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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
Athen gekannt; aber damals contrastierte der Enthu-
siasmus des Ersten mit dem kalten Blut, und der Humo-
ristischen Art zu philosophieren des Andern zu stark,
als daß sie einander wahrhaftig hätten hochschäzen kön-
nen, obgleich Aristipp sich öfters bey den Versammlun-
gen einfand, welche damals aus Agathons Haus einen
Tempel der Musen, und eine Academie der besten
Köpfe von Athen machten. Die Wahrheit war, daß
Agathon mit allen seinen schimmernden Eigenschaften
in Aristipps Augen ein Phantast, dessen Unglük er sei-
nen Vertrauten öfters vorhersagte -- und Aristipp mit
allem seinem Wiz nach Agathons Begriffen ein blosser
Sophist war, den seine Grundsäze geschikter machten,
weibische Sybariten noch sybaritischer, als junge Re-
publicaner zu tugendhaften Männern zu machen. Der
Eindruk, welcher beyden von dieser ehmals von einan-
der gefaßten Meynung geblieben war, machte sie stuzen,
da sie sich nach einer Trennung von drey oder vier Jah-
ren so unvermuthet wieder sahen. Es gieng ihnen in
den ersten Augenbliken, wie es uns zu gehen pflegt,
wenn uns däucht, als ob wir eine Person kennen soll-
ten, ohne uns gleich deutlich erinnern zu können, wer
sie ist, oder wo und in welchen Umständen wir sie ge-
sehen haben. Das sollte Agathon -- das sollte Ari-
stipp seyn, dachte jeder bey sich selbst, war überzeugt,
daß es so sey, und hatte doch Mühe, seiner eigenen
Ueberzeugung zu glauben. Aristipp suchte im Agathon
den Enthusiasten, welcher nicht mehr war; und Aga-
thon glaubte im Aristipp den Sybariten nicht mehr zu

finden,

Agathon.
Athen gekannt; aber damals contraſtierte der Enthu-
ſiaſmus des Erſten mit dem kalten Blut, und der Humo-
riſtiſchen Art zu philoſophieren des Andern zu ſtark,
als daß ſie einander wahrhaftig haͤtten hochſchaͤzen koͤn-
nen, obgleich Ariſtipp ſich oͤfters bey den Verſammlun-
gen einfand, welche damals aus Agathons Haus einen
Tempel der Muſen, und eine Academie der beſten
Koͤpfe von Athen machten. Die Wahrheit war, daß
Agathon mit allen ſeinen ſchimmernden Eigenſchaften
in Ariſtipps Augen ein Phantaſt, deſſen Ungluͤk er ſei-
nen Vertrauten oͤfters vorherſagte ‒‒ und Ariſtipp mit
allem ſeinem Wiz nach Agathons Begriffen ein bloſſer
Sophiſt war, den ſeine Grundſaͤze geſchikter machten,
weibiſche Sybariten noch ſybaritiſcher, als junge Re-
publicaner zu tugendhaften Maͤnnern zu machen. Der
Eindruk, welcher beyden von dieſer ehmals von einan-
der gefaßten Meynung geblieben war, machte ſie ſtuzen,
da ſie ſich nach einer Trennung von drey oder vier Jah-
ren ſo unvermuthet wieder ſahen. Es gieng ihnen in
den erſten Augenbliken, wie es uns zu gehen pflegt,
wenn uns daͤucht, als ob wir eine Perſon kennen ſoll-
ten, ohne uns gleich deutlich erinnern zu koͤnnen, wer
ſie iſt, oder wo und in welchen Umſtaͤnden wir ſie ge-
ſehen haben. Das ſollte Agathon ‒‒ das ſollte Ari-
ſtipp ſeyn, dachte jeder bey ſich ſelbſt, war uͤberzeugt,
daß es ſo ſey, und hatte doch Muͤhe, ſeiner eigenen
Ueberzeugung zu glauben. Ariſtipp ſuchte im Agathon
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thon glaubte im Ariſtipp den Sybariten nicht mehr zu

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[154/0156] Agathon. Athen gekannt; aber damals contraſtierte der Enthu- ſiaſmus des Erſten mit dem kalten Blut, und der Humo- riſtiſchen Art zu philoſophieren des Andern zu ſtark, als daß ſie einander wahrhaftig haͤtten hochſchaͤzen koͤn- nen, obgleich Ariſtipp ſich oͤfters bey den Verſammlun- gen einfand, welche damals aus Agathons Haus einen Tempel der Muſen, und eine Academie der beſten Koͤpfe von Athen machten. Die Wahrheit war, daß Agathon mit allen ſeinen ſchimmernden Eigenſchaften in Ariſtipps Augen ein Phantaſt, deſſen Ungluͤk er ſei- nen Vertrauten oͤfters vorherſagte ‒‒ und Ariſtipp mit allem ſeinem Wiz nach Agathons Begriffen ein bloſſer Sophiſt war, den ſeine Grundſaͤze geſchikter machten, weibiſche Sybariten noch ſybaritiſcher, als junge Re- publicaner zu tugendhaften Maͤnnern zu machen. Der Eindruk, welcher beyden von dieſer ehmals von einan- der gefaßten Meynung geblieben war, machte ſie ſtuzen, da ſie ſich nach einer Trennung von drey oder vier Jah- ren ſo unvermuthet wieder ſahen. Es gieng ihnen in den erſten Augenbliken, wie es uns zu gehen pflegt, wenn uns daͤucht, als ob wir eine Perſon kennen ſoll- ten, ohne uns gleich deutlich erinnern zu koͤnnen, wer ſie iſt, oder wo und in welchen Umſtaͤnden wir ſie ge- ſehen haben. Das ſollte Agathon ‒‒ das ſollte Ari- ſtipp ſeyn, dachte jeder bey ſich ſelbſt, war uͤberzeugt, daß es ſo ſey, und hatte doch Muͤhe, ſeiner eigenen Ueberzeugung zu glauben. Ariſtipp ſuchte im Agathon den Enthuſiaſten, welcher nicht mehr war; und Aga- thon glaubte im Ariſtipp den Sybariten nicht mehr zu finden,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/156>, abgerufen am 25.11.2024.