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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
Kan ich traurig seyn, wenn ich dich sehe? erwiederte
Agathon, mit einem Seufzer, welcher seine Frage zu
beantworten schien. Auch gab ihm Danae keine Ant-
wort auf ein so verbindliches Compliment, sondern
fuhr fort, ihn stillschweigend, aber mit einem Gesicht
voll Seele, und Augen die voller Wasser standen, anzu-
sehen. Er richtete sich auf, und sahe sie eine Weile
an, als ob er biß in den Grund ihrer Seele schauen
wollte. Jhre Herzen schienen durch ihre Blike in ein-
ander zu zerfliessen. Liebest du mich, Danae? fragte
endlich Agathon mit einer von Zärtlichkeit und Weh-
muth halberstikten Stimme, indem er einen Arm um
sie schlang, und fortfuhr sie mit wäßrichten Augen
anzusehen. Sie schwieg eine Zeit lang. Ob ich dich
liebe? -- War alles was sie sagen konnte; aber
der Ausdruk, der Ton, womit sie es sagte, hätte
durch alle Beredsamkeit des Demosthenes nicht ersezt
werden können. Ach Danae! (erwiedert Agathon)
ich frage nicht, weil ich zweifle -- Kan ich eine
Versichrung, von welcher das ganze Glük meines Le-
bens abhängt, zu oft von diesen geliebten Lippen em-
pfangen? Wenn du mich nicht liebtest -- wenn du
aufhören könntest mich zu lieben -- was für Ge-
danken, mein liebster Callias? unterbrach sie ihn: Wie
elend wär ich, wenn du sie in deinem Herzen fändest --
wenn dieses dir sagte, daß eine Liebe wie die unsrige
aufhören könne? -- Ein übelverheelter Seufzer war
alles was er antworten konnte. Du bist traurig, Cal-
lias, fuhr sie fort; ein geheimer Kummer bricht aus

allen

Agathon.
Kan ich traurig ſeyn, wenn ich dich ſehe? erwiederte
Agathon, mit einem Seufzer, welcher ſeine Frage zu
beantworten ſchien. Auch gab ihm Danae keine Ant-
wort auf ein ſo verbindliches Compliment, ſondern
fuhr fort, ihn ſtillſchweigend, aber mit einem Geſicht
voll Seele, und Augen die voller Waſſer ſtanden, anzu-
ſehen. Er richtete ſich auf, und ſahe ſie eine Weile
an, als ob er biß in den Grund ihrer Seele ſchauen
wollte. Jhre Herzen ſchienen durch ihre Blike in ein-
ander zu zerflieſſen. Liebeſt du mich, Danae? fragte
endlich Agathon mit einer von Zaͤrtlichkeit und Weh-
muth halberſtikten Stimme, indem er einen Arm um
ſie ſchlang, und fortfuhr ſie mit waͤßrichten Augen
anzuſehen. Sie ſchwieg eine Zeit lang. Ob ich dich
liebe? — War alles was ſie ſagen konnte; aber
der Ausdruk, der Ton, womit ſie es ſagte, haͤtte
durch alle Beredſamkeit des Demoſthenes nicht erſezt
werden koͤnnen. Ach Danae! (erwiedert Agathon)
ich frage nicht, weil ich zweifle — Kan ich eine
Verſichrung, von welcher das ganze Gluͤk meines Le-
bens abhaͤngt, zu oft von dieſen geliebten Lippen em-
pfangen? Wenn du mich nicht liebteſt — wenn du
aufhoͤren koͤnnteſt mich zu lieben — was fuͤr Ge-
danken, mein liebſter Callias? unterbrach ſie ihn: Wie
elend waͤr ich, wenn du ſie in deinem Herzen faͤndeſt —
wenn dieſes dir ſagte, daß eine Liebe wie die unſrige
aufhoͤren koͤnne? — Ein uͤbelverheelter Seufzer war
alles was er antworten konnte. Du biſt traurig, Cal-
lias, fuhr ſie fort; ein geheimer Kummer bricht aus

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[254/0276] Agathon. Kan ich traurig ſeyn, wenn ich dich ſehe? erwiederte Agathon, mit einem Seufzer, welcher ſeine Frage zu beantworten ſchien. Auch gab ihm Danae keine Ant- wort auf ein ſo verbindliches Compliment, ſondern fuhr fort, ihn ſtillſchweigend, aber mit einem Geſicht voll Seele, und Augen die voller Waſſer ſtanden, anzu- ſehen. Er richtete ſich auf, und ſahe ſie eine Weile an, als ob er biß in den Grund ihrer Seele ſchauen wollte. Jhre Herzen ſchienen durch ihre Blike in ein- ander zu zerflieſſen. Liebeſt du mich, Danae? fragte endlich Agathon mit einer von Zaͤrtlichkeit und Weh- muth halberſtikten Stimme, indem er einen Arm um ſie ſchlang, und fortfuhr ſie mit waͤßrichten Augen anzuſehen. Sie ſchwieg eine Zeit lang. Ob ich dich liebe? — War alles was ſie ſagen konnte; aber der Ausdruk, der Ton, womit ſie es ſagte, haͤtte durch alle Beredſamkeit des Demoſthenes nicht erſezt werden koͤnnen. Ach Danae! (erwiedert Agathon) ich frage nicht, weil ich zweifle — Kan ich eine Verſichrung, von welcher das ganze Gluͤk meines Le- bens abhaͤngt, zu oft von dieſen geliebten Lippen em- pfangen? Wenn du mich nicht liebteſt — wenn du aufhoͤren koͤnnteſt mich zu lieben — was fuͤr Ge- danken, mein liebſter Callias? unterbrach ſie ihn: Wie elend waͤr ich, wenn du ſie in deinem Herzen faͤndeſt — wenn dieſes dir ſagte, daß eine Liebe wie die unſrige aufhoͤren koͤnne? — Ein uͤbelverheelter Seufzer war alles was er antworten konnte. Du biſt traurig, Cal- lias, fuhr ſie fort; ein geheimer Kummer bricht aus allen

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/276>, abgerufen am 24.11.2024.