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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
Geschichtschreiber, drey Monate in einem fort daurte
Die ausschweiffendeste Einbildungs-Kraft kan nicht wei-
ter gehen, als auf der einen Seite, Pracht und Auf-
wand, und auf der andern Schwelgerey und asotische
Freyheit an diesem langwierigen Bacchanal getrieben
wurden; denn diesen Namen verdiente es um so mehr,
weil, nachdem alle andre Erfindungen erschöpft waren,
die lezten Tage des dritten Monats, welche in die Wein-
lese fielen, zu einer Vorstellung des Triumphes des
Bacchus und seiner ganzen portischen Geschichte ange-
wendet wurden. Dionys, der durch eine Anspielung
auf seinen Nahmen den Bacchus machte, trieb die
Nachahmung so weit über das Original selbst, daß die
Feder eines Aretin und der Griffel eines la Fage sich
unvermögend hätten bekennen müssen, weiter zu gehen.
Die Quellen der Natur wurden erschöpft, und die un-
mächtige Begierde ihre Grenzen zu erweitern -- Doch,
wir wollen kein Gemählde machen, das bey Gegenstän-
den dieser Art die Absicht, Abscheu zu erweken, bey
manchen verfehlen möchte. Genug daß Dionys mit den
Silenen, Nymphen, Faunen und Satyren, seinen
Gehülfen, die Tibere und Neronen der spätern Zeiten
in die Unmöglichkeit sezte, etwas mehr als blosse Copi-
sten von ihm zu seyn. Wer sollte sich vorstellen, daß
aus einer so schlammichten Quelle die heftigste Liebe
der Philosophie, und eine Reformation, welche ganz
Sicilien und Griechenland in Erstaunen sezte, habe
entspringen können? -- Aber im Himmel und auf Er-
den sind eine Menge Dinge, wovon kein Wort in un-

serm

Agathon.
Geſchichtſchreiber, drey Monate in einem fort daurte
Die ausſchweiffendeſte Einbildungs-Kraft kan nicht wei-
ter gehen, als auf der einen Seite, Pracht und Auf-
wand, und auf der andern Schwelgerey und aſotiſche
Freyheit an dieſem langwierigen Bacchanal getrieben
wurden; denn dieſen Namen verdiente es um ſo mehr,
weil, nachdem alle andre Erfindungen erſchoͤpft waren,
die lezten Tage des dritten Monats, welche in die Wein-
leſe fielen, zu einer Vorſtellung des Triumphes des
Bacchus und ſeiner ganzen portiſchen Geſchichte ange-
wendet wurden. Dionys, der durch eine Anſpielung
auf ſeinen Nahmen den Bacchus machte, trieb die
Nachahmung ſo weit uͤber das Original ſelbſt, daß die
Feder eines Aretin und der Griffel eines la Fage ſich
unvermoͤgend haͤtten bekennen muͤſſen, weiter zu gehen.
Die Quellen der Natur wurden erſchoͤpft, und die un-
maͤchtige Begierde ihre Grenzen zu erweitern ‒‒ Doch,
wir wollen kein Gemaͤhlde machen, das bey Gegenſtaͤn-
den dieſer Art die Abſicht, Abſcheu zu erweken, bey
manchen verfehlen moͤchte. Genug daß Dionys mit den
Silenen, Nymphen, Faunen und Satyren, ſeinen
Gehuͤlfen, die Tibere und Neronen der ſpaͤtern Zeiten
in die Unmoͤglichkeit ſezte, etwas mehr als bloſſe Copi-
ſten von ihm zu ſeyn. Wer ſollte ſich vorſtellen, daß
aus einer ſo ſchlammichten Quelle die heftigſte Liebe
der Philoſophie, und eine Reformation, welche ganz
Sicilien und Griechenland in Erſtaunen ſezte, habe
entſpringen koͤnnen? ‒‒ Aber im Himmel und auf Er-
den ſind eine Menge Dinge, wovon kein Wort in un-

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[104/0106] Agathon. Geſchichtſchreiber, drey Monate in einem fort daurte Die ausſchweiffendeſte Einbildungs-Kraft kan nicht wei- ter gehen, als auf der einen Seite, Pracht und Auf- wand, und auf der andern Schwelgerey und aſotiſche Freyheit an dieſem langwierigen Bacchanal getrieben wurden; denn dieſen Namen verdiente es um ſo mehr, weil, nachdem alle andre Erfindungen erſchoͤpft waren, die lezten Tage des dritten Monats, welche in die Wein- leſe fielen, zu einer Vorſtellung des Triumphes des Bacchus und ſeiner ganzen portiſchen Geſchichte ange- wendet wurden. Dionys, der durch eine Anſpielung auf ſeinen Nahmen den Bacchus machte, trieb die Nachahmung ſo weit uͤber das Original ſelbſt, daß die Feder eines Aretin und der Griffel eines la Fage ſich unvermoͤgend haͤtten bekennen muͤſſen, weiter zu gehen. Die Quellen der Natur wurden erſchoͤpft, und die un- maͤchtige Begierde ihre Grenzen zu erweitern ‒‒ Doch, wir wollen kein Gemaͤhlde machen, das bey Gegenſtaͤn- den dieſer Art die Abſicht, Abſcheu zu erweken, bey manchen verfehlen moͤchte. Genug daß Dionys mit den Silenen, Nymphen, Faunen und Satyren, ſeinen Gehuͤlfen, die Tibere und Neronen der ſpaͤtern Zeiten in die Unmoͤglichkeit ſezte, etwas mehr als bloſſe Copi- ſten von ihm zu ſeyn. Wer ſollte ſich vorſtellen, daß aus einer ſo ſchlammichten Quelle die heftigſte Liebe der Philoſophie, und eine Reformation, welche ganz Sicilien und Griechenland in Erſtaunen ſezte, habe entſpringen koͤnnen? ‒‒ Aber im Himmel und auf Er- den ſind eine Menge Dinge, wovon kein Wort in un- ſerm

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/106>, abgerufen am 22.11.2024.