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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, zweytes Capitel.
wirrung von Gedanken und Gemüthsregungen zurük-
ließ, die mir diese ganze Nacht kein Auge zu schliessen,
gestattete.

Des folgenden Tages erzählte ich dem Theo-
giton, was mir begegnet war. Er schien nichts sehr
besonders daraus zu machen; doch gab er, nachdem
er mich um alle Umstände befragt hatte, zu, daß es
Apollo, oder eine von den Musen gewesen seyn könne.
Du wirst lächeln, Danae, wenn ich dir gestehe, daß
ich, so jung ich war, und ohne mir selbst recht bewußt
zu seyn, warum? doch lieber gesehen hätte, wenn es
eine Muse gewesen wäre. Jch unterließ nun keine
Nacht, mich in der Grotte einzufinden, um die vermeyn-
te Muse wieder zu hören: Aber meine Erwartung be-
trog mich; es war Apollo selbst. Nach etlichen Näch-
ten, worinn ich mich mit der stummen Gegenwart der
Nymphen von Cypressenholz hatte begnügen müssen, kün-
digte mir ein heller Schein, der auf einmal in die
Grotte fiel, und durch die allgemeine Dunkelheit und
meinen Wahnwiz zu einem überirrdischen Licht erhoben
wurde, irgend eine ausserordentliche Begebenheit an.
Urtheile, wie bestürzt ich war, als ich mitten in der
Nacht, den Gott des Tages, auf einer hellglänzenden
Wolke sizend, vor mir sah, der sich mir zu lieb den
Armen der schönen Thetis entrissen hatte. Goldgelbe
Loken flossen um seine weissen Schultern; eine Crone
von Stralen schmükte seine Scheitel; das silberne Ge-
wand, das ihn umfloß, funkelte von tausend Edelstei-
nen; und eine goldne Leyer lag in seinem linken Arm.

Meine

Siebentes Buch, zweytes Capitel.
wirrung von Gedanken und Gemuͤthsregungen zuruͤk-
ließ, die mir dieſe ganze Nacht kein Auge zu ſchlieſſen,
geſtattete.

Des folgenden Tages erzaͤhlte ich dem Theo-
giton, was mir begegnet war. Er ſchien nichts ſehr
beſonders daraus zu machen; doch gab er, nachdem
er mich um alle Umſtaͤnde befragt hatte, zu, daß es
Apollo, oder eine von den Muſen geweſen ſeyn koͤnne.
Du wirſt laͤcheln, Danae, wenn ich dir geſtehe, daß
ich, ſo jung ich war, und ohne mir ſelbſt recht bewußt
zu ſeyn, warum? doch lieber geſehen haͤtte, wenn es
eine Muſe geweſen waͤre. Jch unterließ nun keine
Nacht, mich in der Grotte einzufinden, um die vermeyn-
te Muſe wieder zu hoͤren: Aber meine Erwartung be-
trog mich; es war Apollo ſelbſt. Nach etlichen Naͤch-
ten, worinn ich mich mit der ſtummen Gegenwart der
Nymphen von Cypreſſenholz hatte begnuͤgen muͤſſen, kuͤn-
digte mir ein heller Schein, der auf einmal in die
Grotte fiel, und durch die allgemeine Dunkelheit und
meinen Wahnwiz zu einem uͤberirrdiſchen Licht erhoben
wurde, irgend eine auſſerordentliche Begebenheit an.
Urtheile, wie beſtuͤrzt ich war, als ich mitten in der
Nacht, den Gott des Tages, auf einer hellglaͤnzenden
Wolke ſizend, vor mir ſah, der ſich mir zu lieb den
Armen der ſchoͤnen Thetis entriſſen hatte. Goldgelbe
Loken floſſen um ſeine weiſſen Schultern; eine Crone
von Stralen ſchmuͤkte ſeine Scheitel; das ſilberne Ge-
wand, das ihn umfloß, funkelte von tauſend Edelſtei-
nen; und eine goldne Leyer lag in ſeinem linken Arm.

Meine
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[271/0293] Siebentes Buch, zweytes Capitel. wirrung von Gedanken und Gemuͤthsregungen zuruͤk- ließ, die mir dieſe ganze Nacht kein Auge zu ſchlieſſen, geſtattete. Des folgenden Tages erzaͤhlte ich dem Theo- giton, was mir begegnet war. Er ſchien nichts ſehr beſonders daraus zu machen; doch gab er, nachdem er mich um alle Umſtaͤnde befragt hatte, zu, daß es Apollo, oder eine von den Muſen geweſen ſeyn koͤnne. Du wirſt laͤcheln, Danae, wenn ich dir geſtehe, daß ich, ſo jung ich war, und ohne mir ſelbſt recht bewußt zu ſeyn, warum? doch lieber geſehen haͤtte, wenn es eine Muſe geweſen waͤre. Jch unterließ nun keine Nacht, mich in der Grotte einzufinden, um die vermeyn- te Muſe wieder zu hoͤren: Aber meine Erwartung be- trog mich; es war Apollo ſelbſt. Nach etlichen Naͤch- ten, worinn ich mich mit der ſtummen Gegenwart der Nymphen von Cypreſſenholz hatte begnuͤgen muͤſſen, kuͤn- digte mir ein heller Schein, der auf einmal in die Grotte fiel, und durch die allgemeine Dunkelheit und meinen Wahnwiz zu einem uͤberirrdiſchen Licht erhoben wurde, irgend eine auſſerordentliche Begebenheit an. Urtheile, wie beſtuͤrzt ich war, als ich mitten in der Nacht, den Gott des Tages, auf einer hellglaͤnzenden Wolke ſizend, vor mir ſah, der ſich mir zu lieb den Armen der ſchoͤnen Thetis entriſſen hatte. Goldgelbe Loken floſſen um ſeine weiſſen Schultern; eine Crone von Stralen ſchmuͤkte ſeine Scheitel; das ſilberne Ge- wand, das ihn umfloß, funkelte von tauſend Edelſtei- nen; und eine goldne Leyer lag in ſeinem linken Arm. Meine

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/293>, abgerufen am 24.11.2024.