Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweytes Buch, sechstes Capitel.
zu nichts werde; aber dein Leib verliehrt durch den
Tod die Form die ihn zu deinem Leibe machte; wo-
her hoffest du, daß dein Geist die Form nicht verlieh-
ren werde, die ihn zu deinem Geiste macht?
Agathon.
Weil ich mir unmöglich vorstellen kann, daß der
Oberste Geist, dessen Geschöpfe oder Ausflüsse die übri-
gen Geister sind, ein Wesen zerstören werde, das er
fähig gemacht hat, so glüklich zu seyn, als ich es schon
gewesen bin.
Hippias.
Ein neues Vielleicht? Woher kennst du diesen ober-
sten Geist?
Agathon.
Woher kennst du den Phidias, der diesen Amor ge-
macht hat?
Hippias.
Weil ich ihm zusah wie er ihn machte; denn viel-
leicht könnt eine Bildsäule auch entstehn, ohne daß sie
von einem Künstler gemacht würde.
Agathon.
Wie so?
Hippias.
Eine ungefehre Bewegung ihrer kleinsten Elemente
könnte diese Form endlich hervorbringen.
Agathon.
Eine regellose Bewegung ein regelmäßiges Werk?
Hippias.
Warum das nicht? Du kanst im Würfelspiel von
unge-
Zweytes Buch, ſechſtes Capitel.
zu nichts werde; aber dein Leib verliehrt durch den
Tod die Form die ihn zu deinem Leibe machte; wo-
her hoffeſt du, daß dein Geiſt die Form nicht verlieh-
ren werde, die ihn zu deinem Geiſte macht?
Agathon.
Weil ich mir unmoͤglich vorſtellen kann, daß der
Oberſte Geiſt, deſſen Geſchoͤpfe oder Ausfluͤſſe die uͤbri-
gen Geiſter ſind, ein Weſen zerſtoͤren werde, das er
faͤhig gemacht hat, ſo gluͤklich zu ſeyn, als ich es ſchon
geweſen bin.
Hippias.
Ein neues Vielleicht? Woher kennſt du dieſen ober-
ſten Geiſt?
Agathon.
Woher kennſt du den Phidias, der dieſen Amor ge-
macht hat?
Hippias.
Weil ich ihm zuſah wie er ihn machte; denn viel-
leicht koͤnnt eine Bildſaͤule auch entſtehn, ohne daß ſie
von einem Kuͤnſtler gemacht wuͤrde.
Agathon.
Wie ſo?
Hippias.
Eine ungefehre Bewegung ihrer kleinſten Elemente
koͤnnte dieſe Form endlich hervorbringen.
Agathon.
Eine regelloſe Bewegung ein regelmaͤßiges Werk?
Hippias.
Warum das nicht? Du kanſt im Wuͤrfelſpiel von
unge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#HIP">
              <p><pb facs="#f0083" n="61"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweytes Buch, &#x017F;ech&#x017F;tes Capitel.</hi></fw><lb/>
zu nichts werde; aber dein Leib verliehrt durch den<lb/>
Tod die Form die ihn zu deinem Leibe machte; wo-<lb/>
her hoffe&#x017F;t du, daß dein Gei&#x017F;t die Form nicht verlieh-<lb/>
ren werde, die ihn zu deinem Gei&#x017F;te macht?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#AGA">
              <speaker> <hi rendition="#g">Agathon.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Weil ich mir unmo&#x0364;glich vor&#x017F;tellen kann, daß der<lb/>
Ober&#x017F;te Gei&#x017F;t, de&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe oder Ausflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e die u&#x0364;bri-<lb/>
gen Gei&#x017F;ter &#x017F;ind, ein We&#x017F;en zer&#x017F;to&#x0364;ren werde, das er<lb/>
fa&#x0364;hig gemacht hat, &#x017F;o glu&#x0364;klich zu &#x017F;eyn, als ich es &#x017F;chon<lb/>
gewe&#x017F;en bin.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#HIP">
              <speaker> <hi rendition="#g">Hippias.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Ein neues Vielleicht? Woher kenn&#x017F;t du die&#x017F;en ober-<lb/>
&#x017F;ten Gei&#x017F;t?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#AGA">
              <speaker> <hi rendition="#g">Agathon.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Woher kenn&#x017F;t du den Phidias, der die&#x017F;en Amor ge-<lb/>
macht hat?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#HIP">
              <speaker> <hi rendition="#g">Hippias.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Weil ich ihm zu&#x017F;ah wie er ihn machte; denn viel-<lb/>
leicht ko&#x0364;nnt eine Bild&#x017F;a&#x0364;ule auch ent&#x017F;tehn, ohne daß &#x017F;ie<lb/>
von einem Ku&#x0364;n&#x017F;tler gemacht wu&#x0364;rde.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#AGA">
              <speaker> <hi rendition="#g">Agathon.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Wie &#x017F;o?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#HIP">
              <speaker> <hi rendition="#g">Hippias.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Eine ungefehre Bewegung ihrer klein&#x017F;ten Elemente<lb/>
ko&#x0364;nnte die&#x017F;e Form endlich hervorbringen.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#AGA">
              <speaker> <hi rendition="#g">Agathon.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Eine regello&#x017F;e Bewegung ein regelma&#x0364;ßiges Werk?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#HIP">
              <speaker> <hi rendition="#g">Hippias.</hi> </speaker><lb/>
              <p>Warum das nicht? Du kan&#x017F;t im Wu&#x0364;rfel&#x017F;piel von<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">unge-</fw><lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0083] Zweytes Buch, ſechſtes Capitel. zu nichts werde; aber dein Leib verliehrt durch den Tod die Form die ihn zu deinem Leibe machte; wo- her hoffeſt du, daß dein Geiſt die Form nicht verlieh- ren werde, die ihn zu deinem Geiſte macht? Agathon. Weil ich mir unmoͤglich vorſtellen kann, daß der Oberſte Geiſt, deſſen Geſchoͤpfe oder Ausfluͤſſe die uͤbri- gen Geiſter ſind, ein Weſen zerſtoͤren werde, das er faͤhig gemacht hat, ſo gluͤklich zu ſeyn, als ich es ſchon geweſen bin. Hippias. Ein neues Vielleicht? Woher kennſt du dieſen ober- ſten Geiſt? Agathon. Woher kennſt du den Phidias, der dieſen Amor ge- macht hat? Hippias. Weil ich ihm zuſah wie er ihn machte; denn viel- leicht koͤnnt eine Bildſaͤule auch entſtehn, ohne daß ſie von einem Kuͤnſtler gemacht wuͤrde. Agathon. Wie ſo? Hippias. Eine ungefehre Bewegung ihrer kleinſten Elemente koͤnnte dieſe Form endlich hervorbringen. Agathon. Eine regelloſe Bewegung ein regelmaͤßiges Werk? Hippias. Warum das nicht? Du kanſt im Wuͤrfelſpiel von unge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/83
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/83>, abgerufen am 24.11.2024.