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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, drittes Capitel.
sind, welche gewohnt ist die Seele, und was in ihr vor-
geht, allzusehr von der Maschine in welche sie eingefloch-
ten ist, abzusondern, nicht gewahr wurde, daß die guten
Dispositionen des Dionys ganz allein von einem physica-
lischen Ekel vor den Gegenständen, worin er bisher sein
einziges Vergnügen gesucht hatte, herrühreten. Er
hielt die natürlichen Folgen der Ueberfüllung für Wür-
kungen der Ueberzeugung, worinn er nunmehr stehe,
daß die Freuden der Sinne nicht glüklich machen kön-
nen; er sezte voraus, daß eine Menge Sachen in seiner
Seele vorgegangen seyen, woran Dionysens Seele we-
der gedacht hatte, noch zu denken vermögend war;
kurz, er beurtheilte, wie wir fast immer zu thun pfle-
gen, die Seele eines andern nach seiner Eigenen, und
gründete auf diese Voraussezung ein Gebäude von Hof-
nungen, welches zu seinem grossen Erstaunen zusammen-
siel, sobald Dionys --- wieder Nerven hatte.

Die Beruffung des Plato war eine Sache, an wel-
cher schon geraume Zeit gearbeitet worden war; allein
er hatte grosse Schwierigkeiten gemacht, und würde,
ungeachtet des Zuspruchs seiner Freunde, der Pytha-
goräer in Jtalien, welche die Bitten Dions unterstüz-
ten, auf seiner Verweigerung bestanden seyn, wenn
die erfreulichen Nachrichten, die ihm Dion von der
glüklichen Gemüths-Verfassung des Tyrannen gab, und
die dringenden Einladungen, die in desselben Nahmen
an ihn ergiengen, ihm nicht Hofnung gegeben hätten,
der Schuzgeist Siciliens, und vielleicht der Stifter einer

neuen

Neuntes Buch, drittes Capitel.
ſind, welche gewohnt iſt die Seele, und was in ihr vor-
geht, allzuſehr von der Maſchine in welche ſie eingefloch-
ten iſt, abzuſondern, nicht gewahr wurde, daß die guten
Diſpoſitionen des Dionys ganz allein von einem phyſica-
liſchen Ekel vor den Gegenſtaͤnden, worin er bisher ſein
einziges Vergnuͤgen geſucht hatte, herruͤhreten. Er
hielt die natuͤrlichen Folgen der Ueberfuͤllung fuͤr Wuͤr-
kungen der Ueberzeugung, worinn er nunmehr ſtehe,
daß die Freuden der Sinne nicht gluͤklich machen koͤn-
nen; er ſezte voraus, daß eine Menge Sachen in ſeiner
Seele vorgegangen ſeyen, woran Dionyſens Seele we-
der gedacht hatte, noch zu denken vermoͤgend war;
kurz, er beurtheilte, wie wir faſt immer zu thun pfle-
gen, die Seele eines andern nach ſeiner Eigenen, und
gruͤndete auf dieſe Vorausſezung ein Gebaͤude von Hof-
nungen, welches zu ſeinem groſſen Erſtaunen zuſammen-
ſiel, ſobald Dionys ‒‒‒ wieder Nerven hatte.

Die Beruffung des Plato war eine Sache, an wel-
cher ſchon geraume Zeit gearbeitet worden war; allein
er hatte groſſe Schwierigkeiten gemacht, und wuͤrde,
ungeachtet des Zuſpruchs ſeiner Freunde, der Pytha-
goraͤer in Jtalien, welche die Bitten Dions unterſtuͤz-
ten, auf ſeiner Verweigerung beſtanden ſeyn, wenn
die erfreulichen Nachrichten, die ihm Dion von der
gluͤklichen Gemuͤths-Verfaſſung des Tyrannen gab, und
die dringenden Einladungen, die in deſſelben Nahmen
an ihn ergiengen, ihm nicht Hofnung gegeben haͤtten,
der Schuzgeiſt Siciliens, und vielleicht der Stifter einer

neuen
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[107/0109] Neuntes Buch, drittes Capitel. ſind, welche gewohnt iſt die Seele, und was in ihr vor- geht, allzuſehr von der Maſchine in welche ſie eingefloch- ten iſt, abzuſondern, nicht gewahr wurde, daß die guten Diſpoſitionen des Dionys ganz allein von einem phyſica- liſchen Ekel vor den Gegenſtaͤnden, worin er bisher ſein einziges Vergnuͤgen geſucht hatte, herruͤhreten. Er hielt die natuͤrlichen Folgen der Ueberfuͤllung fuͤr Wuͤr- kungen der Ueberzeugung, worinn er nunmehr ſtehe, daß die Freuden der Sinne nicht gluͤklich machen koͤn- nen; er ſezte voraus, daß eine Menge Sachen in ſeiner Seele vorgegangen ſeyen, woran Dionyſens Seele we- der gedacht hatte, noch zu denken vermoͤgend war; kurz, er beurtheilte, wie wir faſt immer zu thun pfle- gen, die Seele eines andern nach ſeiner Eigenen, und gruͤndete auf dieſe Vorausſezung ein Gebaͤude von Hof- nungen, welches zu ſeinem groſſen Erſtaunen zuſammen- ſiel, ſobald Dionys ‒‒‒ wieder Nerven hatte. Die Beruffung des Plato war eine Sache, an wel- cher ſchon geraume Zeit gearbeitet worden war; allein er hatte groſſe Schwierigkeiten gemacht, und wuͤrde, ungeachtet des Zuſpruchs ſeiner Freunde, der Pytha- goraͤer in Jtalien, welche die Bitten Dions unterſtuͤz- ten, auf ſeiner Verweigerung beſtanden ſeyn, wenn die erfreulichen Nachrichten, die ihm Dion von der gluͤklichen Gemuͤths-Verfaſſung des Tyrannen gab, und die dringenden Einladungen, die in deſſelben Nahmen an ihn ergiengen, ihm nicht Hofnung gegeben haͤtten, der Schuzgeiſt Siciliens, und vielleicht der Stifter einer neuen

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/109>, abgerufen am 22.11.2024.