Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.Agathon. men möchte. Gewohnt in den ruhigen Spaziergängenseiner Academie unter gelehrigen Schülern idealische Re- publiken zu bauen, hielt er die Rolle, die er an dem Hofe zu Syracus zu spielen übernommen hatte, für leichter als sie in der That war. Er schloß immer rich- tig aus seinen Prämissen; aber seine Prämissen sezten immer mehr voraus, als war; und er bewies durch sein Exempel, daß keine Leute mehr durch den Schein der Dinge hintergangen werden, als eben diejenige welche ihr ganzes Leben damit zubringen, inter Sylvas Academi dem was wahrhaftig ist nachzuspähen. Jn der That hat man zu allen Zeiten gesehen, daß es den speculativen Geistern nicht geglükt hat, wenn sie sich aus ihrer philosophischen Sphäre heraus und auf irgend einen grossen Schauplaz des würksamen Lebens gewaget haben. Und wie hätte es anders seyn können, da sie gewohnt waren, in ihren Utopien und Atlantiden zu- erst die Gesezgebung zu erfinden, und erst wenn sie da- mit fertig waren, sich so genannte Menschen zu schni- zeln, welche eben so richtig nach diesen Gesezen handeln mußten, wie ein Uhrwerk durch den innerlichen Zwang seines Mechanismus die Bewegungen macht, welche der Künstler haben wil. Es war leicht genug zu sehen (und doch sahen es diese Herren nicht) daß es in der würk- lichen Welt gerade umgekehrt ist. Die Menschen in der- selben sind nun einmal wie sie sind; und der grosse Punct ist, diejenige die man vor sich hat, nach allen Umständen und Verhältnissen so lange zu studieren, bis man so genau als möglich weiß, wie sie sind. Sobald ihr
Agathon. men moͤchte. Gewohnt in den ruhigen Spaziergaͤngenſeiner Academie unter gelehrigen Schuͤlern idealiſche Re- publiken zu bauen, hielt er die Rolle, die er an dem Hofe zu Syracus zu ſpielen uͤbernommen hatte, fuͤr leichter als ſie in der That war. Er ſchloß immer rich- tig aus ſeinen Praͤmiſſen; aber ſeine Praͤmiſſen ſezten immer mehr voraus, als war; und er bewies durch ſein Exempel, daß keine Leute mehr durch den Schein der Dinge hintergangen werden, als eben diejenige welche ihr ganzes Leben damit zubringen, inter Sylvas Academi dem was wahrhaftig iſt nachzuſpaͤhen. Jn der That hat man zu allen Zeiten geſehen, daß es den ſpeculativen Geiſtern nicht gegluͤkt hat, wenn ſie ſich aus ihrer philoſophiſchen Sphaͤre heraus und auf irgend einen groſſen Schauplaz des wuͤrkſamen Lebens gewaget haben. Und wie haͤtte es anders ſeyn koͤnnen, da ſie gewohnt waren, in ihren Utopien und Atlantiden zu- erſt die Geſezgebung zu erfinden, und erſt wenn ſie da- mit fertig waren, ſich ſo genannte Menſchen zu ſchni- zeln, welche eben ſo richtig nach dieſen Geſezen handeln mußten, wie ein Uhrwerk durch den innerlichen Zwang ſeines Mechanismus die Bewegungen macht, welche der Kuͤnſtler haben wil. Es war leicht genug zu ſehen (und doch ſahen es dieſe Herren nicht) daß es in der wuͤrk- lichen Welt gerade umgekehrt iſt. Die Menſchen in der- ſelben ſind nun einmal wie ſie ſind; und der groſſe Punct iſt, diejenige die man vor ſich hat, nach allen Umſtaͤnden und Verhaͤltniſſen ſo lange zu ſtudieren, bis man ſo genau als moͤglich weiß, wie ſie ſind. Sobald ihr
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Agathon.
men moͤchte. Gewohnt in den ruhigen Spaziergaͤngen
ſeiner Academie unter gelehrigen Schuͤlern idealiſche Re-
publiken zu bauen, hielt er die Rolle, die er an dem
Hofe zu Syracus zu ſpielen uͤbernommen hatte, fuͤr
leichter als ſie in der That war. Er ſchloß immer rich-
tig aus ſeinen Praͤmiſſen; aber ſeine Praͤmiſſen ſezten
immer mehr voraus, als war; und er bewies durch
ſein Exempel, daß keine Leute mehr durch den Schein
der Dinge hintergangen werden, als eben diejenige
welche ihr ganzes Leben damit zubringen, inter Sylvas
Academi dem was wahrhaftig iſt nachzuſpaͤhen. Jn
der That hat man zu allen Zeiten geſehen, daß es den
ſpeculativen Geiſtern nicht gegluͤkt hat, wenn ſie ſich aus
ihrer philoſophiſchen Sphaͤre heraus und auf irgend
einen groſſen Schauplaz des wuͤrkſamen Lebens gewaget
haben. Und wie haͤtte es anders ſeyn koͤnnen, da ſie
gewohnt waren, in ihren Utopien und Atlantiden zu-
erſt die Geſezgebung zu erfinden, und erſt wenn ſie da-
mit fertig waren, ſich ſo genannte Menſchen zu ſchni-
zeln, welche eben ſo richtig nach dieſen Geſezen handeln
mußten, wie ein Uhrwerk durch den innerlichen Zwang
ſeines Mechanismus die Bewegungen macht, welche der
Kuͤnſtler haben wil. Es war leicht genug zu ſehen (und
doch ſahen es dieſe Herren nicht) daß es in der wuͤrk-
lichen Welt gerade umgekehrt iſt. Die Menſchen in der-
ſelben ſind nun einmal wie ſie ſind; und der groſſe
Punct iſt, diejenige die man vor ſich hat, nach allen
Umſtaͤnden und Verhaͤltniſſen ſo lange zu ſtudieren, bis
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