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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
nenden Verwirrung der Natur eine majestätische Sym-
metrie, in der Regierung der moralischen Welt einen
unveränderlichen Plan, in der unzählbaren Menge von
Classen und Geschlechtern der Wesen einen einzigen
Staat, in den verwikelten Bewegungen aller Dinge
einen allgemeinen Richtpunct, in unsrer Seele einen
künftigen Gott, in der Zerstörung unsers Cörpers die
Wiedereinsezung in unsre ursprüngliche Vollkommen-
heit, und in dem nachtvollen Abgrund der Zukunft
helle Aussichten in grenzenlose Wonne zeigt? Ein sol-
ches System ist zu schön an sich selbst, zu schmeichelhaft
für unsern Stolz, unsern innersten Wünschen und we-
sentlichsten Trieben zu angemessen, als daß wir es in
einem Alter, wo alles Grosse und Rührende so viel
Macht über uns hat, nicht beym ersten Anblik wahr
finden sollten. Vermuthungen und Wünsche werden
hier zu desto stärkern Beweisen, da wir in dem blossen
Anschauen der Natur zuviel Majestät, zuviel Geheim-
nisreiches und Göttliches zu sehen glauben, um besor-
gen zu können, daß wir jemals zugroß von ihr den-
ken möchten. Und, soll ich dirs gestehen, schöne
Danae? Selbst izt, da mich glükliche Erfahrungen das
Schwärmende und Unzuverläßige dieser Art von Phi-
losphie gelehrt haben, fühle ich mit einer innerlichen
Gewalt, die sich gegen jeden Zweifel empört, daß diese
Uebereinstimmung mit unsern edelsten Neigungen, wel-
che ihr das Wort redet, der rechte Stempel der Wahr-
heit ist, und daß selbst in diesen Träumen, welche dem
materialischen Menschen so ausschweiffend scheinen, für

unsren

Agathon.
nenden Verwirrung der Natur eine majeſtaͤtiſche Sym-
metrie, in der Regierung der moraliſchen Welt einen
unveraͤnderlichen Plan, in der unzaͤhlbaren Menge von
Claſſen und Geſchlechtern der Weſen einen einzigen
Staat, in den verwikelten Bewegungen aller Dinge
einen allgemeinen Richtpunct, in unſrer Seele einen
kuͤnftigen Gott, in der Zerſtoͤrung unſers Coͤrpers die
Wiedereinſezung in unſre urſpruͤngliche Vollkommen-
heit, und in dem nachtvollen Abgrund der Zukunft
helle Ausſichten in grenzenloſe Wonne zeigt? Ein ſol-
ches Syſtem iſt zu ſchoͤn an ſich ſelbſt, zu ſchmeichelhaft
fuͤr unſern Stolz, unſern innerſten Wuͤnſchen und we-
ſentlichſten Trieben zu angemeſſen, als daß wir es in
einem Alter, wo alles Groſſe und Ruͤhrende ſo viel
Macht uͤber uns hat, nicht beym erſten Anblik wahr
finden ſollten. Vermuthungen und Wuͤnſche werden
hier zu deſto ſtaͤrkern Beweiſen, da wir in dem bloſſen
Anſchauen der Natur zuviel Majeſtaͤt, zuviel Geheim-
nisreiches und Goͤttliches zu ſehen glauben, um beſor-
gen zu koͤnnen, daß wir jemals zugroß von ihr den-
ken moͤchten. Und, ſoll ich dirs geſtehen, ſchoͤne
Danae? Selbſt izt, da mich gluͤkliche Erfahrungen das
Schwaͤrmende und Unzuverlaͤßige dieſer Art von Phi-
loſphie gelehrt haben, fuͤhle ich mit einer innerlichen
Gewalt, die ſich gegen jeden Zweifel empoͤrt, daß dieſe
Uebereinſtimmung mit unſern edelſten Neigungen, wel-
che ihr das Wort redet, der rechte Stempel der Wahr-
heit iſt, und daß ſelbſt in dieſen Traͤumen, welche dem
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[264/0286] Agathon. nenden Verwirrung der Natur eine majeſtaͤtiſche Sym- metrie, in der Regierung der moraliſchen Welt einen unveraͤnderlichen Plan, in der unzaͤhlbaren Menge von Claſſen und Geſchlechtern der Weſen einen einzigen Staat, in den verwikelten Bewegungen aller Dinge einen allgemeinen Richtpunct, in unſrer Seele einen kuͤnftigen Gott, in der Zerſtoͤrung unſers Coͤrpers die Wiedereinſezung in unſre urſpruͤngliche Vollkommen- heit, und in dem nachtvollen Abgrund der Zukunft helle Ausſichten in grenzenloſe Wonne zeigt? Ein ſol- ches Syſtem iſt zu ſchoͤn an ſich ſelbſt, zu ſchmeichelhaft fuͤr unſern Stolz, unſern innerſten Wuͤnſchen und we- ſentlichſten Trieben zu angemeſſen, als daß wir es in einem Alter, wo alles Groſſe und Ruͤhrende ſo viel Macht uͤber uns hat, nicht beym erſten Anblik wahr finden ſollten. Vermuthungen und Wuͤnſche werden hier zu deſto ſtaͤrkern Beweiſen, da wir in dem bloſſen Anſchauen der Natur zuviel Majeſtaͤt, zuviel Geheim- nisreiches und Goͤttliches zu ſehen glauben, um beſor- gen zu koͤnnen, daß wir jemals zugroß von ihr den- ken moͤchten. Und, ſoll ich dirs geſtehen, ſchoͤne Danae? Selbſt izt, da mich gluͤkliche Erfahrungen das Schwaͤrmende und Unzuverlaͤßige dieſer Art von Phi- loſphie gelehrt haben, fuͤhle ich mit einer innerlichen Gewalt, die ſich gegen jeden Zweifel empoͤrt, daß dieſe Uebereinſtimmung mit unſern edelſten Neigungen, wel- che ihr das Wort redet, der rechte Stempel der Wahr- heit iſt, und daß ſelbſt in dieſen Traͤumen, welche dem materialiſchen Menſchen ſo ausſchweiffend ſcheinen, fuͤr unſren

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/286>, abgerufen am 24.11.2024.