nes Rathgebers mit guter Art eine Reise nach Athen machen zu lassen, wo sie in ungestörter Musse Republi- ken anlegen, und ihnen, wenn sie wollen, alle Tage eine andre Form geben mögen.
Dionys war von Natur hizig und ungestüm; eine jede Vorstellung, von der seine Einbildung getroffen wurde, beherrschte ihn so sehr, daß er sich dem mechanischen Trieb, den sie in ihm hervorbrachte, gänzlich überließ; aber wer ihn so genau kannte als Philistus, hatte wenig Mühe, seinem Bewegungen oft durch ein einziges Wort, eine andere Richtung zu ge- ben. Jn dem ersten Anstoß seiner unbesonnenen Hize waren die gewaltsamsten Maßnehmungen, die ersten, auf die er fiel: Aber man brauchte ihm nur den Schat- ten einer Gefahr dabey zu zeigen, so legte sich die auf- fahrende Lohe wieder; und er ließ sich eben so schnell überreden, die sichersten Mittel zu erwählen, wenn sie gleich die niederträchtigsten waren.
Nachdem wir die wahre Triebfeder seiner vermeyn- ten Sinnes-Aenderung oben bereits entdekt haben, wird sich niemand verwundern, daß er von dem Augenblik an, da sich seine Leidenschaften wieder regten, in sei- nen natürlichen Zustand zurüksank. Was man bey ihm für Liebe der Tugend angesehen, was er selbst dafür ge- halten hatte, war das Werk zufälliger und mechanischer Ursachen gewesen; daß er ihr zu lieb seinen Neigungen die mindeste Gewalt hätte thun sollen, so weit gieng
sein
Agathon.
nes Rathgebers mit guter Art eine Reiſe nach Athen machen zu laſſen, wo ſie in ungeſtoͤrter Muſſe Republi- ken anlegen, und ihnen, wenn ſie wollen, alle Tage eine andre Form geben moͤgen.
Dionys war von Natur hizig und ungeſtuͤm; eine jede Vorſtellung, von der ſeine Einbildung getroffen wurde, beherrſchte ihn ſo ſehr, daß er ſich dem mechaniſchen Trieb, den ſie in ihm hervorbrachte, gaͤnzlich uͤberließ; aber wer ihn ſo genau kannte als Philiſtus, hatte wenig Muͤhe, ſeinem Bewegungen oft durch ein einziges Wort, eine andere Richtung zu ge- ben. Jn dem erſten Anſtoß ſeiner unbeſonnenen Hize waren die gewaltſamſten Maßnehmungen, die erſten, auf die er fiel: Aber man brauchte ihm nur den Schat- ten einer Gefahr dabey zu zeigen, ſo legte ſich die auf- fahrende Lohe wieder; und er ließ ſich eben ſo ſchnell uͤberreden, die ſicherſten Mittel zu erwaͤhlen, wenn ſie gleich die niedertraͤchtigſten waren.
Nachdem wir die wahre Triebfeder ſeiner vermeyn- ten Sinnes-Aenderung oben bereits entdekt haben, wird ſich niemand verwundern, daß er von dem Augenblik an, da ſich ſeine Leidenſchaften wieder regten, in ſei- nen natuͤrlichen Zuſtand zuruͤkſank. Was man bey ihm fuͤr Liebe der Tugend angeſehen, was er ſelbſt dafuͤr ge- halten hatte, war das Werk zufaͤlliger und mechaniſcher Urſachen geweſen; daß er ihr zu lieb ſeinen Neigungen die mindeſte Gewalt haͤtte thun ſollen, ſo weit gieng
ſein
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Agathon.
nes Rathgebers mit guter Art eine Reiſe nach Athen
machen zu laſſen, wo ſie in ungeſtoͤrter Muſſe Republi-
ken anlegen, und ihnen, wenn ſie wollen, alle Tage
eine andre Form geben moͤgen.
Dionys war von Natur hizig und ungeſtuͤm; eine
jede Vorſtellung, von der ſeine Einbildung getroffen
wurde, beherrſchte ihn ſo ſehr, daß er ſich dem
mechaniſchen Trieb, den ſie in ihm hervorbrachte,
gaͤnzlich uͤberließ; aber wer ihn ſo genau kannte als
Philiſtus, hatte wenig Muͤhe, ſeinem Bewegungen oft
durch ein einziges Wort, eine andere Richtung zu ge-
ben. Jn dem erſten Anſtoß ſeiner unbeſonnenen Hize
waren die gewaltſamſten Maßnehmungen, die erſten,
auf die er fiel: Aber man brauchte ihm nur den Schat-
ten einer Gefahr dabey zu zeigen, ſo legte ſich die auf-
fahrende Lohe wieder; und er ließ ſich eben ſo ſchnell
uͤberreden, die ſicherſten Mittel zu erwaͤhlen, wenn ſie
gleich die niedertraͤchtigſten waren.
Nachdem wir die wahre Triebfeder ſeiner vermeyn-
ten Sinnes-Aenderung oben bereits entdekt haben, wird
ſich niemand verwundern, daß er von dem Augenblik
an, da ſich ſeine Leidenſchaften wieder regten, in ſei-
nen natuͤrlichen Zuſtand zuruͤkſank. Was man bey ihm
fuͤr Liebe der Tugend angeſehen, was er ſelbſt dafuͤr ge-
halten hatte, war das Werk zufaͤlliger und mechaniſcher
Urſachen geweſen; daß er ihr zu lieb ſeinen Neigungen
die mindeſte Gewalt haͤtte thun ſollen, ſo weit gieng
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/134>, abgerufen am 16.07.2024.
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