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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
ractern, Bildern und Begebenheiten, daß der Absaz,
welchen der gegenwärtige Ton seiner Seele (wenn man
uns dieses mahlerische Kunst-Wort hier erlauben will)
mit seinem ehmaligen machte, von Tag zu Tag immer
stärker werden mußte. Der Oromasdes und Ari-
manius der alten Persen werden uns nicht als tödli-
chere Feinde vorgestellt, als es der comische Geist, und
der Geist des Enthusiasmus sind; und die natürliche
Antipathie dieser beyden Geister wird dadurch nicht
wenig vermehrt, daß beyde gleich geneigt sind, über
die Grenzen der Mässigung hinauszuschweiffen. Der
Enthustastische Geist steht alles in einem strengen feyer-
lichen Licht; der Comische alles in einem milden und
lachenden; nichts ist dem ersten leichter als so weit zu-
gehen, bis ihm alles, was Spiel und Scherz heißt,
verdammlich vorkommt; nichts dem andern leichter, als
gerade in demjenigen, was jener mit der grössesten Ernst-
haftigkeit behandelt, am meisten Stof zum Scherzen
und Lachen zu finden.

Nehmen wir zu diesem noch, daß der leichtsinnige
und scherzhafte Ton von jeher den Höfen vorzüglich ei-
gen gewesen ist -- und den besondern Umstand, daß die
anmaßlichen Academisten, oder Hof-Philosophen des
Dionys, den einzigen Aristipp ausgenommen, eine Art
von Tragi-comischen Narren vorstellten, welche recht mit
Fleiß dazu ausgesucht zu seyn schienen, um die erha-
benen Wissenschaften, für deren Priester und Mystago-
gen sie sich ausgeben, so verächtlich zu machen, als sie
selbst waren -- Nehmen wir alles dieses zusammen,
so werden wir uns kaum verwundern können, wie es

möglich

Agathon.
ractern, Bildern und Begebenheiten, daß der Abſaz,
welchen der gegenwaͤrtige Ton ſeiner Seele (wenn man
uns dieſes mahleriſche Kunſt-Wort hier erlauben will)
mit ſeinem ehmaligen machte, von Tag zu Tag immer
ſtaͤrker werden mußte. Der Oromasdes und Ari-
manius der alten Perſen werden uns nicht als toͤdli-
chere Feinde vorgeſtellt, als es der comiſche Geiſt, und
der Geiſt des Enthuſiaſmus ſind; und die natuͤrliche
Antipathie dieſer beyden Geiſter wird dadurch nicht
wenig vermehrt, daß beyde gleich geneigt ſind, uͤber
die Grenzen der Maͤſſigung hinauszuſchweiffen. Der
Enthuſtaſtiſche Geiſt ſteht alles in einem ſtrengen feyer-
lichen Licht; der Comiſche alles in einem milden und
lachenden; nichts iſt dem erſten leichter als ſo weit zu-
gehen, bis ihm alles, was Spiel und Scherz heißt,
verdammlich vorkommt; nichts dem andern leichter, als
gerade in demjenigen, was jener mit der groͤſſeſten Ernſt-
haftigkeit behandelt, am meiſten Stof zum Scherzen
und Lachen zu finden.

Nehmen wir zu dieſem noch, daß der leichtſinnige
und ſcherzhafte Ton von jeher den Hoͤfen vorzuͤglich ei-
gen geweſen iſt ‒‒ und den beſondern Umſtand, daß die
anmaßlichen Academiſten, oder Hof-Philoſophen des
Dionys, den einzigen Ariſtipp ausgenommen, eine Art
von Tragi-comiſchen Narren vorſtellten, welche recht mit
Fleiß dazu ausgeſucht zu ſeyn ſchienen, um die erha-
benen Wiſſenſchaften, fuͤr deren Prieſter und Myſtago-
gen ſie ſich ausgeben, ſo veraͤchtlich zu machen, als ſie
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[286/0288] Agathon. ractern, Bildern und Begebenheiten, daß der Abſaz, welchen der gegenwaͤrtige Ton ſeiner Seele (wenn man uns dieſes mahleriſche Kunſt-Wort hier erlauben will) mit ſeinem ehmaligen machte, von Tag zu Tag immer ſtaͤrker werden mußte. Der Oromasdes und Ari- manius der alten Perſen werden uns nicht als toͤdli- chere Feinde vorgeſtellt, als es der comiſche Geiſt, und der Geiſt des Enthuſiaſmus ſind; und die natuͤrliche Antipathie dieſer beyden Geiſter wird dadurch nicht wenig vermehrt, daß beyde gleich geneigt ſind, uͤber die Grenzen der Maͤſſigung hinauszuſchweiffen. Der Enthuſtaſtiſche Geiſt ſteht alles in einem ſtrengen feyer- lichen Licht; der Comiſche alles in einem milden und lachenden; nichts iſt dem erſten leichter als ſo weit zu- gehen, bis ihm alles, was Spiel und Scherz heißt, verdammlich vorkommt; nichts dem andern leichter, als gerade in demjenigen, was jener mit der groͤſſeſten Ernſt- haftigkeit behandelt, am meiſten Stof zum Scherzen und Lachen zu finden. Nehmen wir zu dieſem noch, daß der leichtſinnige und ſcherzhafte Ton von jeher den Hoͤfen vorzuͤglich ei- gen geweſen iſt ‒‒ und den beſondern Umſtand, daß die anmaßlichen Academiſten, oder Hof-Philoſophen des Dionys, den einzigen Ariſtipp ausgenommen, eine Art von Tragi-comiſchen Narren vorſtellten, welche recht mit Fleiß dazu ausgeſucht zu ſeyn ſchienen, um die erha- benen Wiſſenſchaften, fuͤr deren Prieſter und Myſtago- gen ſie ſich ausgeben, ſo veraͤchtlich zu machen, als ſie ſelbſt waren ‒‒ Nehmen wir alles dieſes zuſammen, ſo werden wir uns kaum verwundern koͤnnen, wie es moͤglich

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/288>, abgerufen am 25.11.2024.