seiner Staats-Verwaltung gefolget war: Jn der That aber geschah in jedem vorkommenden Falle gerade das Widerspiel von dem, was er gethan haben würde; und kurz, das Laster herrschte wieder mit so despotischer Ge- walt als jemals.
Hier wäre es Zeit gewesen, die Clausul gelten zu machen, welche er seinem Vertrag mit dem Dionys angehängt hatte, und sich zurükzuziehen, da er nicht mehr zweiffeln konnte, daß er am Hofe dieses Prinzen zu nichts mehr nüze war. Und dieses war auch der Rath, den ihm der einzige von seinen Hoffreunden, der ihm getreu blieb, der Philosoph Aristippus gab. Du hättest, sagte er ihm in einer vertraulichen Unter- redung über den gegenwärtigen Lauf der Sachen, du hättest dich entweder niemals mit einem Dionysius ein- lassen, oder an dem Plaz, den du einmal angenom- men hattest, deine moralische Begriffe -- oder doch wenigstens deine Handlungen nach den Umständen be- stimmen sollen. Auf diesem Theater der Verstellung, der Betrügerey, der Jntriguen, der Schmeicheley und Verrätherey, wo Tugenden und Pflichten blosse Rechen- Pfenninge, und alle Gesichter Masken sind; kurz, an einem Hofe, gilt keine andre Regel als die Convenienz, keine andre Politik, als einen jedem Umstand mit unsern eignen Absichten so gut vereinigen als man kan. Jm übrigen ist es vielleicht eine Frage, ob du so wol ge- than hast, dich um einer an sich wenig bedeutenden Ur- sache willen mit Dionysen abzuwerfen. Jch gestehe es,
in
Q 3
Zehentes Buch, drittes Capitel.
ſeiner Staats-Verwaltung gefolget war: Jn der That aber geſchah in jedem vorkommenden Falle gerade das Widerſpiel von dem, was er gethan haben wuͤrde; und kurz, das Laſter herrſchte wieder mit ſo deſpotiſcher Ge- walt als jemals.
Hier waͤre es Zeit geweſen, die Clauſul gelten zu machen, welche er ſeinem Vertrag mit dem Dionys angehaͤngt hatte, und ſich zuruͤkzuziehen, da er nicht mehr zweiffeln konnte, daß er am Hofe dieſes Prinzen zu nichts mehr nuͤze war. Und dieſes war auch der Rath, den ihm der einzige von ſeinen Hoffreunden, der ihm getreu blieb, der Philoſoph Ariſtippus gab. Du haͤtteſt, ſagte er ihm in einer vertraulichen Unter- redung uͤber den gegenwaͤrtigen Lauf der Sachen, du haͤtteſt dich entweder niemals mit einem Dionyſius ein- laſſen, oder an dem Plaz, den du einmal angenom- men hatteſt, deine moraliſche Begriffe ‒‒ oder doch wenigſtens deine Handlungen nach den Umſtaͤnden be- ſtimmen ſollen. Auf dieſem Theater der Verſtellung, der Betruͤgerey, der Jntriguen, der Schmeicheley und Verraͤtherey, wo Tugenden und Pflichten bloſſe Rechen- Pfenninge, und alle Geſichter Masken ſind; kurz, an einem Hofe, gilt keine andre Regel als die Convenienz, keine andre Politik, als einen jedem Umſtand mit unſern eignen Abſichten ſo gut vereinigen als man kan. Jm uͤbrigen iſt es vielleicht eine Frage, ob du ſo wol ge- than haſt, dich um einer an ſich wenig bedeutenden Ur- ſache willen mit Dionyſen abzuwerfen. Jch geſtehe es,
in
Q 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0247"n="245"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Zehentes Buch, drittes Capitel.</hi></fw><lb/>ſeiner Staats-Verwaltung gefolget war: Jn der That<lb/>
aber geſchah in jedem vorkommenden Falle gerade das<lb/>
