Hier fuhr der barbarische Mensch fort, ohne das ge- ringste Mitleiden mit dem Zustande, worein er den armen Agathon durch seine Pralereyen sezte, die Glük- seligkeiten, welche er in den Armen der schönen Da- nae (der Himmel weiß mit welchem Grunde) genossen zu haben vorgab, von Stük zu Stük mit einem Ton von Wahrheit, und mit einer Munterkeit zu beschreiben, welche seinen Zuhörer beynahe zur Verzweiflung brachte. Es ist vorbey, siel er endlich dem Sophisten mit einer so heftigen Bewegung in die Rede, daß er in diesem Angenblik mehr als ein Mensch zu seyn schien -- Es ist vorbey! O Tugend, du bist gerochen! -- Hip- pias, du hast mich unter der lächelnden Maske der Freund- schaft mit einem giftigen Dolch durchboret -- aber ich danke dir -- deine Boßheit leistet mir einen wichtigern Dienst als alles was deine Freundschaft für mich hätte thun können. Sie eröfnet mir die Au- gen -- zeigt mir auf einmal in den Gegenständen meiner Hochachtung und meines Zutrauens, in dem Ab- gott meines Herzens und in meinem vermeynten Freunde, die zwey verächtlichsten Gegenstände, womit jemals meine Augen sich besudelt haben. Götter! die Buhlerin eines Hippias! Kan etwas unter diesem untersten Grade der Entehrung seyn? Mit dieser Apostrophe warf er den verachtungs vollesten Blik, der jemals aus einem Mensch- lichen Auge geblizt hat, auf den betroffenen Sophisten, und begab sich hinweg.
Drittes
Agathon.
Hier fuhr der barbariſche Menſch fort, ohne das ge- ringſte Mitleiden mit dem Zuſtande, worein er den armen Agathon durch ſeine Pralereyen ſezte, die Gluͤk- ſeligkeiten, welche er in den Armen der ſchoͤnen Da- nae (der Himmel weiß mit welchem Grunde) genoſſen zu haben vorgab, von Stuͤk zu Stuͤk mit einem Ton von Wahrheit, und mit einer Munterkeit zu beſchreiben, welche ſeinen Zuhoͤrer beynahe zur Verzweiflung brachte. Es iſt vorbey, ſiel er endlich dem Sophiſten mit einer ſo heftigen Bewegung in die Rede, daß er in dieſem Angenblik mehr als ein Menſch zu ſeyn ſchien — Es iſt vorbey! O Tugend, du biſt gerochen! — Hip- pias, du haſt mich unter der laͤchelnden Maske der Freund- ſchaft mit einem giftigen Dolch durchboret — aber ich danke dir — deine Boßheit leiſtet mir einen wichtigern Dienſt als alles was deine Freundſchaft fuͤr mich haͤtte thun koͤnnen. Sie eroͤfnet mir die Au- gen — zeigt mir auf einmal in den Gegenſtaͤnden meiner Hochachtung und meines Zutrauens, in dem Ab- gott meines Herzens und in meinem vermeynten Freunde, die zwey veraͤchtlichſten Gegenſtaͤnde, womit jemals meine Augen ſich beſudelt haben. Goͤtter! die Buhlerin eines Hippias! Kan etwas unter dieſem unterſten Grade der Entehrung ſeyn? Mit dieſer Apoſtrophe warf er den verachtungs volleſten Blik, der jemals aus einem Menſch- lichen Auge geblizt hat, auf den betroffenen Sophiſten, und begab ſich hinweg.
