wofür er sich ausgiebt; vollkommen zufrieden, wenn die Mitspielenden und Zuschauer nur dergleichen thun, ohne daß es ihm einfällt sich zu bekümmern, ob es ihr Ernst sey, oder nicht.
Agathon hatte nunmehr gute Musse, dergleichen Be- trachtungen anzustellen; denn sein Ansehen und Einfluß nahm zusehends ab. Aeusserlich zwar schien alles noch zu seyn, wie es gewesen war. Dionys und der ganze Hof liebkoseten ihm so sehr als jemals, und die Dame Cleonissa selbst schien es ihrer unwürdig zu halten, ihm einige Empfindlichkeit zu erkennen zu geben. Aber desto mehr Mißvergnügen wurde ihm durch geheime, schlei- chende, und indirecte Wege gemacht. Er mußte zu- sehen, wie nach und nach, unter tausend falschen und nichtswürdigen Vorwänden, seine besten Anordnungen als schlecht ausgesonnen, überflüssig, oder schädlich, wieder aufgehoben, oder durch andere unnüze gemacht -- wie die wenigen von seinen Creaturen, welche in der That Verdienste hatten, entfernt -- wie alle seine Ab- sichten mißdeutet, alle seine Handlungen aus einem willkührlich falschen Gesichts-Punct beurtheilt, und alle seine Vorzüge oder Verdienste lächerlich gemacht wurden. Zu eben der Zeit, da man seine Talente und Tugenden erhob, behandelte man ihn eben so, als ob er nicht das geringste von den einen noch von den andern hätte. Man behielt zwar noch, aus politischen Absichten (wie man es zu nennen pflegt) den Schein bey, als ob man nach den nehmlichen Grundsäzen handle, denen er in
seiner
Agathon.
wofuͤr er ſich ausgiebt; vollkommen zufrieden, wenn die Mitſpielenden und Zuſchauer nur dergleichen thun, ohne daß es ihm einfaͤllt ſich zu bekuͤmmern, ob es ihr Ernſt ſey, oder nicht.
Agathon hatte nunmehr gute Muſſe, dergleichen Be- trachtungen anzuſtellen; denn ſein Anſehen und Einfluß nahm zuſehends ab. Aeuſſerlich zwar ſchien alles noch zu ſeyn, wie es geweſen war. Dionys und der ganze Hof liebkoſeten ihm ſo ſehr als jemals, und die Dame Cleoniſſa ſelbſt ſchien es ihrer unwuͤrdig zu halten, ihm einige Empfindlichkeit zu erkennen zu geben. Aber deſto mehr Mißvergnuͤgen wurde ihm durch geheime, ſchlei- chende, und indirecte Wege gemacht. Er mußte zu- ſehen, wie nach und nach, unter tauſend falſchen und nichtswuͤrdigen Vorwaͤnden, ſeine beſten Anordnungen als ſchlecht ausgeſonnen, uͤberfluͤſſig, oder ſchaͤdlich, wieder aufgehoben, oder durch andere unnuͤze gemacht ‒‒ wie die wenigen von ſeinen Creaturen, welche in der That Verdienſte hatten, entfernt ‒‒ wie alle ſeine Ab- ſichten mißdeutet, alle ſeine Handlungen aus einem willkuͤhrlich falſchen Geſichts-Punct beurtheilt, und alle ſeine Vorzuͤge oder Verdienſte laͤcherlich gemacht wurden. Zu eben der Zeit, da man ſeine Talente und Tugenden erhob, behandelte man ihn eben ſo, als ob er nicht das geringſte von den einen noch von den andern haͤtte. Man behielt zwar noch, aus politiſchen Abſichten (wie man es zu nennen pflegt) den Schein bey, als ob man nach den nehmlichen Grundſaͤzen handle, denen er in
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Agathon.
wofuͤr er ſich ausgiebt; vollkommen zufrieden, wenn
die Mitſpielenden und Zuſchauer nur dergleichen thun,
ohne daß es ihm einfaͤllt ſich zu bekuͤmmern, ob es ihr
Ernſt ſey, oder nicht.
Agathon hatte nunmehr gute Muſſe, dergleichen Be-
trachtungen anzuſtellen; denn ſein Anſehen und Einfluß
nahm zuſehends ab. Aeuſſerlich zwar ſchien alles noch
zu ſeyn, wie es geweſen war. Dionys und der ganze
Hof liebkoſeten ihm ſo ſehr als jemals, und die Dame
Cleoniſſa ſelbſt ſchien es ihrer unwuͤrdig zu halten, ihm
einige Empfindlichkeit zu erkennen zu geben. Aber deſto
mehr Mißvergnuͤgen wurde ihm durch geheime, ſchlei-
chende, und indirecte Wege gemacht. Er mußte zu-
ſehen, wie nach und nach, unter tauſend falſchen und
nichtswuͤrdigen Vorwaͤnden, ſeine beſten Anordnungen
als ſchlecht ausgeſonnen, uͤberfluͤſſig, oder ſchaͤdlich,
wieder aufgehoben, oder durch andere unnuͤze gemacht ‒‒
wie die wenigen von ſeinen Creaturen, welche in der
That Verdienſte hatten, entfernt ‒‒ wie alle ſeine Ab-
ſichten mißdeutet, alle ſeine Handlungen aus einem
willkuͤhrlich falſchen Geſichts-Punct beurtheilt, und alle
ſeine Vorzuͤge oder Verdienſte laͤcherlich gemacht wurden.
Zu eben der Zeit, da man ſeine Talente und Tugenden
erhob, behandelte man ihn eben ſo, als ob er nicht
das geringſte von den einen noch von den andern haͤtte.
Man behielt zwar noch, aus politiſchen Abſichten (wie
man es zu nennen pflegt) den Schein bey, als ob man
nach den nehmlichen Grundſaͤzen handle, denen er in
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/246>, abgerufen am 16.02.2025.
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