Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
wandten eine Probe gegeben hätte, nach was für Maxi-
men ich jederzeit in Verwaltung des Staats gehandelt
haben würde; und da diese Maximen so weit von ih-
rer Gemüthsbeschaffenheit und Denkart entfernt wären:
So würden sie sehr weislich handeln, einen Menschen
aus ihrem Mittel zu verbannen, welcher nicht geson-
nen sey, der Wahrheit und den Pflichten eines allge-
meinen Freunds der Menschen zu entsagen, um ein
guter Bürger von Athen zu seyn.

Der Schluß meiner Rede liegt mir noch so lebhaft
im Gedächtniß, daß ich ihn, zu einer Probe des Gan-
zen, wiederholen will. Die Götter, (sagte ich) ha-
ben mich zu einer Zeit, da ich es am wenigsten hoffte,
meinen Vater sinden lassen: Sein Ansehen und seine
Reichthümer gaben mir viel weniger Freude, als die
Entdekung, daß ich mein Leben einem rechtschaffenen
Mann zu danken hatte. Athen wurde durch ihn mein
Vaterland. Jch sah es als den Plaz an, den mir
die Götter angewiesen, um das Beste der Menschen
zu befödern. Das Jnteresse dieser einzelnen Stadt,
war in meinen Augen ein zu kleiner Gegenstand, um
dem allgemeinen Besten der Menschheit vorgesezt zu
werden; aber ich sah beydes so genau mit einander
verknüpft, daß ich nur alsdenn gewiß seyn konnte, je-
nes wirklich zu erhalten, wenn ich dieses beföderte.
Nach diesen Grundsäzen habe ich in meinem öffentli-
chen Leben gehandelt, und diese Handlungen, deren
sich selbst belohnendes Bewußtseyn mir in eine bessere

Welt,

Agathon.
wandten eine Probe gegeben haͤtte, nach was fuͤr Maxi-
men ich jederzeit in Verwaltung des Staats gehandelt
haben wuͤrde; und da dieſe Maximen ſo weit von ih-
rer Gemuͤthsbeſchaffenheit und Denkart entfernt waͤren:
So wuͤrden ſie ſehr weislich handeln, einen Menſchen
aus ihrem Mittel zu verbannen, welcher nicht geſon-
nen ſey, der Wahrheit und den Pflichten eines allge-
meinen Freunds der Menſchen zu entſagen, um ein
guter Buͤrger von Athen zu ſeyn.

Der Schluß meiner Rede liegt mir noch ſo lebhaft
im Gedaͤchtniß, daß ich ihn, zu einer Probe des Gan-
zen, wiederholen will. Die Goͤtter, (ſagte ich) ha-
ben mich zu einer Zeit, da ich es am wenigſten hoffte,
meinen Vater ſinden laſſen: Sein Anſehen und ſeine
Reichthuͤmer gaben mir viel weniger Freude, als die
Entdekung, daß ich mein Leben einem rechtſchaffenen
Mann zu danken hatte. Athen wurde durch ihn mein
Vaterland. Jch ſah es als den Plaz an, den mir
die Goͤtter angewieſen, um das Beſte der Menſchen
zu befoͤdern. Das Jntereſſe dieſer einzelnen Stadt,
war in meinen Augen ein zu kleiner Gegenſtand, um
dem allgemeinen Beſten der Menſchheit vorgeſezt zu
werden; aber ich ſah beydes ſo genau mit einander
verknuͤpft, daß ich nur alsdenn gewiß ſeyn konnte, je-
nes wirklich zu erhalten, wenn ich dieſes befoͤderte.
Nach dieſen Grundſaͤzen habe ich in meinem oͤffentli-
chen Leben gehandelt, und dieſe Handlungen, deren
ſich ſelbſt belohnendes Bewußtſeyn mir in eine beſſere

