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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
Leute, welche noch sehr weit entfernt sind erträgliche
Menschen zu seyn, in eine Engelähnliche Vollkommen-
heit hinein zu declamiren --- Doch genug von einer
Materie, welche um gehörig ausgeführt zu werden,
eine eigene Abhandlung erfoderte.

Wie leicht es doch ist, seine nichts übels besorgende
Leser in einen Labyrinth von Parenthesen und Digressio-
nen hineinzuführen, wenn man sich einmal über eine
abergläubische Regelmässigkeit hinausgesezt hat! Zwar
haben wir die Unsrigen schon lange benachrichtiget, daß
wir uns bey Gelegenheit dergleichen Freyheiten erlau-
ben würden --- Und doch wollen wir so ehrlich seyn
und gestehen, daß wir uns weder in diesem Stük, noch,
die Wahrheit zu sagen, in irgend einem andern, Nach-
ahmer zu bekommen wünschen. Nicht als ob uns
bange davor sey, man werde Ordnung und Zusammen-
hang in dieser unsrer pragmatisch-critischen Geschichte
vermissen; sondern weil es in der That unendlich ma-
leichter ist Miscellanien zu schreiben, als ein ordentli-
ches Werk, und es daher leicht geschehen könnte, daß
ein junger Scribent, der sich seiner bessern Bequemlich-
keit wegen unsrer Methode bedienen wollte, sich die
Horazische Frage zuziehen könnte: Currente rota cur
urceus exit?
Und wenn auch dieses nicht zu besorgen
wäre, so giebt es sehr wakere Leute, denen es schwehr
fällt, sich aus dergleichen mäandrischen Abschweiffun-
gen wieder herauszuhelfen, und sobald es dem Verfas-
ser beliebt, wieder auf dem Punct zu stehen, wo er mit

ihm

Agathon.
Leute, welche noch ſehr weit entfernt ſind ertraͤgliche
Menſchen zu ſeyn, in eine Engelaͤhnliche Vollkommen-
heit hinein zu declamiren ‒‒‒ Doch genug von einer
Materie, welche um gehoͤrig ausgefuͤhrt zu werden,
eine eigene Abhandlung erfoderte.

Wie leicht es doch iſt, ſeine nichts uͤbels beſorgende
Leſer in einen Labyrinth von Parentheſen und Digreſſio-
nen hineinzufuͤhren, wenn man ſich einmal uͤber eine
aberglaͤubiſche Regelmaͤſſigkeit hinausgeſezt hat! Zwar
haben wir die Unſrigen ſchon lange benachrichtiget, daß
wir uns bey Gelegenheit dergleichen Freyheiten erlau-
ben wuͤrden ‒‒‒ Und doch wollen wir ſo ehrlich ſeyn
und geſtehen, daß wir uns weder in dieſem Stuͤk, noch,
die Wahrheit zu ſagen, in irgend einem andern, Nach-
ahmer zu bekommen wuͤnſchen. Nicht als ob uns
bange davor ſey, man werde Ordnung und Zuſammen-
hang in dieſer unſrer pragmatiſch-critiſchen Geſchichte
vermiſſen; ſondern weil es in der That unendlich ma-
leichter iſt Miſcellanien zu ſchreiben, als ein ordentli-
ches Werk, und es daher leicht geſchehen koͤnnte, daß
ein junger Scribent, der ſich ſeiner beſſern Bequemlich-
keit wegen unſrer Methode bedienen wollte, ſich die
Horaziſche Frage zuziehen koͤnnte: Currente rotâ cur
urceus exit?
Und wenn auch dieſes nicht zu beſorgen
waͤre, ſo giebt es ſehr wakere Leute, denen es ſchwehr
faͤllt, ſich aus dergleichen maͤandriſchen Abſchweiffun-
gen wieder herauszuhelfen, und ſobald es dem Verfaſ-
ſer beliebt, wieder auf dem Punct zu ſtehen, wo er mit

ihm
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[100/0102] Agathon. Leute, welche noch ſehr weit entfernt ſind ertraͤgliche Menſchen zu ſeyn, in eine Engelaͤhnliche Vollkommen- heit hinein zu declamiren ‒‒‒ Doch genug von einer Materie, welche um gehoͤrig ausgefuͤhrt zu werden, eine eigene Abhandlung erfoderte. Wie leicht es doch iſt, ſeine nichts uͤbels beſorgende Leſer in einen Labyrinth von Parentheſen und Digreſſio- nen hineinzufuͤhren, wenn man ſich einmal uͤber eine aberglaͤubiſche Regelmaͤſſigkeit hinausgeſezt hat! Zwar haben wir die Unſrigen ſchon lange benachrichtiget, daß wir uns bey Gelegenheit dergleichen Freyheiten erlau- ben wuͤrden ‒‒‒ Und doch wollen wir ſo ehrlich ſeyn und geſtehen, daß wir uns weder in dieſem Stuͤk, noch, die Wahrheit zu ſagen, in irgend einem andern, Nach- ahmer zu bekommen wuͤnſchen. Nicht als ob uns bange davor ſey, man werde Ordnung und Zuſammen- hang in dieſer unſrer pragmatiſch-critiſchen Geſchichte vermiſſen; ſondern weil es in der That unendlich ma- leichter iſt Miſcellanien zu ſchreiben, als ein ordentli- ches Werk, und es daher leicht geſchehen koͤnnte, daß ein junger Scribent, der ſich ſeiner beſſern Bequemlich- keit wegen unſrer Methode bedienen wollte, ſich die Horaziſche Frage zuziehen koͤnnte: Currente rotâ cur urceus exit? Und wenn auch dieſes nicht zu beſorgen waͤre, ſo giebt es ſehr wakere Leute, denen es ſchwehr faͤllt, ſich aus dergleichen maͤandriſchen Abſchweiffun- gen wieder herauszuhelfen, und ſobald es dem Verfaſ- ſer beliebt, wieder auf dem Punct zu ſtehen, wo er mit ihm

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/102>, abgerufen am 24.11.2024.