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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
merksamkeit auf eine Menge kleiner vorbeyrauschender
Gegenstände, die Aufmerksamkeit auf sich selbst ver-
liehrt -- nicht einige nachtheilige Einflüsse in den Cha-
racter seines Geistes und Herzens gehabt haben sollten.
Jndessen müssen wir gestehen, daß es ihm hierinn eben
so ergieng, wie es, vermöge der täglichen Erfahrung,
allen andern Sterblichen zu gehen pflegt. Er wurde
diese eben so unmerkliche als unläugbare Einflüsse, und
die Veränderungen, welche sie verstohlner Weise in sei-
ner Seele verursacheten, eben so wenig gewahr, als
ein gesunder Mensch die geheimen und schleichenden
Zerrüttungen empfindet, welche die Unbeständigkeit der
Witterung, die kleinen Unordnungen in der Lebensart,
die heterogene Beschaffenheit der Nahrungs-Mittel, und
das langsam würkende Gift der Leidenschaften, stünd-
lich in seiner Maschine verursachen. Die Veränderun-
gen, die in unsrer innerlichen Verfassung vorgehen,
müssen beträchtlich seyn, wenn sie in die Augen fallen
sollen; und wir fangen gemeiniglich nicht eher an, sie
deutlich wahrzunehmen, bis wir uns genöthigt finden,
zu stuzen, und uns selbst zu fragen, ob wir noch eben
dieselbe Person seyen, die wir waren? Aus diesem
Grunde geschah es vermuthlich, daß Agathon die Progres-
sen, welche die schon zu Smyrna angefangene Revo-
lution in seiner Seele während seinem Aufenthalt zu
Syracus machte, ohne das mindeste Mißtrauen in sie
zu sezen, ganz allein den neuen oder bestätigten Er-
fahrungen zuschrieb, welche er in dieser ausgebreiteten
Sphäre zu machen, so viele Gelegenheiten hatte.

Es

Agathon.
merkſamkeit auf eine Menge kleiner vorbeyrauſchender
Gegenſtaͤnde, die Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt ver-
liehrt ‒‒ nicht einige nachtheilige Einfluͤſſe in den Cha-
racter ſeines Geiſtes und Herzens gehabt haben ſollten.
Jndeſſen muͤſſen wir geſtehen, daß es ihm hierinn eben
ſo ergieng, wie es, vermoͤge der taͤglichen Erfahrung,
allen andern Sterblichen zu gehen pflegt. Er wurde
dieſe eben ſo unmerkliche als unlaͤugbare Einfluͤſſe, und
die Veraͤnderungen, welche ſie verſtohlner Weiſe in ſei-
ner Seele verurſacheten, eben ſo wenig gewahr, als
ein geſunder Menſch die geheimen und ſchleichenden
Zerruͤttungen empfindet, welche die Unbeſtaͤndigkeit der
Witterung, die kleinen Unordnungen in der Lebensart,
die heterogene Beſchaffenheit der Nahrungs-Mittel, und
das langſam wuͤrkende Gift der Leidenſchaften, ſtuͤnd-
lich in ſeiner Maſchine verurſachen. Die Veraͤnderun-
gen, die in unſrer innerlichen Verfaſſung vorgehen,
muͤſſen betraͤchtlich ſeyn, wenn ſie in die Augen fallen
ſollen; und wir fangen gemeiniglich nicht eher an, ſie
deutlich wahrzunehmen, bis wir uns genoͤthigt finden,
zu ſtuzen, und uns ſelbſt zu fragen, ob wir noch eben
dieſelbe Perſon ſeyen, die wir waren? Aus dieſem
Grunde geſchah es vermuthlich, daß Agathon die Progreſ-
ſen, welche die ſchon zu Smyrna angefangene Revo-
lution in ſeiner Seele waͤhrend ſeinem Aufenthalt zu
Syracus machte, ohne das mindeſte Mißtrauen in ſie
zu ſezen, ganz allein den neuen oder beſtaͤtigten Er-
fahrungen zuſchrieb, welche er in dieſer ausgebreiteten
Sphaͤre zu machen, ſo viele Gelegenheiten hatte.

Es
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[270/0272] Agathon. merkſamkeit auf eine Menge kleiner vorbeyrauſchender Gegenſtaͤnde, die Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt ver- liehrt ‒‒ nicht einige nachtheilige Einfluͤſſe in den Cha- racter ſeines Geiſtes und Herzens gehabt haben ſollten. Jndeſſen muͤſſen wir geſtehen, daß es ihm hierinn eben ſo ergieng, wie es, vermoͤge der taͤglichen Erfahrung, allen andern Sterblichen zu gehen pflegt. Er wurde dieſe eben ſo unmerkliche als unlaͤugbare Einfluͤſſe, und die Veraͤnderungen, welche ſie verſtohlner Weiſe in ſei- ner Seele verurſacheten, eben ſo wenig gewahr, als ein geſunder Menſch die geheimen und ſchleichenden Zerruͤttungen empfindet, welche die Unbeſtaͤndigkeit der Witterung, die kleinen Unordnungen in der Lebensart, die heterogene Beſchaffenheit der Nahrungs-Mittel, und das langſam wuͤrkende Gift der Leidenſchaften, ſtuͤnd- lich in ſeiner Maſchine verurſachen. Die Veraͤnderun- gen, die in unſrer innerlichen Verfaſſung vorgehen, muͤſſen betraͤchtlich ſeyn, wenn ſie in die Augen fallen ſollen; und wir fangen gemeiniglich nicht eher an, ſie deutlich wahrzunehmen, bis wir uns genoͤthigt finden, zu ſtuzen, und uns ſelbſt zu fragen, ob wir noch eben dieſelbe Perſon ſeyen, die wir waren? Aus dieſem Grunde geſchah es vermuthlich, daß Agathon die Progreſ- ſen, welche die ſchon zu Smyrna angefangene Revo- lution in ſeiner Seele waͤhrend ſeinem Aufenthalt zu Syracus machte, ohne das mindeſte Mißtrauen in ſie zu ſezen, ganz allein den neuen oder beſtaͤtigten Er- fahrungen zuſchrieb, welche er in dieſer ausgebreiteten Sphaͤre zu machen, ſo viele Gelegenheiten hatte. Es

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/272>, abgerufen am 26.11.2024.