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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Sechstes Buch, fünftes Capitel.
der Liebe günstig; sie verschönern die Freundin, und
blenden die Augen des Freundes: Ueberdem sucht der
Schmerz natürlicher Weise eine Zerstreuung, und ist
geneigt sich an alles zu hängen, was ihm Trost und
Linderung verspricht: Eine dunkle Ahnung neuer Ver-
gnügungen; der Anblik eines Gegenstands, der solche
geben kan; die günstige Gemüthsstellung, worinn man
denselben sieht, auf der Einen -- die Eitelkeit, diese
grosse Treibfeder des weiblichen Herzens; das Ver-
gnügen, so zu sagen, einen Sieg über eine Nebenbuh-
lerin davon zu tragen, indem man liebenswürdig ge-
nug ist, ihren Verlust zu ersezen; die Begierde, selbst
ihr Andenken auszulöschen; vielleicht, auch die Guther-
zigkeit der menschlichen Natur, und das Vergnügen
glüklich zu machen, auf der andern Seite -- wie viel
Umstände, welche sich vereinigen, unvermerkt den Freund
in einen Liebhaber, und die Vertraute in die Haupt-
person eines neuen Romans zu verwandeln.

Jn einer Gemüthsverfassung von dieser Art befand
sich Agathon, als Danae, welche vernommen hatte,
daß er den ganzen Abend in der einsamsten Gegend
des Gartens zugebracht, sich nicht mehr zurükhalten
konnte ihn aufzusuchen. Sie fand ihn mit halbem
Leib auf einer grünen Bank liegen, das Haupt unter-
stüzt, und so zerstreut, daß sie eine Weile vor ihm
stand, ehe er sie gewahr wurde. Du bist traurig,
Callias, sagte sie endlich mit einer gerührten Stimme,
indem sie Augen voll mitleidender Liebe auf ihn heftete.

Kan

Sechstes Buch, fuͤnftes Capitel.
der Liebe guͤnſtig; ſie verſchoͤnern die Freundin, und
blenden die Augen des Freundes: Ueberdem ſucht der
Schmerz natuͤrlicher Weiſe eine Zerſtreuung, und iſt
geneigt ſich an alles zu haͤngen, was ihm Troſt und
Linderung verſpricht: Eine dunkle Ahnung neuer Ver-
gnuͤgungen; der Anblik eines Gegenſtands, der ſolche
geben kan; die guͤnſtige Gemuͤthsſtellung, worinn man
denſelben ſieht, auf der Einen — die Eitelkeit, dieſe
groſſe Treibfeder des weiblichen Herzens; das Ver-
gnuͤgen, ſo zu ſagen, einen Sieg uͤber eine Nebenbuh-
lerin davon zu tragen, indem man liebenswuͤrdig ge-
nug iſt, ihren Verluſt zu erſezen; die Begierde, ſelbſt
ihr Andenken auszuloͤſchen; vielleicht, auch die Guther-
zigkeit der menſchlichen Natur, und das Vergnuͤgen
gluͤklich zu machen, auf der andern Seite — wie viel
Umſtaͤnde, welche ſich vereinigen, unvermerkt den Freund
in einen Liebhaber, und die Vertraute in die Haupt-
perſon eines neuen Romans zu verwandeln.

Jn einer Gemuͤthsverfaſſung von dieſer Art befand
ſich Agathon, als Danae, welche vernommen hatte,
daß er den ganzen Abend in der einſamſten Gegend
des Gartens zugebracht, ſich nicht mehr zuruͤkhalten
konnte ihn aufzuſuchen. Sie fand ihn mit halbem
Leib auf einer gruͤnen Bank liegen, das Haupt unter-
ſtuͤzt, und ſo zerſtreut, daß ſie eine Weile vor ihm
ſtand, ehe er ſie gewahr wurde. Du biſt traurig,
Callias, ſagte ſie endlich mit einer geruͤhrten Stimme,
indem ſie Augen voll mitleidender Liebe auf ihn heftete.

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[253/0275] Sechstes Buch, fuͤnftes Capitel. der Liebe guͤnſtig; ſie verſchoͤnern die Freundin, und blenden die Augen des Freundes: Ueberdem ſucht der Schmerz natuͤrlicher Weiſe eine Zerſtreuung, und iſt geneigt ſich an alles zu haͤngen, was ihm Troſt und Linderung verſpricht: Eine dunkle Ahnung neuer Ver- gnuͤgungen; der Anblik eines Gegenſtands, der ſolche geben kan; die guͤnſtige Gemuͤthsſtellung, worinn man denſelben ſieht, auf der Einen — die Eitelkeit, dieſe groſſe Treibfeder des weiblichen Herzens; das Ver- gnuͤgen, ſo zu ſagen, einen Sieg uͤber eine Nebenbuh- lerin davon zu tragen, indem man liebenswuͤrdig ge- nug iſt, ihren Verluſt zu erſezen; die Begierde, ſelbſt ihr Andenken auszuloͤſchen; vielleicht, auch die Guther- zigkeit der menſchlichen Natur, und das Vergnuͤgen gluͤklich zu machen, auf der andern Seite — wie viel Umſtaͤnde, welche ſich vereinigen, unvermerkt den Freund in einen Liebhaber, und die Vertraute in die Haupt- perſon eines neuen Romans zu verwandeln. Jn einer Gemuͤthsverfaſſung von dieſer Art befand ſich Agathon, als Danae, welche vernommen hatte, daß er den ganzen Abend in der einſamſten Gegend des Gartens zugebracht, ſich nicht mehr zuruͤkhalten konnte ihn aufzuſuchen. Sie fand ihn mit halbem Leib auf einer gruͤnen Bank liegen, das Haupt unter- ſtuͤzt, und ſo zerſtreut, daß ſie eine Weile vor ihm ſtand, ehe er ſie gewahr wurde. Du biſt traurig, Callias, ſagte ſie endlich mit einer geruͤhrten Stimme, indem ſie Augen voll mitleidender Liebe auf ihn heftete. Kan

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/275>, abgerufen am 24.11.2024.