Welt,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0390" n="368"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon</hi>.</hi></fw><lb/>
wandten eine Probe gegeben ha&#x0364;tte, nach was fu&#x0364;r Maxi-<lb/>
men ich jederzeit in Verwaltung des Staats gehandelt<lb/>
haben wu&#x0364;rde; und da die&#x017F;e Maximen &#x017F;o weit von ih-<lb/>
rer Gemu&#x0364;thsbe&#x017F;chaffenheit und Denkart entfernt wa&#x0364;ren:<lb/>
So wu&#x0364;rden &#x017F;ie &#x017F;ehr weislich handeln, einen Men&#x017F;chen<lb/>
aus ihrem Mittel zu verbannen, welcher nicht ge&#x017F;on-<lb/>
nen &#x017F;ey, der Wahrheit und den Pflichten eines allge-<lb/>
meinen Freunds der Men&#x017F;chen zu ent&#x017F;agen, um ein<lb/>
guter Bu&#x0364;rger von Athen zu &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p>Der Schluß meiner Rede liegt mir noch &#x017F;o lebhaft<lb/>
im Geda&#x0364;chtniß, daß ich ihn, zu einer Probe des Gan-<lb/>
zen, wiederholen will. Die Go&#x0364;tter, (&#x017F;agte ich) ha-<lb/>
ben mich zu einer Zeit, da ich es am wenig&#x017F;ten hoffte,<lb/>
meinen Vater &#x017F;inden la&#x017F;&#x017F;en: Sein An&#x017F;ehen und &#x017F;eine<lb/>
Reichthu&#x0364;mer gaben mir viel weniger Freude, als die<lb/>
Entdekung, daß ich mein Leben einem recht&#x017F;chaffenen<lb/>
Mann zu danken hatte. Athen wurde durch ihn mein<lb/>
Vaterland. Jch &#x017F;ah es als den Plaz an, den mir<lb/>
die Go&#x0364;tter angewie&#x017F;en, um das Be&#x017F;te der Men&#x017F;chen<lb/>
zu befo&#x0364;dern. Das Jntere&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;er einzelnen Stadt,<lb/>
war in meinen Augen ein zu kleiner Gegen&#x017F;tand, um<lb/>
dem allgemeinen Be&#x017F;ten der Men&#x017F;chheit vorge&#x017F;ezt zu<lb/>
werden; aber ich &#x017F;ah beydes &#x017F;o genau mit einander<lb/>
verknu&#x0364;pft, daß ich nur alsdenn gewiß &#x017F;eyn konnte, je-<lb/>
nes wirklich zu erhalten, wenn ich die&#x017F;es befo&#x0364;derte.<lb/>
Nach die&#x017F;en Grund&#x017F;a&#x0364;zen habe ich in meinem o&#x0364;ffentli-<lb/>
chen Leben gehandelt, und die&#x017F;e Handlungen, deren<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t belohnendes Bewußt&#x017F;eyn mir in eine be&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Welt,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[368/0390] Agathon. wandten eine Probe gegeben haͤtte, nach was fuͤr Maxi- men ich jederzeit in Verwaltung des Staats gehandelt haben wuͤrde; und da dieſe Maximen ſo weit von ih- rer Gemuͤthsbeſchaffenheit und Denkart entfernt waͤren: So wuͤrden ſie ſehr weislich handeln, einen Menſchen aus ihrem Mittel zu verbannen, welcher nicht geſon- nen ſey, der Wahrheit und den Pflichten eines allge- meinen Freunds der Menſchen zu entſagen, um ein guter Buͤrger von Athen zu ſeyn. Der Schluß meiner Rede liegt mir noch ſo lebhaft im Gedaͤchtniß, daß ich ihn, zu einer Probe des Gan- zen, wiederholen will. Die Goͤtter, (ſagte ich) ha- ben mich zu einer Zeit, da ich es am wenigſten hoffte, meinen Vater ſinden laſſen: Sein Anſehen und ſeine Reichthuͤmer gaben mir viel weniger Freude, als die Entdekung, daß ich mein Leben einem rechtſchaffenen Mann zu danken hatte. Athen wurde durch ihn mein Vaterland. Jch ſah es als den Plaz an, den mir die Goͤtter angewieſen, um das Beſte der Menſchen zu befoͤdern. Das Jntereſſe dieſer einzelnen Stadt, war in meinen Augen ein zu kleiner Gegenſtand, um dem allgemeinen Beſten der Menſchheit vorgeſezt zu werden; aber ich ſah beydes ſo genau mit einander verknuͤpft, daß ich nur alsdenn gewiß ſeyn konnte, je- nes wirklich zu erhalten, wenn ich dieſes befoͤderte. Nach dieſen Grundſaͤzen habe ich in meinem oͤffentli- chen Leben gehandelt, und dieſe Handlungen, deren ſich ſelbſt belohnendes Bewußtſeyn mir in eine beſſere Welt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/390
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/390>, abgerufen am 22.11.2024.