Drittes
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0026"n="24"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Agathon</hi>.</hi></fw><lb/><p>Hier fuhr der barbariſche Menſch fort, ohne das ge-<lb/>
ringſte Mitleiden mit dem Zuſtande, worein er den<lb/>
armen Agathon durch ſeine Pralereyen ſezte, die Gluͤk-<lb/>ſeligkeiten, welche er in den Armen der ſchoͤnen Da-<lb/>
nae (der Himmel weiß mit welchem Grunde) genoſſen<lb/>
zu haben vorgab, von Stuͤk zu Stuͤk mit einem Ton<lb/>
von Wahrheit, und mit einer Munterkeit zu beſchreiben,<lb/>
welche ſeinen Zuhoͤrer beynahe zur Verzweiflung brachte.<lb/>
Es iſt vorbey, ſiel er endlich dem Sophiſten mit einer<lb/>ſo heftigen Bewegung in die Rede, daß er in dieſem<lb/>
Angenblik mehr als ein Menſch zu ſeyn ſchien — Es<lb/>
iſt vorbey! O Tugend, du biſt gerochen! — Hip-<lb/>
pias, du haſt mich unter der laͤchelnden Maske der Freund-<lb/>ſchaft mit einem giftigen Dolch durchboret — aber<lb/>
ich danke dir — deine Boßheit leiſtet mir einen<lb/>
wichtigern Dienſt als alles was deine Freundſchaft fuͤr<lb/>
mich haͤtte thun koͤnnen. Sie eroͤfnet mir die Au-<lb/>
gen — zeigt mir auf einmal in den Gegenſtaͤnden<lb/>
meiner Hochachtung und meines Zutrauens, in dem Ab-<lb/>
gott meines Herzens und in meinem vermeynten Freunde,<lb/>
die zwey veraͤchtlichſten Gegenſtaͤnde, womit jemals<lb/>
meine Augen ſich beſudelt haben. Goͤtter! die Buhlerin<lb/>
eines Hippias! Kan etwas unter dieſem unterſten Grade<lb/>
der Entehrung ſeyn? Mit dieſer Apoſtrophe warf er den<lb/>
verachtungs volleſten Blik, der jemals aus einem Menſch-<lb/>
lichen Auge geblizt hat, auf den betroffenen Sophiſten,<lb/>
und begab ſich hinweg.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Drittes</hi></hi></fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[24/0026]
Agathon.
Hier fuhr der barbariſche Menſch fort, ohne das ge-
ringſte Mitleiden mit dem Zuſtande, worein er den
armen Agathon durch ſeine Pralereyen ſezte, die Gluͤk-
ſeligkeiten, welche er in den Armen der ſchoͤnen Da-
nae (der Himmel weiß mit welchem Grunde) genoſſen
zu haben vorgab, von Stuͤk zu Stuͤk mit einem Ton
von Wahrheit, und mit einer Munterkeit zu beſchreiben,
welche ſeinen Zuhoͤrer beynahe zur Verzweiflung brachte.
Es iſt vorbey, ſiel er endlich dem Sophiſten mit einer
ſo heftigen Bewegung in die Rede, daß er in dieſem
Angenblik mehr als ein Menſch zu ſeyn ſchien — Es
iſt vorbey! O Tugend, du biſt gerochen! — Hip-
pias, du haſt mich unter der laͤchelnden Maske der Freund-
ſchaft mit einem giftigen Dolch durchboret — aber
ich danke dir — deine Boßheit leiſtet mir einen
wichtigern Dienſt als alles was deine Freundſchaft fuͤr
mich haͤtte thun koͤnnen. Sie eroͤfnet mir die Au-
gen — zeigt mir auf einmal in den Gegenſtaͤnden
meiner Hochachtung und meines Zutrauens, in dem Ab-
gott meines Herzens und in meinem vermeynten Freunde,
die zwey veraͤchtlichſten Gegenſtaͤnde, womit jemals
meine Augen ſich beſudelt haben. Goͤtter! die Buhlerin
eines Hippias! Kan etwas unter dieſem unterſten Grade
der Entehrung ſeyn? Mit dieſer Apoſtrophe warf er den
verachtungs volleſten Blik, der jemals aus einem Menſch-
lichen Auge geblizt hat, auf den betroffenen Sophiſten,
und begab ſich hinweg.
Drittes
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/26>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.