Widerſpiel von dem, was er gethan haben wuͤrde; und<lb/>
kurz, das Laſter herrſchte wieder mit ſo deſpotiſcher Ge-<lb/>
walt als jemals.</p><lb/><p>Hier waͤre es Zeit geweſen, die Clauſul gelten zu<lb/>
machen, welche er ſeinem Vertrag mit dem Dionys<lb/>
angehaͤngt hatte, und ſich zuruͤkzuziehen, da er nicht<lb/>
mehr zweiffeln konnte, daß er am Hofe dieſes Prinzen<lb/>
zu nichts mehr nuͤze war. Und dieſes war auch der<lb/>
Rath, den ihm der einzige von ſeinen Hoffreunden,<lb/>
der ihm getreu blieb, der Philoſoph Ariſtippus gab.<lb/>
Du haͤtteſt, ſagte er ihm in einer vertraulichen Unter-<lb/>
redung uͤber den gegenwaͤrtigen Lauf der Sachen, du<lb/>
haͤtteſt dich entweder niemals mit einem Dionyſius ein-<lb/>
laſſen, oder an dem Plaz, den du einmal angenom-<lb/>
men hatteſt, deine moraliſche Begriffe ‒‒ oder doch<lb/>
wenigſtens deine Handlungen nach den Umſtaͤnden be-<lb/>ſtimmen ſollen. Auf dieſem Theater der Verſtellung,<lb/>
der Betruͤgerey, der Jntriguen, der Schmeicheley und<lb/>
Verraͤtherey, wo Tugenden und Pflichten bloſſe Rechen-<lb/>
Pfenninge, und alle Geſichter Masken ſind; kurz, an<lb/>
einem Hofe, gilt keine andre Regel als die Convenienz,<lb/>
keine andre Politik, als einen jedem Umſtand mit unſern<lb/>
eignen Abſichten ſo gut vereinigen als man kan. Jm<lb/>
uͤbrigen iſt es vielleicht eine Frage, ob du ſo wol ge-<lb/>
than haſt, dich um einer an ſich wenig bedeutenden Ur-<lb/>ſache willen mit Dionyſen abzuwerfen. Jch geſtehe es,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Q 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">in</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[245/0247]
Zehentes Buch, drittes Capitel.
ſeiner Staats-Verwaltung gefolget war: Jn der That
aber geſchah in jedem vorkommenden Falle gerade das
Widerſpiel von dem, was er gethan haben wuͤrde; und
kurz, das Laſter herrſchte wieder mit ſo deſpotiſcher Ge-
walt als jemals.
Hier waͤre es Zeit geweſen, die Clauſul gelten zu
machen, welche er ſeinem Vertrag mit dem Dionys
angehaͤngt hatte, und ſich zuruͤkzuziehen, da er nicht
mehr zweiffeln konnte, daß er am Hofe dieſes Prinzen
zu nichts mehr nuͤze war. Und dieſes war auch der
Rath, den ihm der einzige von ſeinen Hoffreunden,
der ihm getreu blieb, der Philoſoph Ariſtippus gab.
Du haͤtteſt, ſagte er ihm in einer vertraulichen Unter-
redung uͤber den gegenwaͤrtigen Lauf der Sachen, du
haͤtteſt dich entweder niemals mit einem Dionyſius ein-
laſſen, oder an dem Plaz, den du einmal angenom-
men hatteſt, deine moraliſche Begriffe ‒‒ oder doch
wenigſtens deine Handlungen nach den Umſtaͤnden be-
ſtimmen ſollen. Auf dieſem Theater der Verſtellung,
der Betruͤgerey, der Jntriguen, der Schmeicheley und
Verraͤtherey, wo Tugenden und Pflichten bloſſe Rechen-
Pfenninge, und alle Geſichter Masken ſind; kurz, an
einem Hofe, gilt keine andre Regel als die Convenienz,
keine andre Politik, als einen jedem Umſtand mit unſern
eignen Abſichten ſo gut vereinigen als man kan. Jm
uͤbrigen iſt es vielleicht eine Frage, ob du ſo wol ge-
than haſt, dich um einer an ſich wenig bedeutenden Ur-
ſache willen mit Dionyſen abzuwerfen. Jch geſtehe es,
in
Q 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/247>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.