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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, viertes Capitel.
an, um mir ihre vorige Erklärung zu bekräftigen. Die
Eifersucht machte sie so vieles sagen, daß ich Zeit be-
kam mich zu fassen, und eine Drohung weniger fürch-
terlich zu finden, zu deren Ausführung ich sie, wenig-
stens aus Liebe zu sich selbst, unfähig glaubte. Jch
antwortete ihr also mit einem kalten Blute, welches sie
stuzen machte: daß sie auf ihre eigene Gefahr über das
Leben meiner jungen Freundin disponieren könne. Doch
ersuchte ich sie, sich zu erinnern, daß sie selbst mich
zum Meister über das Jhrige, und über das, was ihr
noch lieber als das Leben seyn sollte, gemacht habe.
Das meinige (sezte ich lebhafter hinzu) hört mit dem
Augenblik auf, da Psyche für mich verlohren ist; denn
bey dem Gott, dessen Gegenwart dieses heilige Land er-
füllt, keine menschliche Gewalt soll mich aufhalten, ih-
rem geliebten Geist in eine bessere Welt zu folgen, wo-
hin uns das Laster nicht folgen kan, unsere geheiligte
Liebe zu beunruhigen! -- Meine Standhaftigkeit
schien, den Muth der Priesterin niederzuschlagen. Sie
sagte mir endlich: Sie merkte sehr wol, daß ich trozig
darauf sey, daß ich in meiner Gewalt habe, sie zu
Grunde zu richten -- ich könnte thun, was ich
wollte; nur sollte ich versichert seyn, daß ihr Psyche
für jeden Schritt antworten sollte, den ich machen
würde. Mit diesen Worten entfernte sie sich, und ließ
mich in einem Zustande, dessen Abscheulichkeit, nach
der Empfindung die ich davon hatte, abgemessen, über
allen Ausdruk gieng. Jch wußte nun, daß die Prie-
sterin Mittel gefunden haben müsse, unser Geheimniß

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U 4

Siebentes Buch, viertes Capitel.
an, um mir ihre vorige Erklaͤrung zu bekraͤftigen. Die
Eiferſucht machte ſie ſo vieles ſagen, daß ich Zeit be-
kam mich zu faſſen, und eine Drohung weniger fuͤrch-
terlich zu finden, zu deren Ausfuͤhrung ich ſie, wenig-
ſtens aus Liebe zu ſich ſelbſt, unfaͤhig glaubte. Jch
antwortete ihr alſo mit einem kalten Blute, welches ſie
ſtuzen machte: daß ſie auf ihre eigene Gefahr uͤber das
Leben meiner jungen Freundin diſponieren koͤnne. Doch
erſuchte ich ſie, ſich zu erinnern, daß ſie ſelbſt mich
zum Meiſter uͤber das Jhrige, und uͤber das, was ihr
noch lieber als das Leben ſeyn ſollte, gemacht habe.
Das meinige (ſezte ich lebhafter hinzu) hoͤrt mit dem
Augenblik auf, da Pſyche fuͤr mich verlohren iſt; denn
bey dem Gott, deſſen Gegenwart dieſes heilige Land er-
fuͤllt, keine menſchliche Gewalt ſoll mich aufhalten, ih-
rem geliebten Geiſt in eine beſſere Welt zu folgen, wo-
hin uns das Laſter nicht folgen kan, unſere geheiligte
Liebe zu beunruhigen! — Meine Standhaftigkeit
ſchien, den Muth der Prieſterin niederzuſchlagen. Sie
ſagte mir endlich: Sie merkte ſehr wol, daß ich trozig
darauf ſey, daß ich in meiner Gewalt habe, ſie zu
Grunde zu richten — ich koͤnnte thun, was ich
wollte; nur ſollte ich verſichert ſeyn, daß ihr Pſyche
fuͤr jeden Schritt antworten ſollte, den ich machen
wuͤrde. Mit dieſen Worten entfernte ſie ſich, und ließ
mich in einem Zuſtande, deſſen Abſcheulichkeit, nach
der Empfindung die ich davon hatte, abgemeſſen, uͤber
allen Ausdruk gieng. Jch wußte nun, daß die Prie-
ſterin Mittel gefunden haben muͤſſe, unſer Geheimniß

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U 4
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[311/0333] Siebentes Buch, viertes Capitel. an, um mir ihre vorige Erklaͤrung zu bekraͤftigen. Die Eiferſucht machte ſie ſo vieles ſagen, daß ich Zeit be- kam mich zu faſſen, und eine Drohung weniger fuͤrch- terlich zu finden, zu deren Ausfuͤhrung ich ſie, wenig- ſtens aus Liebe zu ſich ſelbſt, unfaͤhig glaubte. Jch antwortete ihr alſo mit einem kalten Blute, welches ſie ſtuzen machte: daß ſie auf ihre eigene Gefahr uͤber das Leben meiner jungen Freundin diſponieren koͤnne. Doch erſuchte ich ſie, ſich zu erinnern, daß ſie ſelbſt mich zum Meiſter uͤber das Jhrige, und uͤber das, was ihr noch lieber als das Leben ſeyn ſollte, gemacht habe. Das meinige (ſezte ich lebhafter hinzu) hoͤrt mit dem Augenblik auf, da Pſyche fuͤr mich verlohren iſt; denn bey dem Gott, deſſen Gegenwart dieſes heilige Land er- fuͤllt, keine menſchliche Gewalt ſoll mich aufhalten, ih- rem geliebten Geiſt in eine beſſere Welt zu folgen, wo- hin uns das Laſter nicht folgen kan, unſere geheiligte Liebe zu beunruhigen! — Meine Standhaftigkeit ſchien, den Muth der Prieſterin niederzuſchlagen. Sie ſagte mir endlich: Sie merkte ſehr wol, daß ich trozig darauf ſey, daß ich in meiner Gewalt habe, ſie zu Grunde zu richten — ich koͤnnte thun, was ich wollte; nur ſollte ich verſichert ſeyn, daß ihr Pſyche fuͤr jeden Schritt antworten ſollte, den ich machen wuͤrde. Mit dieſen Worten entfernte ſie ſich, und ließ mich in einem Zuſtande, deſſen Abſcheulichkeit, nach der Empfindung die ich davon hatte, abgemeſſen, uͤber allen Ausdruk gieng. Jch wußte nun, daß die Prie- ſterin Mittel gefunden haben muͤſſe, unſer Geheimniß zu U 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/333>, abgerufen am 24.11.2024.