Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Buch, viertes Capitel.
seiner Leidenschaft, welche er eine Zeitlang geheim hal-
ten wollte, nöthig hatte, so war Timocrat von diesem
Angenblik an wieder der nächste an seinem Herzen. Der
weise Plato bedaurte zu spät, daß er zu viel Nachsicht
gegen den Hang dieses Prinzen nach Ergözungen getra-
gen hatte; er fühlte nur gar zu wol, daß die Gewalt
seiner metaphysischen Bezauberungen durch eine stärkere
Zaubermacht aufgelößt worden sey, und sieng an, um sich
nicht ohne Nuzen beschwerlich zu machen, den Hof selt-
ner zu besuchen. Dion gieng weiter: Er unterstund
sich, dem Dionys wegen seines geheimen Verständnisses
mit der schönen Bacchidion, Vorwürfe zu machen, und
ihn seiner Verbindlichkeiten mit einem Ernst zu erinnern,
den der Tyrann nicht mehr ertragen konnte. Dionys
sprach im Ton eines asiatischen Despoten, und Dion
antwortete wie ein Mißvergnügter, der sich stark genug
fühlt, den Drohungen eines übermüthigen Tyrannen
Troz zu bieten. Philistus hielt den Dionys zurük, der
im Begrif war alles zu wagen, indem er seiner Wuth
den Zügel schiessen lassen wollte. Allein in den Umstän-
den worinn man mit dem beleidigten Dion war, mußte
ein schleuniger Entschluß gefaßt werden. Dion ver-
schwand auf einmal, und erst nach einigen Tagen machte
Dionys bekannt: Daß ein gefährliches Complot gegen
seine Person, und die Ruhe des Staats, woran Dion
in geheim gearbeitet, ihn genöthiget hätte, denselben
auf einige Zeit aus Sicilien zu entfernen. Es bestät-
tigte sich würklich, daß Dion in der Nacht unvermuthet
in Verhaft genommen, zu Schiffe gebracht und in Jta-

lien

Neuntes Buch, viertes Capitel.
ſeiner Leidenſchaft, welche er eine Zeitlang geheim hal-
ten wollte, noͤthig hatte, ſo war Timocrat von dieſem
Angenblik an wieder der naͤchſte an ſeinem Herzen. Der
weiſe Plato bedaurte zu ſpaͤt, daß er zu viel Nachſicht
gegen den Hang dieſes Prinzen nach Ergoͤzungen getra-
gen hatte; er fuͤhlte nur gar zu wol, daß die Gewalt
ſeiner metaphyſiſchen Bezauberungen durch eine ſtaͤrkere
Zaubermacht aufgeloͤßt worden ſey, und ſieng an, um ſich
nicht ohne Nuzen beſchwerlich zu machen, den Hof ſelt-
ner zu beſuchen. Dion gieng weiter: Er unterſtund
ſich, dem Dionys wegen ſeines geheimen Verſtaͤndniſſes
mit der ſchoͤnen Bacchidion, Vorwuͤrfe zu machen, und
ihn ſeiner Verbindlichkeiten mit einem Ernſt zu erinnern,
den der Tyrann nicht mehr ertragen konnte. Dionys
ſprach im Ton eines aſiatiſchen Deſpoten, und Dion
antwortete wie ein Mißvergnuͤgter, der ſich ſtark genug
fuͤhlt, den Drohungen eines uͤbermuͤthigen Tyrannen
Troz zu bieten. Philiſtus hielt den Dionys zuruͤk, der
im Begrif war alles zu wagen, indem er ſeiner Wuth
den Zuͤgel ſchieſſen laſſen wollte. Allein in den Umſtaͤn-
den worinn man mit dem beleidigten Dion war, mußte
ein ſchleuniger Entſchluß gefaßt werden. Dion ver-
ſchwand auf einmal, und erſt nach einigen Tagen machte
Dionys bekannt: Daß ein gefaͤhrliches Complot gegen
ſeine Perſon, und die Ruhe des Staats, woran Dion
in geheim gearbeitet, ihn genoͤthiget haͤtte, denſelben
auf einige Zeit aus Sicilien zu entfernen. Es beſtaͤt-
tigte ſich wuͤrklich, daß Dion in der Nacht unvermuthet
in Verhaft genommen, zu Schiffe gebracht und in Jta-

