Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
vollständiger Beweis sey, daß es nicht so richtig mit
ihm stehe, als er sich selbst zu überreden suchte.

Fünftes Capitel.
Ein starker Schritt zu einer Catastrophe.

Danae liebte zu zärtlich, als daß ihr der stille Kum-
mer, der eine wiewohl anmuthige Düsternheit über
das schöne Gesicht unsers Helden ausbreitete, hätte un-
bemerkt bleiben können; aber aus eben diesem Grunde
war sie zu schüchtern, ihn voreilig um die Ursache ei-
ner so unerwarteten Veränderung zu befragen. Es
war leicht zu sehen, daß sein Herz leiden müsse; aber
mit aller Scharfsichtigkeit, welche den Augen der Liebe
eigen ist, konnte sie doch nicht mit sich selbst einig
werden, was die Ursache davon seyn könne. Jhr
erster Gedanke war, daß ihm vielleicht ein zu weit ge-
triebner Scherz des boshaften Hippias anstößig gewe-
sen seyn möchte. Allein was auch Hippias gesagt ha-
ben konnte, schien ihr nicht genugsam, eine so tieffe Wunde
zu machen, als sie in seinem Herzen zu sehen glaubte.
Das Jnteresse ihres eignen brachte sie bald auf einen
andern Gedanken, dessen sie vermuthlich nicht fä-
hig gewesen wäre, wenn ihre Liebe nicht die Eitel-
keit überwogen hätte, welche bey den meisten Schönen
die wahre Quelle dessen ist, was sie uns für Liebe ge-

ben

Agathon.
vollſtaͤndiger Beweis ſey, daß es nicht ſo richtig mit
ihm ſtehe, als er ſich ſelbſt zu uͤberreden ſuchte.

Fuͤnftes Capitel.
Ein ſtarker Schritt zu einer Cataſtrophe.

Danae liebte zu zaͤrtlich, als daß ihr der ſtille Kum-
mer, der eine wiewohl anmuthige Duͤſternheit uͤber
das ſchoͤne Geſicht unſers Helden ausbreitete, haͤtte un-
bemerkt bleiben koͤnnen; aber aus eben dieſem Grunde
war ſie zu ſchuͤchtern, ihn voreilig um die Urſache ei-
ner ſo unerwarteten Veraͤnderung zu befragen. Es
war leicht zu ſehen, daß ſein Herz leiden muͤſſe; aber
mit aller Scharfſichtigkeit, welche den Augen der Liebe
eigen iſt, konnte ſie doch nicht mit ſich ſelbſt einig
werden, was die Urſache davon ſeyn koͤnne. Jhr
erſter Gedanke war, daß ihm vielleicht ein zu weit ge-
triebner Scherz des boshaften Hippias anſtoͤßig gewe-
ſen ſeyn moͤchte. Allein was auch Hippias geſagt ha-
ben konnte, ſchien ihr nicht genugſam, eine ſo tieffe Wunde
zu machen, als ſie in ſeinem Herzen zu ſehen glaubte.
Das Jntereſſe ihres eignen brachte ſie bald auf einen
andern Gedanken, deſſen ſie vermuthlich nicht faͤ-
hig geweſen waͤre, wenn ihre Liebe nicht die Eitel-
keit uͤberwogen haͤtte, welche bey den meiſten Schoͤnen
die wahre Quelle deſſen iſt, was ſie uns fuͤr Liebe ge-

