flehte, er weinte. -- Aber umsonst. Der Seeräuber hatte die Natur des Elements, welches er bewohnte, und die Syrenen selbst hätten ihn nicht bereden kön- nen, seinen Entschluß zu ändern. Agathon erhielt nicht einmal die Erlaubniß, von seinem geliebten Bru- der Abschied zu nehmen; die Lebhaftigkeit, die er bey diesem Anlaß gezeigt, hatte ihn dem Hauptmann ver- dächtig gemacht. Er wurde also, von Schmerz und Verzweiflung betäubt, in die Barke getragen, und be- fand sich schon eine geraume Zeit ausser dem Gesichts- kreis seiner Psyche, eh er wieder erwachte, um den gan- zen Umfang seines Elends zu fühlen.
Zehntes Capitel. Ein Selbstgespräch.
Da wir uns zum unverbrüchlichen Geseze gemacht haben, in dieser Geschichte alles sorgfältig zu vermeiden, was gegen die historische Wahrheit derselben einigen ge- rechten Verdacht erweken könnte; so würden wir uns ein Bedenken gemacht haben, das Selbstgespräch, wel- ches wir hier in unserm Manuscript vor uns finden, mitzutheilen, wenn nicht der ungenannte Verfasser die Vorsicht gebraucht hätte uns zu melden, daß seine Er- zählung sich in den meisten Umständen auf eine Art von Tagebuch gründe, welches (sichern Anzeigen nach) von der eignen Hand des Agathon sey, und wovon er
durch
Erſtes Buch, neuntes Capitel.
flehte, er weinte. ‒‒ Aber umſonſt. Der Seeraͤuber hatte die Natur des Elements, welches er bewohnte, und die Syrenen ſelbſt haͤtten ihn nicht bereden koͤn- nen, ſeinen Entſchluß zu aͤndern. Agathon erhielt nicht einmal die Erlaubniß, von ſeinem geliebten Bru- der Abſchied zu nehmen; die Lebhaftigkeit, die er bey dieſem Anlaß gezeigt, hatte ihn dem Hauptmann ver- daͤchtig gemacht. Er wurde alſo, von Schmerz und Verzweiflung betaͤubt, in die Barke getragen, und be- fand ſich ſchon eine geraume Zeit auſſer dem Geſichts- kreis ſeiner Pſyche, eh er wieder erwachte, um den gan- zen Umfang ſeines Elends zu fuͤhlen.
Zehntes Capitel. Ein Selbſtgeſpraͤch.
Da wir uns zum unverbruͤchlichen Geſeze gemacht haben, in dieſer Geſchichte alles ſorgfaͤltig zu vermeiden, was gegen die hiſtoriſche Wahrheit derſelben einigen ge- rechten Verdacht erweken koͤnnte; ſo wuͤrden wir uns ein Bedenken gemacht haben, das Selbſtgeſpraͤch, wel- ches wir hier in unſerm Manuſcript vor uns finden, mitzutheilen, wenn nicht der ungenannte Verfaſſer die Vorſicht gebraucht haͤtte uns zu melden, daß ſeine Er- zaͤhlung ſich in den meiſten Umſtaͤnden auf eine Art von Tagebuch gruͤnde, welches (ſichern Anzeigen nach) von der eignen Hand des Agathon ſey, und wovon er
durch
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Erſtes Buch, neuntes Capitel.
flehte, er weinte. ‒‒ Aber umſonſt. Der Seeraͤuber
hatte die Natur des Elements, welches er bewohnte,
und die Syrenen ſelbſt haͤtten ihn nicht bereden koͤn-
nen, ſeinen Entſchluß zu aͤndern. Agathon erhielt
nicht einmal die Erlaubniß, von ſeinem geliebten Bru-
der Abſchied zu nehmen; die Lebhaftigkeit, die er bey
dieſem Anlaß gezeigt, hatte ihn dem Hauptmann ver-
daͤchtig gemacht. Er wurde alſo, von Schmerz und
Verzweiflung betaͤubt, in die Barke getragen, und be-
fand ſich ſchon eine geraume Zeit auſſer dem Geſichts-
kreis ſeiner Pſyche, eh er wieder erwachte, um den gan-
zen Umfang ſeines Elends zu fuͤhlen.
Zehntes Capitel.
Ein Selbſtgeſpraͤch.
Da wir uns zum unverbruͤchlichen Geſeze gemacht
haben, in dieſer Geſchichte alles ſorgfaͤltig zu vermeiden,
was gegen die hiſtoriſche Wahrheit derſelben einigen ge-
rechten Verdacht erweken koͤnnte; ſo wuͤrden wir uns
ein Bedenken gemacht haben, das Selbſtgeſpraͤch, wel-
ches wir hier in unſerm Manuſcript vor uns finden,
mitzutheilen, wenn nicht der ungenannte Verfaſſer die
Vorſicht gebraucht haͤtte uns zu melden, daß ſeine Er-
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/49>, abgerufen am 24.02.2025.
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