lien
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0145" n="143"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Neuntes Buch, viertes Capitel.</hi></fw><lb/>
&#x017F;einer Leiden&#x017F;chaft, welche er eine Zeitlang geheim hal-<lb/>
ten wollte, no&#x0364;thig hatte, &#x017F;o war Timocrat von die&#x017F;em<lb/>
Angenblik an wieder der na&#x0364;ch&#x017F;te an &#x017F;einem Herzen. Der<lb/>
wei&#x017F;e Plato bedaurte zu &#x017F;pa&#x0364;t, daß er zu viel Nach&#x017F;icht<lb/>
gegen den Hang die&#x017F;es Prinzen nach Ergo&#x0364;zungen getra-<lb/>
gen hatte; er fu&#x0364;hlte nur gar zu wol, daß die Gewalt<lb/>
&#x017F;einer metaphy&#x017F;i&#x017F;chen Bezauberungen durch eine &#x017F;ta&#x0364;rkere<lb/>
Zaubermacht aufgelo&#x0364;ßt worden &#x017F;ey, und &#x017F;ieng an, um &#x017F;ich<lb/>
nicht ohne Nuzen be&#x017F;chwerlich zu machen, den Hof &#x017F;elt-<lb/>
ner zu be&#x017F;uchen. Dion gieng weiter: Er unter&#x017F;tund<lb/>
&#x017F;ich, dem Dionys wegen &#x017F;eines geheimen Ver&#x017F;ta&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;es<lb/>
mit der &#x017F;cho&#x0364;nen Bacchidion, Vorwu&#x0364;rfe zu machen, und<lb/>
ihn &#x017F;einer Verbindlichkeiten mit einem Ern&#x017F;t zu erinnern,<lb/>
den der Tyrann nicht mehr ertragen konnte. Dionys<lb/>
&#x017F;prach im Ton eines a&#x017F;iati&#x017F;chen De&#x017F;poten, und Dion<lb/>
antwortete wie ein Mißvergnu&#x0364;gter, der &#x017F;ich &#x017F;tark genug<lb/>
fu&#x0364;hlt, den Drohungen eines u&#x0364;bermu&#x0364;thigen Tyrannen<lb/>
Troz zu bieten. Phili&#x017F;tus hielt den Dionys zuru&#x0364;k, der<lb/>
im Begrif war alles zu wagen, indem er &#x017F;einer Wuth<lb/>
den Zu&#x0364;gel &#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en wollte. Allein in den Um&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den worinn man mit dem beleidigten Dion war, mußte<lb/>
ein &#x017F;chleuniger Ent&#x017F;chluß gefaßt werden. Dion ver-<lb/>
&#x017F;chwand auf einmal, und er&#x017F;t nach einigen Tagen machte<lb/>
Dionys bekannt: Daß ein gefa&#x0364;hrliches Complot gegen<lb/>
&#x017F;eine Per&#x017F;on, und die Ruhe des Staats, woran Dion<lb/>
in geheim gearbeitet, ihn geno&#x0364;thiget ha&#x0364;tte, den&#x017F;elben<lb/>
auf einige Zeit aus Sicilien zu entfernen. Es be&#x017F;ta&#x0364;t-<lb/>
tigte &#x017F;ich wu&#x0364;rklich, daß Dion in der Nacht unvermuthet<lb/>
in Verhaft genommen, zu Schiffe gebracht und in Jta-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lien</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0145] Neuntes Buch, viertes Capitel. ſeiner Leidenſchaft, welche er eine Zeitlang geheim hal- ten wollte, noͤthig hatte, ſo war Timocrat von dieſem Angenblik an wieder der naͤchſte an ſeinem Herzen. Der weiſe Plato bedaurte zu ſpaͤt, daß er zu viel Nachſicht gegen den Hang dieſes Prinzen nach Ergoͤzungen getra- gen hatte; er fuͤhlte nur gar zu wol, daß die Gewalt ſeiner metaphyſiſchen Bezauberungen durch eine ſtaͤrkere Zaubermacht aufgeloͤßt worden ſey, und ſieng an, um ſich nicht ohne Nuzen beſchwerlich zu machen, den Hof ſelt- ner zu beſuchen. Dion gieng weiter: Er unterſtund ſich, dem Dionys wegen ſeines geheimen Verſtaͤndniſſes mit der ſchoͤnen Bacchidion, Vorwuͤrfe zu machen, und ihn ſeiner Verbindlichkeiten mit einem Ernſt zu erinnern, den der Tyrann nicht mehr ertragen konnte. Dionys ſprach im Ton eines aſiatiſchen Deſpoten, und Dion antwortete wie ein Mißvergnuͤgter, der ſich ſtark genug fuͤhlt, den Drohungen eines uͤbermuͤthigen Tyrannen Troz zu bieten. Philiſtus hielt den Dionys zuruͤk, der im Begrif war alles zu wagen, indem er ſeiner Wuth den Zuͤgel ſchieſſen laſſen wollte. Allein in den Umſtaͤn- den worinn man mit dem beleidigten Dion war, mußte ein ſchleuniger Entſchluß gefaßt werden. Dion ver- ſchwand auf einmal, und erſt nach einigen Tagen machte Dionys bekannt: Daß ein gefaͤhrliches Complot gegen ſeine Perſon, und die Ruhe des Staats, woran Dion in geheim gearbeitet, ihn genoͤthiget haͤtte, denſelben auf einige Zeit aus Sicilien zu entfernen. Es beſtaͤt- tigte ſich wuͤrklich, daß Dion in der Nacht unvermuthet in Verhaft genommen, zu Schiffe gebracht und in Jta- lien

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/145
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/145>, abgerufen am 25.11.2024.