Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Zehentes Buch, zweytes Capitel. keit jedes Bubenstük zu begehen, welches eine Stuffe zuunsrer Erhebung werden kan -- und diesen Weg hatte ihnen Agathon auf einmal versperrt. Sie sahen, so lange dieser seltsame Mann den Plaz eines Günstlings bey Dionysen behaupten würde, keine Möglichkeit, wie Leute von ihrer Art sollten gedeyhen können. Sie has- seten ihn also; und wir können verfichert seyn, daß in den Herzen aller dieser Höflinge eine Art von Zusam- mem-Verschwörung gegen ihn brütete, ohne daß es da- zu einiger geheimen Verabredung bedurfte. Allein von allem diesem wurde noch nichts sichtbar. Die Maske, welche sie vorzunehmen für gut fanden, sah einem Ge- sicht so gleich, daß Agathon selbst dadurch betrogen wurde; und sich gegen die Philiste und Timocrate, und ihre Creaturen eben so bezeugte, als ob die Hoch- achtung, welche sie ihm bewiesen, und der Beyfall, den sie allen seinen Maßnehmungen gaben, aufrichtig gewesen wäre. Diese wakern Männer hatten einen ge- doppelten Vortheil über ihn -- daß er, weil er sich nichts Böses zu ihnen versah, nicht daran dachte, sie scharf zu beobachten --- und daß sie, weil sie sich ihrer eigenen Boßheit bewußt waren, desto vorsichtiger wa- ren, ihre wahren Gesinnungen in eine undurchdring- liche Verstellung einzuhüllen. Versichert wie sie waren, daß ein Mensch nothwendig eine schwache Seite haben müsse, gaben sie sich alle mögliche Mühe die seinige zu finden, und stellten ihn, ohne daß er einen Verdacht deßwegen auf sie werfen konnte, auf alle mögliche Pro- ben. Da sie ihn aber gegen Versuchungen, denen sie selbst O 4
Zehentes Buch, zweytes Capitel. keit jedes Bubenſtuͤk zu begehen, welches eine Stuffe zuunſrer Erhebung werden kan ‒‒ und dieſen Weg hatte ihnen Agathon auf einmal verſperrt. Sie ſahen, ſo lange dieſer ſeltſame Mann den Plaz eines Guͤnſtlings bey Dionyſen behaupten wuͤrde, keine Moͤglichkeit, wie Leute von ihrer Art ſollten gedeyhen koͤnnen. Sie haſ- ſeten ihn alſo; und wir koͤnnen verfichert ſeyn, daß in den Herzen aller dieſer Hoͤflinge eine Art von Zuſam- mem-Verſchwoͤrung gegen ihn bruͤtete, ohne daß es da- zu einiger geheimen Verabredung bedurfte. Allein von allem dieſem wurde noch nichts ſichtbar. Die Maske, welche ſie vorzunehmen fuͤr gut fanden, ſah einem Ge- ſicht ſo gleich, daß Agathon ſelbſt dadurch betrogen wurde; und ſich gegen die Philiſte und Timocrate, und ihre Creaturen eben ſo bezeugte, als ob die Hoch- achtung, welche ſie ihm bewieſen, und der Beyfall, den ſie allen ſeinen Maßnehmungen gaben, aufrichtig geweſen waͤre. Dieſe wakern Maͤnner hatten einen ge- doppelten Vortheil uͤber ihn ‒‒ daß er, weil er ſich nichts Boͤſes zu ihnen verſah, nicht daran dachte, ſie ſcharf zu beobachten ‒‒‒ und daß ſie, weil ſie ſich ihrer eigenen Boßheit bewußt waren, deſto vorſichtiger wa- ren, ihre wahren Geſinnungen in eine undurchdring- liche Verſtellung einzuhuͤllen. Verſichert wie ſie waren, daß ein Menſch nothwendig eine ſchwache Seite haben muͤſſe, gaben ſie ſich alle moͤgliche Muͤhe die ſeinige zu finden, und ſtellten ihn, ohne daß er einen Verdacht deßwegen auf ſie werfen konnte, auf alle moͤgliche Pro- ben. Da ſie ihn aber gegen Verſuchungen, denen ſie ſelbſt O 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0217" n="215"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zehentes Buch, zweytes Capitel.