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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
gestellt wurde. Timocrat hatte die jüngsten und schön-
sten Figuren hierzu gebraucht, welche er zu Corinth
und aus dem ganzen Griechenlande hatte zusammenbrin-
gen können. Unter den Tänzerinnen war eine, welche
dazu gemacht schien, dasjenige, was der gute Plato
in etlichen Monaten an dem Gemüthe des Tyrannen ge-
arbeitet, in etlichen Augenbliken zu zerstören. Sie
stellte unter den Personen des Tanzes die Wollust vor;
und würklich paßten ihre Figur, ihre Gesichtsbildung,
ihre Blike, ihr Lächeln, alles so vollkommen zu dieser
Rolle, daß das anacreontische Beywort Wollustathmend
ausdrüklich für sie gemacht zu seyn schien. Jederman
war von der schönen Bacchidion bezaubert; aber nie-
mand war es so sehr als Dionys. Er dachte nicht ein-
mal daran, der Wollust, welche eine so verführische
Gestalt angenommen hatte, um seine erkaltete Zunei-
gung zu ihr wieder anzufeuren, Widerstand zu thun;
kaum daß er noch so viel Gewalt über sich selbst behielt,
um von demjenigen was in ihm vorgieng nicht allzu-
deutliche Würkungen sehen zu lassen. Denn er getraute
sich noch nicht, wieder gänzlich Dionysius zu seyn, ob
ihm gleich von Zeit zu Zeit kleine Züge entwischten,
welche dem beobachtenden Dion bewiesen, daß er nur
noch durch einen Rest von Schaam, dem lezten Seufzer
der ersterbenden Tugend, zurükgehalten werde. Timo-
crat triumphierte in sich selbst; seine Absicht war er-
reicht; die allzureizende Bacchidion bemächtigte sich der
Begierde, des Geschmaks und so gar des Herzens des
Tyrannen: Und da er den Timocrat zum Unterhändler

seiner

Agathon.
geſtellt wurde. Timocrat hatte die juͤngſten und ſchoͤn-
ſten Figuren hierzu gebraucht, welche er zu Corinth
und aus dem ganzen Griechenlande hatte zuſammenbrin-
gen koͤnnen. Unter den Taͤnzerinnen war eine, welche
dazu gemacht ſchien, dasjenige, was der gute Plato
in etlichen Monaten an dem Gemuͤthe des Tyrannen ge-
arbeitet, in etlichen Augenbliken zu zerſtoͤren. Sie
ſtellte unter den Perſonen des Tanzes die Wolluſt vor;
und wuͤrklich paßten ihre Figur, ihre Geſichtsbildung,
ihre Blike, ihr Laͤcheln, alles ſo vollkommen zu dieſer
Rolle, daß das anacreontiſche Beywort Wolluſtathmend
ausdruͤklich fuͤr ſie gemacht zu ſeyn ſchien. Jederman
war von der ſchoͤnen Bacchidion bezaubert; aber nie-
mand war es ſo ſehr als Dionys. Er dachte nicht ein-
mal daran, der Wolluſt, welche eine ſo verfuͤhriſche
Geſtalt angenommen hatte, um ſeine erkaltete Zunei-
gung zu ihr wieder anzufeuren, Widerſtand zu thun;
kaum daß er noch ſo viel Gewalt uͤber ſich ſelbſt behielt,
um von demjenigen was in ihm vorgieng nicht allzu-
deutliche Wuͤrkungen ſehen zu laſſen. Denn er getraute
ſich noch nicht, wieder gaͤnzlich Dionyſius zu ſeyn, ob
ihm gleich von Zeit zu Zeit kleine Zuͤge entwiſchten,
welche dem beobachtenden Dion bewieſen, daß er nur
noch durch einen Reſt von Schaam, dem lezten Seufzer
der erſterbenden Tugend, zuruͤkgehalten werde. Timo-
crat triumphierte in ſich ſelbſt; ſeine Abſicht war er-
reicht; die allzureizende Bacchidion bemaͤchtigte ſich der
Begierde, des Geſchmaks und ſo gar des Herzens des
Tyrannen: Und da er den Timocrat zum Unterhaͤndler

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[142/0144] Agathon. geſtellt wurde. Timocrat hatte die juͤngſten und ſchoͤn- ſten Figuren hierzu gebraucht, welche er zu Corinth und aus dem ganzen Griechenlande hatte zuſammenbrin- gen koͤnnen. Unter den Taͤnzerinnen war eine, welche dazu gemacht ſchien, dasjenige, was der gute Plato in etlichen Monaten an dem Gemuͤthe des Tyrannen ge- arbeitet, in etlichen Augenbliken zu zerſtoͤren. Sie ſtellte unter den Perſonen des Tanzes die Wolluſt vor; und wuͤrklich paßten ihre Figur, ihre Geſichtsbildung, ihre Blike, ihr Laͤcheln, alles ſo vollkommen zu dieſer Rolle, daß das anacreontiſche Beywort Wolluſtathmend ausdruͤklich fuͤr ſie gemacht zu ſeyn ſchien. Jederman war von der ſchoͤnen Bacchidion bezaubert; aber nie- mand war es ſo ſehr als Dionys. Er dachte nicht ein- mal daran, der Wolluſt, welche eine ſo verfuͤhriſche Geſtalt angenommen hatte, um ſeine erkaltete Zunei- gung zu ihr wieder anzufeuren, Widerſtand zu thun; kaum daß er noch ſo viel Gewalt uͤber ſich ſelbſt behielt, um von demjenigen was in ihm vorgieng nicht allzu- deutliche Wuͤrkungen ſehen zu laſſen. Denn er getraute ſich noch nicht, wieder gaͤnzlich Dionyſius zu ſeyn, ob ihm gleich von Zeit zu Zeit kleine Zuͤge entwiſchten, welche dem beobachtenden Dion bewieſen, daß er nur noch durch einen Reſt von Schaam, dem lezten Seufzer der erſterbenden Tugend, zuruͤkgehalten werde. Timo- crat triumphierte in ſich ſelbſt; ſeine Abſicht war er- reicht; die allzureizende Bacchidion bemaͤchtigte ſich der Begierde, des Geſchmaks und ſo gar des Herzens des Tyrannen: Und da er den Timocrat zum Unterhaͤndler ſeiner

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/144>, abgerufen am 22.11.2024.