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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
mir sah, erkannte, betrachtete mich mit einer sonder-
baren Aufmerksamkeit, indem ich ihm für seine Leutse-
ligkeit dankte, und mit einer Offenherzigkeit, welche
von meiner wenigen Kenntniß der Welt zeugte, bekann-
te; daß ich im Begriff gewesen sey, ihn um dasjenige
zu ersuchen, was er mir auf eine so edle Art anbiete;
nachdem ich durch einen Zufall in diese Gegenden, wo
ich niemand kenne, gerathen sey. Jch weiß nicht, was
ihn zu meinem Vortheil einzunehmen schien; mein
Aufzug wenigstens konnte es nicht seyn; denn ich hatte,
aus Sorge endekt zu werden, meine Delphische Klei-
dung gegen eine schlechtere vertauscht, welche auf mei-
ner Wanderschaft ziemlich abgenuzt worden war. Er
wiederholte mir wie angenehm es ihm sey, daß mich
der Zufall vielmehr ihm als einem seiner Nachbarn zu-
geführt habe; und so folgte ich ihm in sein Haus,
dessen Weitläuffigkeit, Bauart und Pracht einen Besi-
zer von grossem Reichthnm und vielem Geschmak an-
kündigte. Der Saal in dem wir zuerst abtraten, war
mit Gemählden von den berühmtesten Meistern, und
mit einigen Bild-Säulen und Brust-Bildern vom Phi-
dias und Alcamenes ausgeziert. Jch liebe wie dir be-
kant ist, die Werke der schönen Künste biß zur Schwär-
merey, und mein langer Aufenthalt in Delphi hatte
mir einige Kenntniß davon gegeben. Jch bewunderte
einige Stüke, sezte an andern dieses oder jenes aus,
nannte die Künstler, deren Hand oder Manier ich er-
kannte, und nahm Gelegenheit von andern Meister-
stüken zu reden, die mir von ihnen bekannt waren.

Jch

Agathon.
mir ſah, erkannte, betrachtete mich mit einer ſonder-
baren Aufmerkſamkeit, indem ich ihm fuͤr ſeine Leutſe-
ligkeit dankte, und mit einer Offenherzigkeit, welche
von meiner wenigen Kenntniß der Welt zeugte, bekann-
te; daß ich im Begriff geweſen ſey, ihn um dasjenige
zu erſuchen, was er mir auf eine ſo edle Art anbiete;
nachdem ich durch einen Zufall in dieſe Gegenden, wo
ich niemand kenne, gerathen ſey. Jch weiß nicht, was
ihn zu meinem Vortheil einzunehmen ſchien; mein
Aufzug wenigſtens konnte es nicht ſeyn; denn ich hatte,
aus Sorge endekt zu werden, meine Delphiſche Klei-
dung gegen eine ſchlechtere vertauſcht, welche auf mei-
ner Wanderſchaft ziemlich abgenuzt worden war. Er
wiederholte mir wie angenehm es ihm ſey, daß mich
der Zufall vielmehr ihm als einem ſeiner Nachbarn zu-
gefuͤhrt habe; und ſo folgte ich ihm in ſein Haus,
deſſen Weitlaͤuffigkeit, Bauart und Pracht einen Beſi-
zer von groſſem Reichthnm und vielem Geſchmak an-
kuͤndigte. Der Saal in dem wir zuerſt abtraten, war
mit Gemaͤhlden von den beruͤhmteſten Meiſtern, und
mit einigen Bild-Saͤulen und Bruſt-Bildern vom Phi-
dias und Alcamenes ausgeziert. Jch liebe wie dir be-
kant iſt, die Werke der ſchoͤnen Kuͤnſte biß zur Schwaͤr-
merey, und mein langer Aufenthalt in Delphi hatte
mir einige Kenntniß davon gegeben. Jch bewunderte
einige Stuͤke, ſezte an andern dieſes oder jenes aus,
nannte die Kuͤnſtler, deren Hand oder Manier ich er-
kannte, und nahm Gelegenheit von andern Meiſter-
ſtuͤken zu reden, die mir von ihnen bekannt waren.

Jch
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[316/0338] Agathon. mir ſah, erkannte, betrachtete mich mit einer ſonder- baren Aufmerkſamkeit, indem ich ihm fuͤr ſeine Leutſe- ligkeit dankte, und mit einer Offenherzigkeit, welche von meiner wenigen Kenntniß der Welt zeugte, bekann- te; daß ich im Begriff geweſen ſey, ihn um dasjenige zu erſuchen, was er mir auf eine ſo edle Art anbiete; nachdem ich durch einen Zufall in dieſe Gegenden, wo ich niemand kenne, gerathen ſey. Jch weiß nicht, was ihn zu meinem Vortheil einzunehmen ſchien; mein Aufzug wenigſtens konnte es nicht ſeyn; denn ich hatte, aus Sorge endekt zu werden, meine Delphiſche Klei- dung gegen eine ſchlechtere vertauſcht, welche auf mei- ner Wanderſchaft ziemlich abgenuzt worden war. Er wiederholte mir wie angenehm es ihm ſey, daß mich der Zufall vielmehr ihm als einem ſeiner Nachbarn zu- gefuͤhrt habe; und ſo folgte ich ihm in ſein Haus, deſſen Weitlaͤuffigkeit, Bauart und Pracht einen Beſi- zer von groſſem Reichthnm und vielem Geſchmak an- kuͤndigte. Der Saal in dem wir zuerſt abtraten, war mit Gemaͤhlden von den beruͤhmteſten Meiſtern, und mit einigen Bild-Saͤulen und Bruſt-Bildern vom Phi- dias und Alcamenes ausgeziert. Jch liebe wie dir be- kant iſt, die Werke der ſchoͤnen Kuͤnſte biß zur Schwaͤr- merey, und mein langer Aufenthalt in Delphi hatte mir einige Kenntniß davon gegeben. Jch bewunderte einige Stuͤke, ſezte an andern dieſes oder jenes aus, nannte die Kuͤnſtler, deren Hand oder Manier ich er- kannte, und nahm Gelegenheit von andern Meiſter- ſtuͤken zu reden, die mir von ihnen bekannt waren. Jch

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/338>, abgerufen am 24.11.2024.