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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
aus euern Augen zu verbannen, so werde ich mit
dem lezten Blike nach einem einst geliebten Vaterland,
eine Thräne auf das Grab eurer Glükseligkeit fallen
lassen; und, indem ich aufhöre ein Athenienser zu seyn,
in der Welt, die mir offen steht, in einem jeden Win-
kel, wo es der Tugend erlaubt ist, sich zu verbergen,
ein besseres Vaterland finden.

Es ist leicht zu vermuthen, schöne Danae, daß
eine Apologie aus diesem Ton nicht geschikt war, mir
ein günstiges Urtheil auszuwirken. Die Erbitterung,
die dadurch in den Gemüthern der meisten erregt wur-
de, welche das angenehme Schauspiel, mich vor ih-
nen gedemüthiget zu sehen, zu geniessen erwartet hat-
ten, war auf ihren Gesichtern ausgedrükt. Dem un-
geachtet sah ich niemal eine grössere Stille unter dem
Volk, als da ich aufgehört hatte zu reden. Sie fühl-
ten, wie es schien, wider ihren Willen, daß die Tu-
gend auch ihren Hässern Ehrfurcht einpräget; aber
eben dadurch wurde sie ihnen nur desto verhaßter, je
stärker sie den Vorzug fühlten, den sie dem beklagten,
verlassenen und von allen Auszierungen des Glüks ent-
blößten Agathon über die Herren seines Schiksals gab.
Jch weiß selbst nicht, wie es zugieng, daß mir mein
guter Genius aus dieser Gefahr heraushalf: Aber,
wie die Stimmen gesammelt wurden, so fand sich,
daß die Richter, gegen die Hofnung meiner Ankläger
sich begnügten, mich auf ewig aus Griechenland zu
verbannen, die Hälfte meiner Güter zum gemeinen

Wesen

Agathon.
aus euern Augen zu verbannen, ſo werde ich mit
dem lezten Blike nach einem einſt geliebten Vaterland,
eine Thraͤne auf das Grab eurer Gluͤkſeligkeit fallen
laſſen; und, indem ich aufhoͤre ein Athenienſer zu ſeyn,
in der Welt, die mir offen ſteht, in einem jeden Win-
kel, wo es der Tugend erlaubt iſt, ſich zu verbergen,
ein beſſeres Vaterland finden.

Es iſt leicht zu vermuthen, ſchoͤne Danae, daß
eine Apologie aus dieſem Ton nicht geſchikt war, mir
ein guͤnſtiges Urtheil auszuwirken. Die Erbitterung,
die dadurch in den Gemuͤthern der meiſten erregt wur-
de, welche das angenehme Schauſpiel, mich vor ih-
nen gedemuͤthiget zu ſehen, zu genieſſen erwartet hat-
ten, war auf ihren Geſichtern ausgedruͤkt. Dem un-
geachtet ſah ich niemal eine groͤſſere Stille unter dem
Volk, als da ich aufgehoͤrt hatte zu reden. Sie fuͤhl-
ten, wie es ſchien, wider ihren Willen, daß die Tu-
gend auch ihren Haͤſſern Ehrfurcht einpraͤget; aber
eben dadurch wurde ſie ihnen nur deſto verhaßter, je
ſtaͤrker ſie den Vorzug fuͤhlten, den ſie dem beklagten,
verlaſſenen und von allen Auszierungen des Gluͤks ent-
bloͤßten Agathon uͤber die Herren ſeines Schikſals gab.
Jch weiß ſelbſt nicht, wie es zugieng, daß mir mein
guter Genius aus dieſer Gefahr heraushalf: Aber,
wie die Stimmen geſammelt wurden, ſo fand ſich,
daß die Richter, gegen die Hofnung meiner Anklaͤger
ſich begnuͤgten, mich auf ewig aus Griechenland zu
verbannen, die Haͤlfte meiner Guͤter zum gemeinen

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[370/0392] Agathon. aus euern Augen zu verbannen, ſo werde ich mit dem lezten Blike nach einem einſt geliebten Vaterland, eine Thraͤne auf das Grab eurer Gluͤkſeligkeit fallen laſſen; und, indem ich aufhoͤre ein Athenienſer zu ſeyn, in der Welt, die mir offen ſteht, in einem jeden Win- kel, wo es der Tugend erlaubt iſt, ſich zu verbergen, ein beſſeres Vaterland finden. Es iſt leicht zu vermuthen, ſchoͤne Danae, daß eine Apologie aus dieſem Ton nicht geſchikt war, mir ein guͤnſtiges Urtheil auszuwirken. Die Erbitterung, die dadurch in den Gemuͤthern der meiſten erregt wur- de, welche das angenehme Schauſpiel, mich vor ih- nen gedemuͤthiget zu ſehen, zu genieſſen erwartet hat- ten, war auf ihren Geſichtern ausgedruͤkt. Dem un- geachtet ſah ich niemal eine groͤſſere Stille unter dem Volk, als da ich aufgehoͤrt hatte zu reden. Sie fuͤhl- ten, wie es ſchien, wider ihren Willen, daß die Tu- gend auch ihren Haͤſſern Ehrfurcht einpraͤget; aber eben dadurch wurde ſie ihnen nur deſto verhaßter, je ſtaͤrker ſie den Vorzug fuͤhlten, den ſie dem beklagten, verlaſſenen und von allen Auszierungen des Gluͤks ent- bloͤßten Agathon uͤber die Herren ſeines Schikſals gab. Jch weiß ſelbſt nicht, wie es zugieng, daß mir mein guter Genius aus dieſer Gefahr heraushalf: Aber, wie die Stimmen geſammelt wurden, ſo fand ſich, daß die Richter, gegen die Hofnung meiner Anklaͤger ſich begnuͤgten, mich auf ewig aus Griechenland zu verbannen, die Haͤlfte meiner Guͤter zum gemeinen Weſen

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/392>, abgerufen am 22.11.2024.