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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.

Ausser der schönen Bacchidion, welche, wie wir gese-
hen haben, allen ihren Ehrgeiz darein sezte, das Ver-
gnügen eines Prinzen, den sie liebte, auszumachen --
war Philistus, durch die Gnade, worinn er bey Diony-
sen stuhnd, die beträchtlichste Person unter allen den-
jenigen, mit denen Agathon in seiner neuen Stelle
mehr oder weniger in Verhältniß war. Dieser Mann
spielt in diesem Stük unsrer Geschichte eine Rolle, welche
begierig machen kan, ihn näher kennen zu lernen. Und
über dem ist es eine von den geheiligten Pflichten der
Geschichte, den verfälschenden Glanz zu zerstreuen,
welchen das Glük und die Gunst der Grossen sehr oft
über nichtswürdige Creaturen ausbreitet, um der Nach-
welt, zum Exempel, zu zeigen, daß dieser Pallas,
welchen so viele Decrete des Römischen Senats, so viele
Statuen und öffentliche Ehren-Mähler eben dieser Nach-
welt als einen Wolthäter des menschlichen Geschlechts,
als einen Halb-Gott ankündigen, nichts bessers noch
grössers als ein schamloser lasterhafter Sclave war.
Wenn Philistus in Vergleichung mit einem Pallas oder
Tigellin nur ein Zwerg gegen einen Riesen scheint, so
kommt es in der That allein von dem unermeßlichen
Unterschied zwischen der Römischen Monarchie im Zeit-
punct ihrer äussersten Höhe, und dem kleinen Staat,
worinn Dionys zu gebieten hatte, her. Eben dieser
Teufel, der seinem schlimmen Humor Luft zu machen,
eine Heerde Schweine ersäufte, würde mit ungleich grös-
serm Vergnügen den ganzen Erdboben unter Wasser ge-
sezt haben, wenn er Gewalt dazu gehabt hätte: Und

Philistus
Agathon.

Auſſer der ſchoͤnen Bacchidion, welche, wie wir geſe-
hen haben, allen ihren Ehrgeiz darein ſezte, das Ver-
gnuͤgen eines Prinzen, den ſie liebte, auszumachen ‒‒
war Philiſtus, durch die Gnade, worinn er bey Diony-
ſen ſtuhnd, die betraͤchtlichſte Perſon unter allen den-
jenigen, mit denen Agathon in ſeiner neuen Stelle
mehr oder weniger in Verhaͤltniß war. Dieſer Mann
ſpielt in dieſem Stuͤk unſrer Geſchichte eine Rolle, welche
begierig machen kan, ihn naͤher kennen zu lernen. Und
uͤber dem iſt es eine von den geheiligten Pflichten der
Geſchichte, den verfaͤlſchenden Glanz zu zerſtreuen,
welchen das Gluͤk und die Gunſt der Groſſen ſehr oft
uͤber nichtswuͤrdige Creaturen ausbreitet, um der Nach-
welt, zum Exempel, zu zeigen, daß dieſer Pallas,
welchen ſo viele Decrete des Roͤmiſchen Senats, ſo viele
Statuen und oͤffentliche Ehren-Maͤhler eben dieſer Nach-
welt als einen Wolthaͤter des menſchlichen Geſchlechts,
als einen Halb-Gott ankuͤndigen, nichts beſſers noch
groͤſſers als ein ſchamloſer laſterhafter Sclave war.
Wenn Philiſtus in Vergleichung mit einem Pallas oder
Tigellin nur ein Zwerg gegen einen Rieſen ſcheint, ſo
kommt es in der That allein von dem unermeßlichen
Unterſchied zwiſchen der Roͤmiſchen Monarchie im Zeit-
punct ihrer aͤuſſerſten Hoͤhe, und dem kleinen Staat,
worinn Dionys zu gebieten hatte, her. Eben dieſer
Teufel, der ſeinem ſchlimmen Humor Luft zu machen,
eine Heerde Schweine erſaͤufte, wuͤrde mit ungleich groͤſ-
ſerm Vergnuͤgen den ganzen Erdboben unter Waſſer ge-
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Philiſtus
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[204/0206] Agathon. Auſſer der ſchoͤnen Bacchidion, welche, wie wir geſe- hen haben, allen ihren Ehrgeiz darein ſezte, das Ver- gnuͤgen eines Prinzen, den ſie liebte, auszumachen ‒‒ war Philiſtus, durch die Gnade, worinn er bey Diony- ſen ſtuhnd, die betraͤchtlichſte Perſon unter allen den- jenigen, mit denen Agathon in ſeiner neuen Stelle mehr oder weniger in Verhaͤltniß war. Dieſer Mann ſpielt in dieſem Stuͤk unſrer Geſchichte eine Rolle, welche begierig machen kan, ihn naͤher kennen zu lernen. Und uͤber dem iſt es eine von den geheiligten Pflichten der Geſchichte, den verfaͤlſchenden Glanz zu zerſtreuen, welchen das Gluͤk und die Gunſt der Groſſen ſehr oft uͤber nichtswuͤrdige Creaturen ausbreitet, um der Nach- welt, zum Exempel, zu zeigen, daß dieſer Pallas, welchen ſo viele Decrete des Roͤmiſchen Senats, ſo viele Statuen und oͤffentliche Ehren-Maͤhler eben dieſer Nach- welt als einen Wolthaͤter des menſchlichen Geſchlechts, als einen Halb-Gott ankuͤndigen, nichts beſſers noch groͤſſers als ein ſchamloſer laſterhafter Sclave war. Wenn Philiſtus in Vergleichung mit einem Pallas oder Tigellin nur ein Zwerg gegen einen Rieſen ſcheint, ſo kommt es in der That allein von dem unermeßlichen Unterſchied zwiſchen der Roͤmiſchen Monarchie im Zeit- punct ihrer aͤuſſerſten Hoͤhe, und dem kleinen Staat, worinn Dionys zu gebieten hatte, her. Eben dieſer Teufel, der ſeinem ſchlimmen Humor Luft zu machen, eine Heerde Schweine erſaͤufte, wuͤrde mit ungleich groͤſ- ſerm Vergnuͤgen den ganzen Erdboben unter Waſſer ge- ſezt haben, wenn er Gewalt dazu gehabt haͤtte: Und Philiſtus

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/206>, abgerufen am 27.11.2024.