daß man ihnen Ehrfurcht schuldig sey. Es ist Zeit der Comödie ein Ende zu machen, und diesem kleinen Thea- ter-Könige den Plaz anzuweisen, wozu ihn seine persön- liche Eigenschaften bestimmen.
Unsere Leser sehen aus dieser Probe der geheimen Ge- spräche, welche Agathon mit sich selbst hielt, daß er noch weit davon entfernt ist, sich von diesem enthustasti- schen Schwung der Seele Meister gemacht zu haben, der bisher die Quelle seiner Fehler sowol als seiner schön- sten Thaten gewesen ist. Wir haben keinen Grund in die Aufrichtigkeit dieses Monologen einigen Zweifel zu sezen; seine Seele war gewohnt, aufrichtig gegen sich selbst zu seyn. Wir können also als gewiß annehmen, daß er zu dem Entschluß, eine Empörung gegen den Dionys zu erregen, durch eben so tugendhafte Gesinnun- gen getrieben zu werden glaubte, als diejenigen waren, welche fünfzehn Jahre später einen der edelsten Sterb- lichen, die jemals gelebt haben, den Timoleon von Corinth, aufmunterten, die Befreyung Siciliens zu un- ternehmen. Allein es ist darum nicht weniger gewiß, daß die lebhafte Empfindung des persönlichen Unrechts, welches ihm zugefüget wurde, der Unwille über die Undankbarkeit des Dionys, und der Verdruß sich einer verachtenswürdigen Buhler-Jntrigue aufgeopfert zu se- hen, einen grossen Einfluß in seine gegenwärtige Denkens- Art gehabt, und zur Enzündung dieses heroischen Feuers, welches in seiner Seele brannte, nicht wenig beygetra- gen habe. Jm Grunde hatte er keine andre Pflichten
gegen
Zehentes Buch, drittes Capitel.
daß man ihnen Ehrfurcht ſchuldig ſey. Es iſt Zeit der Comoͤdie ein Ende zu machen, und dieſem kleinen Thea- ter-Koͤnige den Plaz anzuweiſen, wozu ihn ſeine perſoͤn- liche Eigenſchaften beſtimmen.
Unſere Leſer ſehen aus dieſer Probe der geheimen Ge- ſpraͤche, welche Agathon mit ſich ſelbſt hielt, daß er noch weit davon entfernt iſt, ſich von dieſem enthuſtaſti- ſchen Schwung der Seele Meiſter gemacht zu haben, der bisher die Quelle ſeiner Fehler ſowol als ſeiner ſchoͤn- ſten Thaten geweſen iſt. Wir haben keinen Grund in die Aufrichtigkeit dieſes Monologen einigen Zweifel zu ſezen; ſeine Seele war gewohnt, aufrichtig gegen ſich ſelbſt zu ſeyn. Wir koͤnnen alſo als gewiß annehmen, daß er zu dem Entſchluß, eine Empoͤrung gegen den Dionys zu erregen, durch eben ſo tugendhafte Geſinnun- gen getrieben zu werden glaubte, als diejenigen waren, welche fuͤnfzehn Jahre ſpaͤter einen der edelſten Sterb- lichen, die jemals gelebt haben, den Timoleon von Corinth, aufmunterten, die Befreyung Siciliens zu un- ternehmen. Allein es iſt darum nicht weniger gewiß, daß die lebhafte Empfindung des perſoͤnlichen Unrechts, welches ihm zugefuͤget wurde, der Unwille uͤber die Undankbarkeit des Dionys, und der Verdruß ſich einer verachtenswuͤrdigen Buhler-Jntrigue aufgeopfert zu ſe- hen, einen groſſen Einfluß in ſeine gegenwaͤrtige Denkens- Art gehabt, und zur Enzuͤndung dieſes heroiſchen Feuers, welches in ſeiner Seele brannte, nicht wenig beygetra- gen habe. Jm Grunde hatte er keine andre Pflichten
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Zehentes Buch, drittes Capitel.
daß man ihnen Ehrfurcht ſchuldig ſey. Es iſt Zeit der
Comoͤdie ein Ende zu machen, und dieſem kleinen Thea-
ter-Koͤnige den Plaz anzuweiſen, wozu ihn ſeine perſoͤn-
liche Eigenſchaften beſtimmen.
Unſere Leſer ſehen aus dieſer Probe der geheimen Ge-
ſpraͤche, welche Agathon mit ſich ſelbſt hielt, daß er
noch weit davon entfernt iſt, ſich von dieſem enthuſtaſti-
ſchen Schwung der Seele Meiſter gemacht zu haben,
der bisher die Quelle ſeiner Fehler ſowol als ſeiner ſchoͤn-
ſten Thaten geweſen iſt. Wir haben keinen Grund in
die Aufrichtigkeit dieſes Monologen einigen Zweifel zu
ſezen; ſeine Seele war gewohnt, aufrichtig gegen ſich
ſelbſt zu ſeyn. Wir koͤnnen alſo als gewiß annehmen,
daß er zu dem Entſchluß, eine Empoͤrung gegen den
Dionys zu erregen, durch eben ſo tugendhafte Geſinnun-
gen getrieben zu werden glaubte, als diejenigen waren,
welche fuͤnfzehn Jahre ſpaͤter einen der edelſten Sterb-
lichen, die jemals gelebt haben, den Timoleon von
Corinth, aufmunterten, die Befreyung Siciliens zu un-
ternehmen. Allein es iſt darum nicht weniger gewiß,
daß die lebhafte Empfindung des perſoͤnlichen Unrechts,
welches ihm zugefuͤget wurde, der Unwille uͤber die
Undankbarkeit des Dionys, und der Verdruß ſich einer
verachtenswuͤrdigen Buhler-Jntrigue aufgeopfert zu ſe-
hen, einen groſſen Einfluß in ſeine gegenwaͤrtige Denkens-
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/253>, abgerufen am 16.07.2024.
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