Dionys faßte eine Art von Leidenschaft für den Phi- losophen; Plato mußte immer um ihn seyn, ihn aller Orten begleiten, zu allem seine Meynung sagen. Die begeisterte Jmagination dieses sonderbaren Mannes, welche vermöge der natürlichen Anstekungs-Kraft des Enthusiasmus sich auch seinen Zuhörern mittheilte, würkte so mächtig auf die Seele des Dionys, daß er ihn nie genug hören konnte; ganze Stunden wurden ihm kürzer, wenn Plato sprach, als ehemals in den Armen der kunsterfahrensten Buhlerin. Alles, was der Weise sagte, war so schön, so erhaben, so wun- derbar! -- erhob den Geist so weit über sich selbst -- warf Stralen von so göttlichem Licht in das Dunkel der Seele! Jn der That konnte es nicht anderst seyn, da die gemeinsten Jdeen der Philosophie für Dionysen den frischesten Reiz der Neuheit hatten. Und nehmen wir zu allem diesem noch, daß er das wenigste recht verstund (ob er gleich, wie viele andere seines gleichen, zu eitel war, es merken zu lassen) noch alles verstehen konnte, weil der begeisterte Plato sich würklich zuwei- len selbst nicht allzuwol verstund; nehmen wir ferner die erstaunliche Gewalt, welche ein in schimmernde Bilder eingekleidetes Galimathias über die Unwissenden zu haben pflegt; so werden wir begreifen, daß niemals etwas natürlichers gewesen, als der ausserordentliche Ge- schmak, welchen Dionys an dem Gott der Philosophen, (wie ihn Cicero nennt) gefunden; zumal da er noch über dis ein hübscher und stattlicher Mann war, und sehr wol zu leben wußte.
Ohne
Agathon.
Dionys faßte eine Art von Leidenſchaft fuͤr den Phi- loſophen; Plato mußte immer um ihn ſeyn, ihn aller Orten begleiten, zu allem ſeine Meynung ſagen. Die begeiſterte Jmagination dieſes ſonderbaren Mannes, welche vermoͤge der natuͤrlichen Anſtekungs-Kraft des Enthuſiaſmus ſich auch ſeinen Zuhoͤrern mittheilte, wuͤrkte ſo maͤchtig auf die Seele des Dionys, daß er ihn nie genug hoͤren konnte; ganze Stunden wurden ihm kuͤrzer, wenn Plato ſprach, als ehemals in den Armen der kunſterfahrenſten Buhlerin. Alles, was der Weiſe ſagte, war ſo ſchoͤn, ſo erhaben, ſo wun- derbar! ‒‒ erhob den Geiſt ſo weit uͤber ſich ſelbſt ‒‒ warf Stralen von ſo goͤttlichem Licht in das Dunkel der Seele! Jn der That konnte es nicht anderſt ſeyn, da die gemeinſten Jdeen der Philoſophie fuͤr Dionyſen den friſcheſten Reiz der Neuheit hatten. Und nehmen wir zu allem dieſem noch, daß er das wenigſte recht verſtund (ob er gleich, wie viele andere ſeines gleichen, zu eitel war, es merken zu laſſen) noch alles verſtehen konnte, weil der begeiſterte Plato ſich wuͤrklich zuwei- len ſelbſt nicht allzuwol verſtund; nehmen wir ferner die erſtaunliche Gewalt, welche ein in ſchimmernde Bilder eingekleidetes Galimathias uͤber die Unwiſſenden zu haben pflegt; ſo werden wir begreifen, daß niemals etwas natuͤrlichers geweſen, als der auſſerordentliche Ge- ſchmak, welchen Dionys an dem Gott der Philoſophen, (wie ihn Cicero nennt) gefunden; zumal da er noch uͤber dis ein huͤbſcher und ſtattlicher Mann war, und ſehr wol zu leben wußte.
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Agathon.
Dionys faßte eine Art von Leidenſchaft fuͤr den Phi-
loſophen; Plato mußte immer um ihn ſeyn, ihn aller
Orten begleiten, zu allem ſeine Meynung ſagen. Die
begeiſterte Jmagination dieſes ſonderbaren Mannes,
welche vermoͤge der natuͤrlichen Anſtekungs-Kraft des
Enthuſiaſmus ſich auch ſeinen Zuhoͤrern mittheilte,
wuͤrkte ſo maͤchtig auf die Seele des Dionys, daß er
ihn nie genug hoͤren konnte; ganze Stunden wurden
ihm kuͤrzer, wenn Plato ſprach, als ehemals in den
Armen der kunſterfahrenſten Buhlerin. Alles, was
der Weiſe ſagte, war ſo ſchoͤn, ſo erhaben, ſo wun-
derbar! ‒‒ erhob den Geiſt ſo weit uͤber ſich ſelbſt ‒‒
warf Stralen von ſo goͤttlichem Licht in das Dunkel
der Seele! Jn der That konnte es nicht anderſt ſeyn,
da die gemeinſten Jdeen der Philoſophie fuͤr Dionyſen
den friſcheſten Reiz der Neuheit hatten. Und nehmen
wir zu allem dieſem noch, daß er das wenigſte recht
verſtund (ob er gleich, wie viele andere ſeines gleichen,
zu eitel war, es merken zu laſſen) noch alles verſtehen
konnte, weil der begeiſterte Plato ſich wuͤrklich zuwei-
len ſelbſt nicht allzuwol verſtund; nehmen wir ferner
die erſtaunliche Gewalt, welche ein in ſchimmernde
Bilder eingekleidetes Galimathias uͤber die Unwiſſenden
zu haben pflegt; ſo werden wir begreifen, daß niemals
etwas natuͤrlichers geweſen, als der auſſerordentliche Ge-
ſchmak, welchen Dionys an dem Gott der Philoſophen,
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/112>, abgerufen am 22.11.2024.
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