Sobald Agathon seinen Entschluß genommen hatte, so arbeitete er an der Ausführung desselben. Dion, welcher sich damals zu Athen befand, hatte einen beträcht- lichen Anhang in Sicilien, durch welchen er bisher alle mögliche Bewegungen gemacht hatte, seine Zurükberuf- fung von dem Prinzen zu erhalten. Er hatte sich deß- halben vorzüglich an den Agathon gewandt, so bald ihm berichtet worden war, in welchem Ansehen er bey Dionysen stehe. Aber Agathon dachte damals nicht so gut von dem Character Dions als die Academie zu Athen eine Tugend, welche mit Stolz, Unbiegsamkeit und Austerität vermischt war, schien ihm, wo nicht ver- dächtig, doch wenig liebenswürdig; er besorgte mit einiger Wahrscheinlichkeit, daß die Gemüths-Art die- ses Prinzen ihn niemals ruhig lassen, und daß er, un- geachtet seiner republicanischen Grundsäze, eben so un- gelehrig seyn würde, das höchste Ansehen im Staat mit jemand zu theilen, als ohne Ansehen zu leben. Er hatte also, anstatt seine Zurükberuffung bey dem Dio- nys zu befördern, diesen der äussersten Abneigung, die er davor zeigte, überlassen, und sich durch diese Aufführung einiges Mißvergnügen von Seiten der Freunde Dions zu- gezogen, welche es ihm eben so übel nahmen, daß er nichts für diesen Prinzen that, als ob er gegen ihn agirt hätte. Allein seitdem seine eigene Erfahrung das schlimmste, was Dionysens Feinde von ihm denken konn- ten, rechtfertigte, hatte sich auch seine Gesinnung gegen den Dion gänzlich umgewandt. Dieser Prinz, welcher unstreitig grosse Eigenschaften besaß, stellte sich ihm izt unter dem Bilde eines rechtschaffenen Mannes dar, in welchem der langwierige Anblik des gemeinen Elendes
unter
Agathon.
Sobald Agathon ſeinen Entſchluß genommen hatte, ſo arbeitete er an der Ausfuͤhrung deſſelben. Dion, welcher ſich damals zu Athen befand, hatte einen betraͤcht- lichen Anhang in Sicilien, durch welchen er bisher alle moͤgliche Bewegungen gemacht hatte, ſeine Zuruͤkberuf- fung von dem Prinzen zu erhalten. Er hatte ſich deß- halben vorzuͤglich an den Agathon gewandt, ſo bald ihm berichtet worden war, in welchem Anſehen er bey Dionyſen ſtehe. Aber Agathon dachte damals nicht ſo gut von dem Character Dions als die Academie zu Athen eine Tugend, welche mit Stolz, Unbiegſamkeit und Auſteritaͤt vermiſcht war, ſchien ihm, wo nicht ver- daͤchtig, doch wenig liebenswuͤrdig; er beſorgte mit einiger Wahrſcheinlichkeit, daß die Gemuͤths-Art die- ſes Prinzen ihn niemals ruhig laſſen, und daß er, un- geachtet ſeiner republicaniſchen Grundſaͤze, eben ſo un- gelehrig ſeyn wuͤrde, das hoͤchſte Anſehen im Staat mit jemand zu theilen, als ohne Anſehen zu leben. Er hatte alſo, anſtatt ſeine Zuruͤkberuffung bey dem Dio- nys zu befoͤrdern, dieſen der aͤuſſerſten Abneigung, die er davor zeigte, uͤberlaſſen, und ſich durch dieſe Auffuͤhrung einiges Mißvergnuͤgen von Seiten der Freunde Dions zu- gezogen, welche es ihm eben ſo uͤbel nahmen, daß er nichts fuͤr dieſen Prinzen that, als ob er gegen ihn agirt haͤtte. Allein ſeitdem ſeine eigene Erfahrung das ſchlimmſte, was Dionyſens Feinde von ihm denken konn- ten, rechtfertigte, hatte ſich auch ſeine Geſinnung gegen den Dion gaͤnzlich umgewandt. Dieſer Prinz, welcher unſtreitig groſſe Eigenſchaften beſaß, ſtellte ſich ihm izt unter dem Bilde eines rechtſchaffenen Mannes dar, in welchem der langwierige Anblik des gemeinen Elendes
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Agathon.
Sobald Agathon ſeinen Entſchluß genommen hatte,
ſo arbeitete er an der Ausfuͤhrung deſſelben. Dion,
welcher ſich damals zu Athen befand, hatte einen betraͤcht-
lichen Anhang in Sicilien, durch welchen er bisher alle
moͤgliche Bewegungen gemacht hatte, ſeine Zuruͤkberuf-
fung von dem Prinzen zu erhalten. Er hatte ſich deß-
halben vorzuͤglich an den Agathon gewandt, ſo bald
ihm berichtet worden war, in welchem Anſehen er bey
Dionyſen ſtehe. Aber Agathon dachte damals nicht ſo
gut von dem Character Dions als die Academie zu
Athen eine Tugend, welche mit Stolz, Unbiegſamkeit
und Auſteritaͤt vermiſcht war, ſchien ihm, wo nicht ver-
daͤchtig, doch wenig liebenswuͤrdig; er beſorgte mit
einiger Wahrſcheinlichkeit, daß die Gemuͤths-Art die-
ſes Prinzen ihn niemals ruhig laſſen, und daß er, un-
geachtet ſeiner republicaniſchen Grundſaͤze, eben ſo un-
gelehrig ſeyn wuͤrde, das hoͤchſte Anſehen im Staat
mit jemand zu theilen, als ohne Anſehen zu leben. Er
hatte alſo, anſtatt ſeine Zuruͤkberuffung bey dem Dio-
nys zu befoͤrdern, dieſen der aͤuſſerſten Abneigung, die
er davor zeigte, uͤberlaſſen, und ſich durch dieſe Auffuͤhrung
einiges Mißvergnuͤgen von Seiten der Freunde Dions zu-
gezogen, welche es ihm eben ſo uͤbel nahmen, daß er
nichts fuͤr dieſen Prinzen that, als ob er gegen ihn agirt
haͤtte. Allein ſeitdem ſeine eigene Erfahrung das
ſchlimmſte, was Dionyſens Feinde von ihm denken konn-
ten, rechtfertigte, hatte ſich auch ſeine Geſinnung gegen
den Dion gaͤnzlich umgewandt. Dieſer Prinz, welcher
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unter dem Bilde eines rechtſchaffenen Mannes dar, in
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/256>, abgerufen am 24.11.2024.
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