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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, erstes Capitel.
unsern Geist mehr Würklichkeit, mehr Unterhaltung und
Aufmunterung, eine reichere Quelle von ruhiger Freude
und ein festerer Grund der Selbstzufriedenheit liegt, als
in allem was die Sinne uns angenehmes und Gutes
anzubieten haben. Doch ich erinnere mich, daß es die
Geschichte meiner Seele, und nicht die Rechtfertigung
meiner Denkensart ist, wozu ich mich anheischig ge-
macht habe. Es sey also genug, wenn ich sage, daß
die Lehrsäze des Orpheus und des Pythagoras, von den
Göttern, von der Natur, von unsrer Seele, von der
Tugend, und von dem was das höchste Gut des Men-
schen ist, sich meines Gemüths so gänzlich bemeisterten,
daß alle meine Begriffe nach diesem Urbilde gemodelt,
alle meine Reizungen davon beseelt, und mein ganzes
Betragen, so wie alle meine Entwürfe für die Zukunft,
mit dem Plan eines nach diesen Grundsäzen abgemesse-
nen Lebens, dessen Beurtheilung mich unaufhörlich in
mir selbst beschäftigte, übereinstimmig waren.

Zweytes Capitel.
En animam & mentem cum qua Di nocte
loquantur!

Der Priester, der sich zu meinem Mentor aufge-
worfen hatte, schien über den ausserordentlichen Ge-

schmak,
R 5

Siebentes Buch, erſtes Capitel.
unſern Geiſt mehr Wuͤrklichkeit, mehr Unterhaltung und
Aufmunterung, eine reichere Quelle von ruhiger Freude
und ein feſterer Grund der Selbſtzufriedenheit liegt, als
in allem was die Sinne uns angenehmes und Gutes
anzubieten haben. Doch ich erinnere mich, daß es die
Geſchichte meiner Seele, und nicht die Rechtfertigung
meiner Denkensart iſt, wozu ich mich anheiſchig ge-
macht habe. Es ſey alſo genug, wenn ich ſage, daß
die Lehrſaͤze des Orpheus und des Pythagoras, von den
Goͤttern, von der Natur, von unſrer Seele, von der
Tugend, und von dem was das hoͤchſte Gut des Men-
ſchen iſt, ſich meines Gemuͤths ſo gaͤnzlich bemeiſterten,
daß alle meine Begriffe nach dieſem Urbilde gemodelt,
alle meine Reizungen davon beſeelt, und mein ganzes
Betragen, ſo wie alle meine Entwuͤrfe fuͤr die Zukunft,
mit dem Plan eines nach dieſen Grundſaͤzen abgemeſſe-
nen Lebens, deſſen Beurtheilung mich unaufhoͤrlich in
mir ſelbſt beſchaͤftigte, uͤbereinſtimmig waren.

Zweytes Capitel.
En animam & mentem cum qua Di nocte
loquantur!

Der Prieſter, der ſich zu meinem Mentor aufge-
worfen hatte, ſchien uͤber den auſſerordentlichen Ge-

ſchmak,
R 5
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[265/0287] Siebentes Buch, erſtes Capitel. unſern Geiſt mehr Wuͤrklichkeit, mehr Unterhaltung und Aufmunterung, eine reichere Quelle von ruhiger Freude und ein feſterer Grund der Selbſtzufriedenheit liegt, als in allem was die Sinne uns angenehmes und Gutes anzubieten haben. Doch ich erinnere mich, daß es die Geſchichte meiner Seele, und nicht die Rechtfertigung meiner Denkensart iſt, wozu ich mich anheiſchig ge- macht habe. Es ſey alſo genug, wenn ich ſage, daß die Lehrſaͤze des Orpheus und des Pythagoras, von den Goͤttern, von der Natur, von unſrer Seele, von der Tugend, und von dem was das hoͤchſte Gut des Men- ſchen iſt, ſich meines Gemuͤths ſo gaͤnzlich bemeiſterten, daß alle meine Begriffe nach dieſem Urbilde gemodelt, alle meine Reizungen davon beſeelt, und mein ganzes Betragen, ſo wie alle meine Entwuͤrfe fuͤr die Zukunft, mit dem Plan eines nach dieſen Grundſaͤzen abgemeſſe- nen Lebens, deſſen Beurtheilung mich unaufhoͤrlich in mir ſelbſt beſchaͤftigte, uͤbereinſtimmig waren. Zweytes Capitel. En animam & mentem cum qua Di nocte loquantur! Der Prieſter, der ſich zu meinem Mentor aufge- worfen hatte, ſchien uͤber den auſſerordentlichen Ge- ſchmak, R 5

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/287>, abgerufen am 24.11.2024.