ben
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0272" n="250"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
voll&#x017F;ta&#x0364;ndiger Beweis &#x017F;ey, daß es nicht &#x017F;o richtig mit<lb/>
ihm &#x017F;tehe, als er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu u&#x0364;berreden &#x017F;uchte.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Fu&#x0364;nftes Capitel.</hi><lb/>
Ein &#x017F;tarker Schritt zu einer Cata&#x017F;trophe.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">D</hi>anae liebte zu za&#x0364;rtlich, als daß ihr der &#x017F;tille Kum-<lb/>
mer, der eine wiewohl anmuthige Du&#x0364;&#x017F;ternheit u&#x0364;ber<lb/>
das &#x017F;cho&#x0364;ne Ge&#x017F;icht un&#x017F;ers Helden ausbreitete, ha&#x0364;tte un-<lb/>
bemerkt bleiben ko&#x0364;nnen; aber aus eben die&#x017F;em Grunde<lb/>
war &#x017F;ie zu &#x017F;chu&#x0364;chtern, ihn voreilig um die Ur&#x017F;ache ei-<lb/>
ner &#x017F;o unerwarteten Vera&#x0364;nderung zu befragen. Es<lb/>
war leicht zu &#x017F;ehen, daß &#x017F;ein Herz leiden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e; aber<lb/>
mit aller Scharf&#x017F;ichtigkeit, welche den Augen der Liebe<lb/>
eigen i&#x017F;t, konnte &#x017F;ie doch nicht mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t einig<lb/>
werden, was die Ur&#x017F;ache davon &#x017F;eyn ko&#x0364;nne. Jhr<lb/>
er&#x017F;ter Gedanke war, daß ihm vielleicht ein zu weit ge-<lb/>
triebner Scherz des boshaften Hippias an&#x017F;to&#x0364;ßig gewe-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;eyn mo&#x0364;chte. Allein was auch Hippias ge&#x017F;agt ha-<lb/>
ben konnte, &#x017F;chien ihr nicht genug&#x017F;am, eine &#x017F;o tieffe Wunde<lb/>
zu machen, als &#x017F;ie in &#x017F;einem Herzen zu &#x017F;ehen glaubte.<lb/>
Das Jntere&#x017F;&#x017F;e ihres eignen brachte &#x017F;ie bald auf einen<lb/>
andern Gedanken, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie vermuthlich nicht fa&#x0364;-<lb/>
hig gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, wenn ihre Liebe nicht die Eitel-<lb/>
keit u&#x0364;berwogen ha&#x0364;tte, welche bey den mei&#x017F;ten Scho&#x0364;nen<lb/>
die wahre Quelle de&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t, was &#x017F;ie uns fu&#x0364;r Liebe ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ben</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0272] Agathon. vollſtaͤndiger Beweis ſey, daß es nicht ſo richtig mit ihm ſtehe, als er ſich ſelbſt zu uͤberreden ſuchte. Fuͤnftes Capitel. Ein ſtarker Schritt zu einer Cataſtrophe. Danae liebte zu zaͤrtlich, als daß ihr der ſtille Kum- mer, der eine wiewohl anmuthige Duͤſternheit uͤber das ſchoͤne Geſicht unſers Helden ausbreitete, haͤtte un- bemerkt bleiben koͤnnen; aber aus eben dieſem Grunde war ſie zu ſchuͤchtern, ihn voreilig um die Urſache ei- ner ſo unerwarteten Veraͤnderung zu befragen. Es war leicht zu ſehen, daß ſein Herz leiden muͤſſe; aber mit aller Scharfſichtigkeit, welche den Augen der Liebe eigen iſt, konnte ſie doch nicht mit ſich ſelbſt einig werden, was die Urſache davon ſeyn koͤnne. Jhr erſter Gedanke war, daß ihm vielleicht ein zu weit ge- triebner Scherz des boshaften Hippias anſtoͤßig gewe- ſen ſeyn moͤchte. Allein was auch Hippias geſagt ha- ben konnte, ſchien ihr nicht genugſam, eine ſo tieffe Wunde zu machen, als ſie in ſeinem Herzen zu ſehen glaubte. Das Jntereſſe ihres eignen brachte ſie bald auf einen andern Gedanken, deſſen ſie vermuthlich nicht faͤ- hig geweſen waͤre, wenn ihre Liebe nicht die Eitel- keit uͤberwogen haͤtte, welche bey den meiſten Schoͤnen die wahre Quelle deſſen iſt, was ſie uns fuͤr Liebe ge- ben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/272
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/272>, abgerufen am 23.11.2024.