Jnzwischen war, ungeachtet aller Behutsamkeit, welche Cleonissa, und Dionys selbst gebrauchte, die Leidenschaft dieses Prinzen, und die unüberwindliche Tugend seiner Göttin, ein Geheimniß, welches der ganze Hof wußte, wenn man schon nicht dergleichen that, als ob man Augen oder Ohren hätte. Cleonissa hatte die Vorsicht gebraucht, die Schwestern des Prin- zen, von dem Augenblike, da sie an seiner Leidenschaft nicht mehr zweifeln konnte, zu ihren Vertrauten zu machen; diese hatten wieder im Vertrauen alles seiner Gemalin entdekt, und die Gemalin seiner Mutter. Die Princessinnen, welche seine bisherigen Ausschweiffungen immer vergebens beseufzet, und besonders gegen die arme Bacchidion einen Widerwillen gefaßt hatten, wo- von sich kein andrer Grund, als die launische Denkungs- Art dieser Damen angeben läßt, waren erfreut, daß seine Neigung endlich einmal auf einen tugendhaften Gegenstand gefallen war. Die ausnehmende Klugheit der schönen Cleonissa machte ihnen Hofnung, daß es ihr gelingen würde, ihn unvermerkt auf den rechten Weg zu bringen. Cleonissa erstattete ihnen jedes mal getreuen Bericht von allem was zwischen ihr und ihrem Liebhaber vorgegangen war -- oder doch von allem, was die Princessinnen davon zu wissen nöthig hatten; alle Maß- regeln, wie sie sich gegen ihn betragen sollte, wurden in dem Cabinet der Königin abgeredet; und diese gute Dame, welche das Unglük hatte, die Kaltsinnigkeit ihres Gemahls gegen sie lebhafter zu empfinden, als es für ihre Ruhe gut war, gab sich alle mögliche Bewegun- gen, die Bemühungen zu befördern, welche von der
tugend-
Agathon.
Jnzwiſchen war, ungeachtet aller Behutſamkeit, welche Cleoniſſa, und Dionys ſelbſt gebrauchte, die Leidenſchaft dieſes Prinzen, und die unuͤberwindliche Tugend ſeiner Goͤttin, ein Geheimniß, welches der ganze Hof wußte, wenn man ſchon nicht dergleichen that, als ob man Augen oder Ohren haͤtte. Cleoniſſa hatte die Vorſicht gebraucht, die Schweſtern des Prin- zen, von dem Augenblike, da ſie an ſeiner Leidenſchaft nicht mehr zweifeln konnte, zu ihren Vertrauten zu machen; dieſe hatten wieder im Vertrauen alles ſeiner Gemalin entdekt, und die Gemalin ſeiner Mutter. Die Princeſſinnen, welche ſeine bisherigen Ausſchweiffungen immer vergebens beſeufzet, und beſonders gegen die arme Bacchidion einen Widerwillen gefaßt hatten, wo- von ſich kein andrer Grund, als die launiſche Denkungs- Art dieſer Damen angeben laͤßt, waren erfreut, daß ſeine Neigung endlich einmal auf einen tugendhaften Gegenſtand gefallen war. Die ausnehmende Klugheit der ſchoͤnen Cleoniſſa machte ihnen Hofnung, daß es ihr gelingen wuͤrde, ihn unvermerkt auf den rechten Weg zu bringen. Cleoniſſa erſtattete ihnen jedes mal getreuen Bericht von allem was zwiſchen ihr und ihrem Liebhaber vorgegangen war ‒‒ oder doch von allem, was die Princeſſinnen davon zu wiſſen noͤthig hatten; alle Maß- regeln, wie ſie ſich gegen ihn betragen ſollte, wurden in dem Cabinet der Koͤnigin abgeredet; und dieſe gute Dame, welche das Ungluͤk hatte, die Kaltſinnigkeit ihres Gemahls gegen ſie lebhafter zu empfinden, als es fuͤr ihre Ruhe gut war, gab ſich alle moͤgliche Bewegun- gen, die Bemuͤhungen zu befoͤrdern, welche von der
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Agathon.
Jnzwiſchen war, ungeachtet aller Behutſamkeit,
welche Cleoniſſa, und Dionys ſelbſt gebrauchte, die
Leidenſchaft dieſes Prinzen, und die unuͤberwindliche
Tugend ſeiner Goͤttin, ein Geheimniß, welches der
ganze Hof wußte, wenn man ſchon nicht dergleichen
that, als ob man Augen oder Ohren haͤtte. Cleoniſſa
hatte die Vorſicht gebraucht, die Schweſtern des Prin-
zen, von dem Augenblike, da ſie an ſeiner Leidenſchaft
nicht mehr zweifeln konnte, zu ihren Vertrauten zu
machen; dieſe hatten wieder im Vertrauen alles ſeiner
Gemalin entdekt, und die Gemalin ſeiner Mutter. Die
Princeſſinnen, welche ſeine bisherigen Ausſchweiffungen
immer vergebens beſeufzet, und beſonders gegen die
arme Bacchidion einen Widerwillen gefaßt hatten, wo-
von ſich kein andrer Grund, als die launiſche Denkungs-
Art dieſer Damen angeben laͤßt, waren erfreut, daß
ſeine Neigung endlich einmal auf einen tugendhaften
Gegenſtand gefallen war. Die ausnehmende Klugheit
der ſchoͤnen Cleoniſſa machte ihnen Hofnung, daß es ihr
gelingen wuͤrde, ihn unvermerkt auf den rechten Weg
zu bringen. Cleoniſſa erſtattete ihnen jedes mal getreuen
Bericht von allem was zwiſchen ihr und ihrem Liebhaber
vorgegangen war ‒‒ oder doch von allem, was die
Princeſſinnen davon zu wiſſen noͤthig hatten; alle Maß-
regeln, wie ſie ſich gegen ihn betragen ſollte, wurden
in dem Cabinet der Koͤnigin abgeredet; und dieſe gute
Dame, welche das Ungluͤk hatte, die Kaltſinnigkeit
ihres Gemahls gegen ſie lebhafter zu empfinden, als es
fuͤr ihre Ruhe gut war, gab ſich alle moͤgliche Bewegun-
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/234>, abgerufen am 24.11.2024.
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