn ‒‒ und die begeiſternden, wiewol traͤumeriſchen
Auſſichten, die uns dieſer Beſte aller Gedanken giebt ‒‒
wenn er keinen Reiz, keine Macht auf ſeine Seele mehr
haͤtte ‒‒ O! Agathon, Agathon! dann wuͤrdeſt du,
nicht unſern Haß, nicht eine liebloſe Beurtheilung,
nicht eine triumphirende Freude uͤber deinen Fall,
aber ‒‒ unſer Mitleiden verdienen.
Die Gemuͤths-Verfaſſung worinn wir ihn in dieſem
Capitel geſehen haben, ſcheint allerdings nicht ſehr ge-
ſchikt zu ſeyn, uns uͤber dieſen Punct ſeinetwegen auſſer
Sorgen zu ſezen. Es iſt eine ſo unbeſtaͤndige Sache
um die Begriffe, Meynungen und Urtheile eines Men-
ſchen! Die Umſtaͤnde, der beſondere Geſichts-Punct,
in den ſie uns ſtellen, die Geſellſchaft worinn wir leben,
tauſend kleine Einfluͤſſe, die wir einzeln nicht gewahr
werden, haben ſoviel Gewalt uͤber dieſes unerklaͤrbare,
launiſche, widerſinniſche Ding, unſre Seele! ‒‒ daß
wir nicht Buͤrge dafuͤr ſeyn wollten, was aus unſerm
Helden haͤtte werden koͤnnen, wofern er mit ſolchen Diſpo-
ſitionen in eine Geſellſchaft von Hippiaſſen und Alcibia-
den, oder zuruͤk in die ſchoͤne Welt zu Smyrna verſezt
worden waͤre. Zu gutem Gluͤk ſehen wir ihn im Be-
griff, zu Leuten zukommen, welche ihn mit der Menſch-
heit
[Agath. II. Th.] T
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