</hi></fw><lb/> keit jedes Bubenſtuͤk zu begehen, welches eine Stuffe zu<lb/> unſrer Erhebung werden kan ‒‒ und dieſen Weg hatte<lb/> ihnen Agathon auf einmal verſperrt. Sie ſahen, ſo<lb/> lange dieſer ſeltſame Mann den Plaz eines Guͤnſtlings<lb/> bey Dionyſen behaupten wuͤrde, keine Moͤglichkeit, wie<lb/> Leute von ihrer Art ſollten gedeyhen koͤnnen. Sie haſ-<lb/> ſeten ihn alſo; und wir koͤnnen verfichert ſeyn, daß in<lb/> den Herzen aller dieſer Hoͤflinge eine Art von Zuſam-<lb/> mem-Verſchwoͤrung gegen ihn bruͤtete, ohne daß es da-<lb/> zu einiger geheimen Verabredung bedurfte. Allein von<lb/> allem dieſem wurde noch nichts ſichtbar. Die Maske,<lb/> welche ſie vorzunehmen fuͤr gut fanden, ſah einem Ge-<lb/> ſicht ſo gleich, daß Agathon ſelbſt dadurch betrogen<lb/> wurde; und ſich gegen die Philiſte und Timocrate,<lb/> und ihre Creaturen eben ſo bezeugte, als ob die Hoch-<lb/> achtung, welche ſie ihm bewieſen, und der Beyfall,<lb/> den ſie allen ſeinen Maßnehmungen gaben, aufrichtig<lb/> geweſen waͤre. Dieſe wakern Maͤnner hatten einen ge-<lb/> doppelten Vortheil uͤber ihn ‒‒ daß er, weil er ſich<lb/> nichts Boͤſes zu ihnen verſah, nicht daran dachte, ſie<lb/> ſcharf zu beobachten ‒‒‒ und daß ſie, weil ſie ſich ihrer<lb/> eigenen Boßheit bewußt waren, deſto vorſichtiger wa-<lb/> ren, ihre wahren Geſinnungen in eine undurchdring-<lb/> liche Verſtellung einzuhuͤllen. Verſichert wie ſie waren,<lb/> daß ein Menſch nothwendig eine ſchwache Seite haben<lb/> muͤſſe, gaben ſie ſich alle moͤgliche Muͤhe die ſeinige zu<lb/> finden, und ſtellten ihn, ohne daß er einen Verdacht<lb/> deßwegen auf ſie werfen konnte, auf alle moͤgliche Pro-<lb/> ben. Da ſie ihn aber gegen Verſuchungen, denen ſie<lb/> <fw place="bottom" type="sig">O 4</fw><fw place="bottom" type="catch">ſelbſt</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [215/0217]
Zehentes Buch, zweytes Capitel.
keit jedes Bubenſtuͤk zu begehen, welches eine Stuffe zu
unſrer Erhebung werden kan ‒‒ und dieſen Weg hatte
ihnen Agathon auf einmal verſperrt. Sie ſahen, ſo
lange dieſer ſeltſame Mann den Plaz eines Guͤnſtlings
bey Dionyſen behaupten wuͤrde, keine Moͤglichkeit, wie
Leute von ihrer Art ſollten gedeyhen koͤnnen. Sie haſ-
ſeten ihn alſo; und wir koͤnnen verfichert ſeyn, daß in
den Herzen aller dieſer Hoͤflinge eine Art von Zuſam-
mem-Verſchwoͤrung gegen ihn bruͤtete, ohne daß es da-
zu einiger geheimen Verabredung bedurfte. Allein von
allem dieſem wurde noch nichts ſichtbar. Die Maske,
welche ſie vorzunehmen fuͤr gut fanden, ſah einem Ge-
ſicht ſo gleich, daß Agathon ſelbſt dadurch betrogen
wurde; und ſich gegen die Philiſte und Timocrate,
und ihre Creaturen eben ſo bezeugte, als ob die Hoch-
achtung, welche ſie ihm bewieſen, und der Beyfall,
den ſie allen ſeinen Maßnehmungen gaben, aufrichtig
geweſen waͤre. Dieſe wakern Maͤnner hatten einen ge-
doppelten Vortheil uͤber ihn ‒‒ daß er, weil er ſich
nichts Boͤſes zu ihnen verſah, nicht daran dachte, ſie
ſcharf zu beobachten ‒‒‒ und daß ſie, weil ſie ſich ihrer
eigenen Boßheit bewußt waren, deſto vorſichtiger wa-
ren, ihre wahren Geſinnungen in eine undurchdring-
liche Verſtellung einzuhuͤllen. Verſichert wie ſie waren,
daß ein Menſch nothwendig eine ſchwache Seite haben
muͤſſe, gaben ſie ſich alle moͤgliche Muͤhe die ſeinige zu
finden, und ſtellten ihn, ohne daß er einen Verdacht
deßwegen auf ſie werfen konnte, auf alle moͤgliche Pro-
ben. Da ſie ihn aber gegen Verſuchungen, denen ſie
ſelbſt
O 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |