Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
wenn er dem Rathe des weisen Aristippus ein paar
Monate früher gefolget hätte!

Einer von den zuverlässigsten und seltensten Beweisen
der Tugend eines ersten Ministers ist, wenn er armer
oder doch wenigstens nicht reicher in seine einsame Hütte
zurükkehrt, als er gewesen war, da er auf den Schau-
plaz des öffentlichen Lebens versezt wurde. Die Epa-
minondas, die Walsinghams, die More, und Tessins
sind freylich zu allen Zeiten selten; aber wenn etwas,
welches den verstoktesten Tugend-Läugner, einen Hip-
pias selbst, zwingen muß, die Würklichkeit der Tugend
zu gestehen, und auch wider seinen Willen ihre Gött-
lichkeit zu erkennen: So sind es die Beyspiele solcher
Manner. Der Himmel verhüte, daß ich die Hippiasse
jemals einer andern Widerlegung würdigen sollte! Sie
mögen nach Aekerö reisen! Und wenn sie den einzigen
Anblik unter dem Himmel, auf welchen (nach dem
Ausdruk eines weisen Alten) die Gottheit selbst mit
Vergnügen herabsieht, wenn sie den ehrwürdigen Greis
gesehen haben, der daselbst, zufrieden mit der edeln
beneidenswürdigen Armuth des Fabricius und Cincinna-
tus, doch zu tugendhaft um stolz darauf zu seyn, die
einzige Belohnung eines langen, ruhmwürdigen, Gott,
seinem Könige und seinem Vaterland aufgeopferten Le-
bens in dem stillen Bewustseyn seiner Selbst, und (so
oft er seinen Telemach erblikt) in der Hofnung, nicht
ganz umsonst gearbeitet zu haben, findet -- und, verges-
sen, vielleicht so gar verfolgt von einer undankbaren

Zeit,

Agathon.
wenn er dem Rathe des weiſen Ariſtippus ein paar
Monate fruͤher gefolget haͤtte!

Einer von den zuverlaͤſſigſten und ſeltenſten Beweiſen
der Tugend eines erſten Miniſters iſt, wenn er armer
oder doch wenigſtens nicht reicher in ſeine einſame Huͤtte
zuruͤkkehrt, als er geweſen war, da er auf den Schau-
plaz des oͤffentlichen Lebens verſezt wurde. Die Epa-
minondas, die Walſinghams, die More, und Teſſins
ſind freylich zu allen Zeiten ſelten; aber wenn etwas,
welches den verſtokteſten Tugend-Laͤugner, einen Hip-
pias ſelbſt, zwingen muß, die Wuͤrklichkeit der Tugend
zu geſtehen, und auch wider ſeinen Willen ihre Goͤtt-
lichkeit zu erkennen: So ſind es die Beyſpiele ſolcher
Manner. Der Himmel verhuͤte, daß ich die Hippiaſſe
jemals einer andern Widerlegung wuͤrdigen ſollte! Sie
moͤgen nach Aekeroͤ reiſen! Und wenn ſie den einzigen
Anblik unter dem Himmel, auf welchen (nach dem
Ausdruk eines weiſen Alten) die Gottheit ſelbſt mit
Vergnuͤgen herabſieht, wenn ſie den ehrwuͤrdigen Greis
geſehen haben, der daſelbſt, zufrieden mit der edeln
beneidenswuͤrdigen Armuth des Fabricius und Cincinna-
tus, doch zu tugendhaft um ſtolz darauf zu ſeyn, die
einzige Belohnung eines langen, ruhmwuͤrdigen, Gott,
ſeinem Koͤnige und ſeinem Vaterland aufgeopferten Le-
bens in dem ſtillen Bewuſtſeyn ſeiner Selbſt, und (ſo
oft er ſeinen Telemach erblikt) in der Hofnung, nicht
ganz umſonſt gearbeitet zu haben, findet ‒‒ und, vergeſ-
ſen, vielleicht ſo gar verfolgt von einer undankbaren

Zeit,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0264" n="262"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
wenn er dem Rathe des wei&#x017F;en Ari&#x017F;tippus ein paar<lb/>
Monate fru&#x0364;her gefolget ha&#x0364;tte!</p><lb/>
            <p>Einer von den zuverla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig&#x017F;ten und &#x017F;elten&#x017F;ten Bewei&#x017F;en<lb/>
der Tugend eines er&#x017F;ten Mini&#x017F;ters i&#x017F;t, wenn er armer<lb/>
oder doch wenig&#x017F;tens nicht reicher in &#x017F;eine ein&#x017F;ame Hu&#x0364;tte<lb/>
zuru&#x0364;kkehrt, als er gewe&#x017F;en war, da er auf den Schau-<lb/>
plaz des o&#x0364;ffentlichen Lebens ver&#x017F;ezt wurde. Die Epa-<lb/>
minondas, die Wal&#x017F;inghams, die More, und Te&#x017F;&#x017F;ins<lb/>
&#x017F;ind freylich zu allen Zeiten &#x017F;elten; aber wenn etwas,<lb/>
welches den ver&#x017F;tokte&#x017F;ten Tugend-La&#x0364;ugner, einen Hip-<lb/>
pias &#x017F;elb&#x017F;t, zwingen muß, die Wu&#x0364;rklichkeit der Tugend<lb/>
zu ge&#x017F;tehen, und auch wider &#x017F;einen Willen ihre Go&#x0364;tt-<lb/>
lichkeit zu erkennen: So &#x017F;ind es die Bey&#x017F;piele &#x017F;olcher<lb/>
Manner. Der Himmel verhu&#x0364;te, daß ich die Hippia&#x017F;&#x017F;e<lb/>
jemals einer andern Widerlegung wu&#x0364;rdigen &#x017F;ollte! Sie<lb/>
mo&#x0364;gen nach Aekero&#x0364; rei&#x017F;en! Und wenn &#x017F;ie den einzigen<lb/>
Anblik unter dem Himmel, auf welchen (nach dem<lb/>
Ausdruk eines wei&#x017F;en Alten) die Gottheit &#x017F;elb&#x017F;t mit<lb/>
Vergnu&#x0364;gen herab&#x017F;ieht, wenn &#x017F;ie den ehrwu&#x0364;rdigen Greis<lb/>
ge&#x017F;ehen haben, der da&#x017F;elb&#x017F;t, zufrieden mit der edeln<lb/>
beneidenswu&#x0364;rdigen Armuth des Fabricius und Cincinna-<lb/>
tus, doch zu tugendhaft um &#x017F;tolz darauf zu &#x017F;eyn, die<lb/>
einzige Belohnung eines langen, ruhmwu&#x0364;rdigen, Gott,<lb/>
&#x017F;einem Ko&#x0364;nige und &#x017F;einem Vaterland aufgeopferten Le-<lb/>
bens in dem &#x017F;tillen Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn &#x017F;einer Selb&#x017F;t, und (&#x017F;o<lb/>
oft er &#x017F;einen Telemach erblikt) in der Hofnung, nicht<lb/>
ganz um&#x017F;on&#x017F;t gearbeitet zu haben, findet &#x2012;&#x2012; und, verge&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, vielleicht &#x017F;o gar verfolgt von einer undankbaren<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Zeit,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0264] Agathon. wenn er dem Rathe des weiſen Ariſtippus ein paar Monate fruͤher gefolget haͤtte! Einer von den zuverlaͤſſigſten und ſeltenſten Beweiſen der Tugend eines erſten Miniſters iſt, wenn er armer oder doch wenigſtens nicht reicher in ſeine einſame Huͤtte zuruͤkkehrt, als er geweſen war, da er auf den Schau- plaz des oͤffentlichen Lebens verſezt wurde. Die Epa- minondas, die Walſinghams, die More, und Teſſins ſind freylich zu allen Zeiten ſelten; aber wenn etwas, welches den verſtokteſten Tugend-Laͤugner, einen Hip- pias ſelbſt, zwingen muß, die Wuͤrklichkeit der Tugend zu geſtehen, und auch wider ſeinen Willen ihre Goͤtt- lichkeit zu erkennen: So ſind es die Beyſpiele ſolcher Manner. Der Himmel verhuͤte, daß ich die Hippiaſſe jemals einer andern Widerlegung wuͤrdigen ſollte! Sie moͤgen nach Aekeroͤ reiſen! Und wenn ſie den einzigen Anblik unter dem Himmel, auf welchen (nach dem Ausdruk eines weiſen Alten) die Gottheit ſelbſt mit Vergnuͤgen herabſieht, wenn ſie den ehrwuͤrdigen Greis geſehen haben, der daſelbſt, zufrieden mit der edeln beneidenswuͤrdigen Armuth des Fabricius und Cincinna- tus, doch zu tugendhaft um ſtolz darauf zu ſeyn, die einzige Belohnung eines langen, ruhmwuͤrdigen, Gott, ſeinem Koͤnige und ſeinem Vaterland aufgeopferten Le- bens in dem ſtillen Bewuſtſeyn ſeiner Selbſt, und (ſo oft er ſeinen Telemach erblikt) in der Hofnung, nicht ganz umſonſt gearbeitet zu haben, findet ‒‒ und, vergeſ- ſen, vielleicht ſo gar verfolgt von einer undankbaren Zeit,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/264
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/264>, abgerufen am 25.11.2024.